Geht es um Depression und Geburt, denken Ärzte zu wenig an die langfristigen Auswirkungen auf das kindliche Gehirn. Dass die Psyche beider Eltern hier eine Rolle spielt, zeigen aktuelle Studien.
Eine Schwangerschaft und die Geburt des eigenen Kindes sind einschneidende Erlebnisse im Leben eines Menschen. Neben Glück empfinden viele Eltern aber ebenso Angst und Stress – das zeigen inzwischen auch immer mehr Studien. Wie sich aber der psychische Zustand der Eltern auf die (kognitive) Entwicklung des Kindes auswirkt, darüber gab es bisher wenige wissenschaftliche Erkenntnisse. Dieses Jahr wurden mehrere Studien veröffentlicht, deren Ergebnisse vor allem diejenigen aufhorchen lassen sollten, die Schwangere betreuen.
Eine in den USA an der UCLA durchgeführte Studie warf den Verdacht auf, dass Kinder, deren Mütter im Zuge der Schwangerschaft eine sich verschlimmernde Depression entwickeln, ein höheres Risiko aufweisen, später emotionale, soziale und akademische Probleme zu haben.
Für die zweiteilige Studie analysierten die Forscher zunächst Daten von 362 Frauen, die im Rahmen einer Untersuchung des Community Child Health Network gesammelt wurden. Die Frauen, die alle bereits ein Kind hatten, wurden während einer nachfolgenden Schwangerschaft beobachtet und im Verlauf viermal zu ihren Depressionssymptomen befragt: einmal vor und zweimal während der Schwangerschaft sowie ein weiteres Mal etwa drei Monate nach der Geburt ihres Kindes. Knapp 75 % der Frauen berichteten über leichte depressive Symptome, die sich während des Studienzeitraums nicht veränderten, 12 % hatten leichte Symptome, die deutlich zunahmen, und 7 % hatten anhaltend starke Symptome.
Im zweiten Teil der Studie befragten die Forscher 125 dieser Frauen einige Jahre später. Als ihre Kinder 4 Jahre alt waren, also im Vorschulalter, wurden die Mütter gebeten, Temperament und Verhalten ihrer Kinder detailliert zu beschreiben – insbesondere ihre Erfahrungen mit emotionalem Stress und ihre Fähigkeit, Gefühle zu regulieren. Wiederum etwas später, im Alter von 5 Jahren, führten die Kinder für die Studie eine Aufgabe aus, die ihre volle Aufmerksamkeit erforderte. Sie sollten vor einem Bildschirm, auf dem eine Reihe von Fischen zu sehen war, die Richtung erkennen, in die der Fisch in der Mitte blickte, während sie die Richtung aller anderen Fische ignorieren sollten. Höhere Punktzahlen bei dieser Aufgabe spiegeln die Fähigkeit wider, sich zu konzentrieren und die Aufmerksamkeit auf umgebende Reize zu lenken, erklärt die Erstautorin der Studie, Gabrielle Rinne.
Kinder von Müttern, deren Depression in der Schwangerschaft bis hin zum Wochenbett zugenommen hatten, schnitten bei der Aufgabe deutlich schlechter ab als Kinder, deren Mütter durchgehend geringe Depressionssymptome aufwiesen. Interessanterweise gab es keine Leistungsunterschiede zwischen Kindern, deren Mütter durchgehend hohe Depressionswerte aufwiesen, und solchen, deren Mütter durchgehend niedrige Depressionswerte hatten.
„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich eine zunehmende Depression während der Schwangerschaft negativ auf das Kind auswirken kann“, sagt Letztautorin Christine Dunkel Schetter, Professorin für Psychologie und Psychiatrie an der UCLA, die federführend am Studiendesign und an der Entwicklung der Interviews beteiligt war. Sie weist darauf hin, dass nicht alle betroffenen Kinder zwangsläufig Probleme haben werden, betont aber, dass „sie ein höheres Risiko für sozio-emotionale und verhaltensbedingte Probleme sowie für Probleme in der Schule haben“. Kinder, deren Mütter dagegen durchgängig über geringe Depressionssymptome berichteten, seien nicht gefährdet.
„Mütter, die mehrfach Depression oder Stress erleben, sollten wissen, welche Auswirkungen dies auf ihre Kinder haben kann“, fügt sie hinzu. „Sie sollten sich selbst und ihre Kinder ggf. untersuchen und behandeln lassen. Dass es sich hierbei um ein für viele Menschen relevantes Thema handelt, betont auch Rinne: „Die Aufnahme eines Kindes in die Familie ist eine bedeutende emotionale und psychologische Umstellung, die sowohl mit Freude als auch mit Kummer verbunden sein kann. Mütterliche Depression gehört zu den häufigsten Komplikationen in der Schwangerschaft und nach der Geburt.“ Die Ergebnisse der Studie, so Rinne, untermauern „die Bedeutung einer umfassenden psychischen Gesundheitsfürsorge in mehreren Phasen des reproduktiven Lebenslaufs“, die bereits vor der Schwangerschaft beginnt und auch danach fortgesetzt werden sollte – insbesondere für Mütter, die ein erhöhtes Maß an Stress empfinden.
Wie diese kognitiven Veränderungen bei den betroffenen Kindern zustande kommen könnten, fand eine andere Untersuchung heraus, die in JAMA Network veröffentlicht wurde. Dort wurden 97 Schwangere und ihre Kinder in einer longitudinalen Beobachtungsstudie untersucht. Die Forscher des Developing Brain Institute, Children’s National Hospital in Washington, fanden einen Zusammenhang zwischen Stress während der Schwangerschaft und einer veränderten fötalen Gehirnentwicklung und damit einhergehenden längerfristigen Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung der Kinder.
Alle schwangeren Teilnehmerinnen waren gesund, vorherige Untersuchungen waren ohne besonderen Befund. Ausgeschlossen wurden Mütter, bei deren Föten kongenitale Infektionen, Läsionen/dysmorphe Merkmale oder genetische Anomalien vermutet oder bestätigt wurden. Auch durften Schwangere mit chronischen Erkrankungen (z. B. Autoimmun-, genetische, metabolische oder psychiatrische Erkrankungen), schwangerschaftsbedingten Komplikationen, Mehrlingsschwangerschaften, selbst angegebenem Drogenmissbrauch, Rauchen oder Alkoholkonsum nicht teilnehmen sowie Frauen, die Medikamente gegen chronische Erkrankungen einnahmen. Von den eingeschlossenen Frauen hatten 36 % hohe Werte für Stress, Ängste und/oder Depression. Die Autoren schreiben: „Dies steht im Einklang mit neueren Studien, die von pränatalen Depressionen und Angstzuständen bei bis zu 18,4 % bzw. 25,3 % der Frauen in Ländern mit hohem Einkommen und mittlerem bis hohem sozioökonomischem Status berichten.“
MRT-Untersuchungen des fetalen Gehirns wurden zweimal im Zeitraum zwischen der 24. und 40. Schwangerschaftswoche durchgeführt. Nach 18 Monaten wurden die Kinder erneut neurologisch untersucht. Zur Quantifizierung von pränatalem mütterlichem Stress, Angst und Depression verwendeten die Forscher validierte Fragebögen, die von den Müttern selbstständig ausgefüllt wurden. Volumen und kortikale Faltung des fötalen Gehirns wurden anhand von dreidimensionalen Bildern aus MRT-Scans gemessen. Die kognitive Entwicklung des Kindes im Alter von 18 Monaten maßen die Forscher u. a. mittels Bayley Scales of Infant Development (BSID-III) und dem Infant Toddler Social Emotional Assessment (ITSEA).
In einer früheren Arbeit konnte die Arbeitsgruppe bereits feststellen, dass Angstzustände bei schwangeren Frauen die Gehirnentwicklung ihrer Babys zu beeinträchtigen scheinen. Das Team fand heraus, dass die psychische Gesundheit der Mutter, auch bei Frauen mit hohem sozioökonomischem Status, die Struktur und Biochemie des sich entwickelnden fötalen Gehirns verändert. Dr. Catherine Limperopoulos und ihr Team beobachteten Veränderungen der Sulcustiefe und des Volumens des linken Hippocampus der Föten schon im Mutterleib.
Die Erkenntnisse zur neurologischen und kognitiven Entwicklung der Kinder im Alter von 18 Monaten kam nun dazu: Und tatsächlich, pränataler mütterlicher Stress war in den Untersuchungen negativ mit kognitiven Leistungen des Kindes verbunden. Signifikante Assoziationen konnten außerdem zwischen pränataler Belastung und einer später höheren Punktzahl im Parenting Stress Index (PSI-SF) festgestellt werden, es kam vermehrt zu defensivem Reaktionsverhalten, elterlicher Belastung, Eltern-Kind-Dysfunktionen und Stress.
Vermittelt wurden die Auffälligkeiten der Kinder durch das fetale linke Hippocampusvolumen, so die Ergebnisse der Arbeitsgruppe. „Ein erhöhter fetaler kortikaler Gyrifikationsindex und erhöhte Sulkustiefe waren in unserer Untersuchung mit einer verminderten sozial-emotionalen Kompetenz des Kindes verbunden.“ Die Autoren vermuten eine mögliche Assoziation mit Legasthenie und Autismus. Langfristig könnten anhaltende sozial-emotionale Probleme resultieren sowie Schwierigkeiten der Kinder, positive Beziehungen zu anderen, einschließlich ihrer Mütter, aufzubauen. „Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass pränataler mütterlicher Stress möglicherweise nicht nur vorübergehend ist, sondern über die gesamte postnatale Periode anhält und sowohl die Eltern-Kind-Interaktion als auch die spätere Selbstregulation des Kindes beeinflusst“, schreiben die Autoren. Um die Ergebnisse zu bestätigen, seien allerdings künftige Studien mit einer größeren Stichprobengröße erforderlich, die eine größere regionale Vielfalt ermöglicht und verschiedene Bevölkerungsgruppen widerspiegelt.
Die psychische Verfassung angehender Mütter sollte also mehr in den Fokus der Gesellschaft rücken, auch noch weit über den Zeitpunkt der Geburt hinaus. Aber was ist mit dem Vater?
Eine Meta-Analyse von 23 Studien mit 29.286 Paaren und Daten aus 15 verschiedenen Ländern ergab, dass bis zu 3,18 % der Elternpaare (sowohl Mütter als auch Väter) an einer perinatalen Depression litten – mit steigender Prävalenz in der späten postnatalen Phase (3–12 Monate). Sozioökonomische Faktoren wie Arbeitslosigkeit, längere Arbeitszeiten und ein geringes Einkommen konnten in einigen Studien mit Depression bei Paaren in Verbindung gebracht werden. Auch Beziehungsprobleme beeinflussten die Stimmung bei beiden Elternteilen negativ. Die Autoren schreiben: „Längsschnittdaten aus Kohortenstudien haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit einer postnatalen Depression (gemessen mittels EPDS-Score) bei Frauen mit einer vorgeburtlichen Depression um mehr als das Dreifache ansteigt. Dieser Zusammenhang war bei Männern sogar noch auffälliger.“
Bei bis zu 3 von 100 Paaren sind um die Geburt herum beide Eltern von Stimmungsstörungen betroffen. Die Autoren schreiben: „Das hat Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Einzelnen, auf die Fähigkeit, das Kind zu erziehen sowie auf die psychische und physische Gesundheit der Kinder.“ Eine weitere wichtige Erkenntnis aus den Daten: Der klinische Fokus bei postnataler Depression liegt in der Regel auf den ersten 12 Wochen nach der Geburt. Die Erfassung von perinatalen Stimmungsstörungen sollte aber möglicherweise über den frühen postnatalen Zeitraum hinausgehen und neben der Mutter auch den Vater miteinbeziehen.
Denn wie wichtig die psychische Verfassung beider Elternteile für die Entwicklung eines Kindes ist, betonen die Autoren: „Es gibt Hinweise darauf, dass eine gesunde Vater-Kind-Beziehung bei Depression der Mutter schlechtere Einflüsse auf das Kind abmildern kann. Bei Depression des Vaters bietet eine gesunde Mutter-Kind-Beziehung einen ähnlichen Schutz. Wenn jedoch beide Elternteile depressiv sind, geht dieser Puffereffekt verloren – was das Risiko für psychische und physische Beeinträchtigungen für das Kind weiter erhöht.“ Sie schreiben weiter: „Vielleicht ist es an der Zeit, das derzeitige Modell der postnatalen Betreuung zu überdenken und zu einem ganzheitlichen Betreuungsmodell überzugehen, das beide Elternteile während der vorgeburtlichen Zeit besser unterstützt und über die frühe Perinatalperiode hinausgeht.“
Bildquelle: Ante Hamersmit, unsplash