Gesunde Zähne und Fluoride verbindet eine lange Geschichte. Doch findet sich das ikonische Duo immer öfter in der Kritik – Fluoride in Trinkwasser, Salz und Zahnpasta seien angeblich neurotoxisch. Was ist dran an dem Vorwurf?
Fluorid und menschliche Zahngesundheit – ein Dreamteam vereint durch eine lange gemeinsame Geschichte. Schon im 19. Jahrhundert fiel auf, dass Menschen in Gegenden mit einem erhöhten Fluoridgehalt im Wasser weniger häufig an Karies erkrankten. Seit Einführung fluoridhaltiger Zahnpasten lässt sich in Deutschland ein deutlicher Rückgang der Kariesinzidenz beobachten.
Wie so oft, sobald ein Hauch Chemie in der Luft liegt, gibt es aber auch kritische und besorgte Stimmen. Selbstverständlich hat es seine Berechtigung, die Sicherheit von chemischen Verbindungen und ihrem Einsatz in Behandlungen zu hinterfragen und toxische Effekte von Fluoriden sind durchaus bekannt. Dabei geht es vor allem um die hohe Affinität des Fluorid-Ions zu Calcium-Ionen – ein Graus für den Calciumhaushalt des Körpers.
Schaut man sich aber so manchen on- und offline Diskurs an, gerät man wahrlich ins Stutzen. Fluorid macht Babys dümmer heißt es da. Sogar Gedankenkontrolle mit Fluorid durch die Regierung ist ein Thema! Ein wenig fachlicher kann man das natürlich auch formulieren: Es wird gemutmaßt, dass Fluoride neurotoxisch wirken könnten. Und zwar nicht nur von verschwurbelten Laienwissenschaftlern, nein, auch gestandene Wissenschaftler haben sich durchaus schon kritisch mit der Frage befasst.
Anlässe dazu gibt es ohne Frage: Hinter der Behauptung „Fluorid macht Babys dümmer“ stecken eine Reihe epidemiologischer Studien. So stellte beispielsweise eine mexikanische Studie von Bashash et al. von 2017 eine inverse Korrelation zwischen der Fluoridkonzentration im Urin werdender Mütter und den kognitiven Fähigkeiten ihrer Kinder her, sobald die Konzentration 0,8 mg Fluorid pro Liter Urin überschritt.
Aufmerksamkeit erregte 2019 auch eine kanadische Studie von Green et al., die eine ähnliche Assoziation zwischen den kognitiven Fähigkeiten von Kindern im Alter von 3–4 Jahren und der Fluoridkonzentration im Urin ihrer Mütter fand. Sie berechneten eine Reduktion des IQ um 4,49 Punkte für jede Erhöhung der Fluoridkonzentration um 1 mg/l – wohlgemerkt aber erst, nachdem die Analyse auf Kinder männlichen Geschlechts eingeschränkt wurde; für Mädchen ließ sich hingegen keine signifikante Assoziation feststellen.
Also doch Grund zur Sorge? Eher nicht – die Studien haben einige methodologische Schwächen, wie eine ausführliche Analyse von Forschern des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung der TU Dortmund (IfADo) ergab. In ihrer Metaanalyse untersuchten sie 23 epidemiologische Studien zur toxischen Wirkung von Fluoriden auf die kognitive Entwicklung. Von diesen sahen zwar ganze 21 einen möglichen Zusammenhang zwischen hoher Fluoridbelastung und einem niedrigen IQ – allerdings fiel bei genauerer Analyse auf, dass viele von diesen Studien wichtige Störfaktoren, wie beispielsweise den sozioökonomischen Status, in ihrer Auswertung nicht oder nur unvollständig berücksichtigt hatten. Nur 11 der Studien nahmen überhaupt eine statistische Anpassung vor.
So stammt beispielsweise ein großer Anteil der Studien aus eher armen, ländlichen Gegenden mit natürlicherweise hohen Fluoridkonzentrationen im Grundwasser (China, Indien, Mexiko). Möglicherweise ist in diesen Regionen auch die Exposition gegenüber anderen Umweltgiften erhöht, die sich ebenfalls nachteilig auf die Entwicklung auswirken können, wie Blei, Cadmium oder Quecksilber. In Ländern, in denen das Trinkwasser gezielt fluoridiert wird (community water fluoridation, CWF), wird in der Wasseraufbereitung auf solche Kontaminationen kontrolliert, jedoch kamen nur zwei der Studien aus eben solchen Regionen.
Ein weiteres Problem: Nur zwei der Studien waren longitudinal ausgelegt. Bei der einen handelte es sich um die bereits erwähnte Studie von Green et al., die einen Einfluss der in Kanada teils praktizierten CWF auf die kognitive Entwicklung feststellte. Hier fehlten allerdings zum Teil individuelle Daten zur Fluoridkonzentration im mütterlichen Urin und Störfaktoren, die sich ebenfalls auf die IQ-Entwicklung des Kindes auswirken können. Das Gewicht des Kindes bei der Geburt, ob es gestillt wurde und seine postnatale Fluoridaufnahme wurden nicht berücksichtigt. Ebenfalls in der Kritik steht der Zeitpunkt der IQ-Erfassung der Kinder, da sich in dem gewählten Zeitfenster von 3–4 Jahren die kognitive Leistung stark entwickelt und der exakte Testzeitpunkt daher einen erheblichen Unterschied machen könnte. In der Auswertung berücksichtigt wurde dies aber nicht.
Die zweite Longitudinalstudie von Broadbent et al. stammt aus Neuseeland (ebenfalls CWF-Gebiet). Hier wurde die Intelligenzentwicklung der Probanden zu verschiedenen Zeitpunkten über einen Zeitraum von 38 Jahren in Abhängigkeit ihrer Fluoridexposition verfolgt. Dabei wurde nicht nur die Fluoridaufnahme über das Trinkwasser, sondern auch durch die Zahnpflege mit einberechnet. Nach Anpassung um den sozioökonomischen Status, Geburtsgewicht und Stillen konnte hier im Gegensatz zu Green et al. kein statistisch signifikanter IQ-Unterschied festgestellt werden. Auch hier wurde das Fehlen individueller Daten zur Fluoridaufnahme bemängelt.
„Basierend auf der Gesamtheit der derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse stützt das vorliegende Review nicht die Annahme, dass Fluorid bei den derzeitigen Expositionswerten in Europa als neurotoxisch für die menschliche Entwicklung bewertet werden sollte“, schlussfolgern die Forscher des IfADo. Klarer gesagt: Die Evidenz ist dürftig und es ist wohl kaum eine Gefährdung zu befürchten – zumindest hierzulande. Diese Einschätzung bestätigt auch Dental-Toxikologe Prof. Franz-Xaver Reichl im Gespräch mit den DocCheck News. Der Leiter der Abteilung Dentaltoxikologie und des Beratungszentrums für die Verträglichkeit von Zahnmaterialien (BZVZ) an der LMU München fasst zusammen: „In Deutschland sind derartige Dinge noch nie beobachtet worden; da steht die Entstehung einer Dentalfluorose bei der Gabe und Aufnahme von zu hohen Fluoridmengen im Vordergrund.“
Denn wie so oft in der Toxikologie ist der Effekt immer eine Frage der Dosierung. Etwaige neurotoxische Effekte zeigten sich in den epidemiologischen Studien und auch in Tier- und Zellstudien erst bei deutlich höheren Fluoridexpositionen, als wir sie in Deutschland vorfinden dürften. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) enthalten mehr als 90 % der Trinkwässer in DE weniger als 0,3 mg/L Fluorid, wobei regionale Variationen bestehen. Ab einem Fluoridgehalt von 1,5 mg/L ist die Kennzeichnung als „fluoridhaltig“ vorgeschrieben.
Fluorid steckt nun aber bekanntlich nicht nur im Trinkwasser, auch Lebensmittel enthalten Fluorid. Spitzenplätze nehmen dabei Trockenkräuter, schwarzer Tee und Meeresfrüchte ein. Aber auch wenn man das noch dazu rechnet, kommt der durchschnittliche Deutsche nur auf eine Gesamtaufnahme von 0,4 – 1,5 mg Fluorid pro Tag.
Damit liegen die Deutschen tatsächlich noch unter der empfohlenen Zufuhr von täglich 0,05 mg Fluorid pro kg Körpergewicht, die laut EFSA für die Kariesprävention optimal ist. Für einen 70 kg schweren Erwachsenen beliefe sich das auf 3,5 mg pro Tag. Dementsprechend wird zur Verwendung von fluoridiertem Speisesalz geraten, welches seit 1991 unter entsprechender Kennzeichnung zugelassen ist. Dabei ist der Fluoridgehalt auf maximal 0,25 mg / g Salz festgeschrieben – bei einer geschätzten Aufnahme von Salz von ca. 2 g / Tag erreicht man so eine zusätzliche Aufnahme von 0,5 mg Fluorid.
Sollten wir uns also doch etwas von den USA abschauen, wo in breiten Teilen des Landes das Trinkwasser gezielt fluoridiert wird, um auf einfache Art und Weise eine Basis-Kariesprophylaxe zu gewährleisten? Wohl eher nicht.
„Das ist extrem kritisch. […] Die Trinkwasserfluoridierung sollte man unter keinen Umständen machen“, so Reichl. Denn im Gegensatz zum Salz lässt sich die Dosierung über das Trinkwasser nicht steuern. „Wenn Sie zum Beispiel ein Schnitzel zubereiten und zu viel Salz dazugeben, dann haben sie das Schnitzel versalzen und es schmeckt nicht mehr gut. […] Sie können so niemals überdosieren.“ Beim Trinkwasser gibt es diesen selbstlimitierenden Effekt hingegen nicht: Ein Hochleistungssportler beispielsweise hat mehr Durst und würde über das Trinken deutlich mehr Fluorid aufnehmen als ein weniger aktiver Mensch. Und tatsächlich ist ständige Aufnahme von zu viel Fluorid keine gute Idee – es drohen die altbekannten Dentalfluorosen.
In Gegenden mit höheren Fluoridkonzentrationen im Trinkwasser (> 2 mg / L) steigen die Fälle von Fluorosen Reichl zufolge merklich an. Selbst in Deutschland ist diese recht verbreitet: „Insgesamt haben etwa 15 % der Kinder mit 10 Jahren eine Dentalfluorose.“ Schon ab einer dauerhaften Zufuhr von etwa >0,12 mg/ kg KG kann es bei Kleinkindern zu dieser Schmelzveränderung kommen; dementsprechend müssen Trinkwässer mit Konzentrationen von >0,7 mg/L als ungeeignet für die Zubereitung von Babynahrung gekennzeichnet werden. Aus dem gleichen Grund wird in den neuesten Leitlinien bis zum Alter von 2 Jahren auch nur eine reiskorngroße Menge Zahnpasta mit einem Fluoridgehalt von 1000 ppm empfohlen, da Kleinkinder noch bedeutende Anteile der Zahnpasta verschlucken. Von einer zusätzliche Gabe in Form fluoridhaltiger Zahnlacke oder gar Fluoridtabletten wird außer im Falle eines extrem hohen Kariesrisikos abgeraten.
Bei Erwachsenen ist es dann allerdings wieder schwieriger, toxische Effekte durch Fluorid zu erzielen. Für die Entstehung einer Skelettfluorose bedürfte es einer langjährigen Zufuhr von mehr als 10 mg pro Tag. Neben den chronischen Effekten gibt es auch dokumentierte Fälle von akuten Intoxikationen; Symptome reichen von Übelkeit, Bauchschmerzen und starkem Speichelfluss bis hin zum Herzstillstand. Dazu kommt es in Deutschland – von Arbeitsunfällen vielleicht einmal abgesehen – aber nicht: Die wahrscheinlich toxische Dosis (PTD) liegt bei 5 mg/kg KG. „Der wird aber hier bei Fluoriden in Deutschland niemals erreicht. Das nimmt kein Mensch auf“, so Reichl. Für einen 70 kg schweren Erwachsenen wären das ganze 350 mg – oder zwei bis drei ganze Tuben Zahnpasta.
Was bleibt also? Für eine neurotoxische Wirkung von Fluoriden gibt es keine stichhaltigen Beweise, zumindest nicht bei den in Europa üblichen Konzentrationen. Wofür es allerdings eine solide Evidenz gibt, ist die kariespräventive Wirkung, daher sollte man den Empfehlungen der Fachgesellschaften folgen und sich weiterhin fleißig die Zähne mit fluoridhaltigen Zahnpasten putzen. Zwar helfen auch andere Maßnahmen wie die Vermeidung zuckerhaltiger Lebensmittel und das Einhalten von Esspausen bei der Kariesprävention – sie sollten aber nur zusätzlich zur Fluoridierung erfolgen.
Bildquelle: Diana Polekhina, unsplash