Sie war im Schwein, und das Schwein hat überlebt: Die Rede ist von einer voll implantierbaren, künstlichen Niere. Nur eine von mehreren Innovationen in Sachen Dialyse.
Die Geschichte des Herzkatheters wird oft erzählt, die der Dialyse ist weniger bekannt. Am Anfang steht der Arzt Willem Kolff, der vor den Nazis fliehen musste und in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts in einem niederländischen Krankenhaus arbeitete. Er baute noch während des zweiten Weltkriegs die ersten Dialysemaschinen aus alten Waschmaschinen und den Metallteilen abgeschossener Flugzeuge. Nach nur einem einzigen Ex-vivo-Experiment ging er mit seinem technischen Nierenersatz in den Menschen, eine Letztlinientherapie für Patienten im urämischen Koma: „Die ersten 17 Patienten starben, beim 18. gelang es, und der lebte dann noch viele Jahre“, sagte Prof. Jonathan Himmelfarb vom Kidney Research Institute der University of Washington.
Himmelfarb gab bei der Jahrestagung der American Society of Nephrology im November einen Überblick über die Historie der Nierenersatzverfahren, vor allem aber über deren Zukunft. Die zeichnet sich im Prinzip schon seit den 70er Jahren ab. Es war erneut Kolff, der in dieser Zeit die erste mobile Dialysemaschine entwickelte. Das Problem mobiler Nieren sind die Unmengen an Dialysat. Sie führten dazu, dass Kolffs Maschine zwar mobil, aber nicht wirklich tragbar war. Immerhin: In einer heroischen Aktion fuhr eine Gruppe von Nierenpatienten mit einem Rafting-Boot den Grand Canyon hinunter, während sie dialysiert wurden. Proof of principle, sozusagen.
Kernherausforderungen aller künstlichen Nierenersatzverfahren ist es, das zu kopieren, was die Niere vormacht: Im Mittel fließen durch eine gesunde Niere pro Tag rund 700-800 Liter Blut, 1500 Liter durch beide zusammen. Zwischen 140 und 180 Liter werden filtriert und bilden den Primärharn, von dem alles bis auf rund 2 Liter am Tag wieder rückresorbiert wird. In diesen zwei Litern sind alle Giftstoffe enthalten, die die Niere loswerden muss. Harnstoff vor allem.
Die Filtration und Reabsorption der natürlichen Niere einfach nachzubauen, galt bisher als unmöglich. Nierenersatzverfahren arbeiten deswegen nach einem anderen Prinzip, nämlich osmotisch. Typische Dialysemaschinen benötigten dafür 2 Liter Wasser pro Minute, so Himmelfarb. Weil das für mobile Systeme nicht funktioniert, sind hier andere Technologien gefragt. Prototypische mobile Dialysesysteme arbeiten mit so genannten Sorptionsmitteln, die Giftstoffe, insbesondere Harnstoffe, aus dem Blut „herausziehen“ bzw. absorbieren.
Entwickelt worden sei diese Technologie ursprünglich von der NASA, um im Weltall Trinkwasser zurückzugewinnen, so Himmelfarb. Kommerziell für die Dialyse genutzt wurden Sorptionsmittel in den 70er Jahren im RED-System, mit dem mehrere Millionen Behandlungen erfolgten, bevor es wieder verschwand, weil die Osmose-basierten Dialysen effizienter waren. Die Grundlagen für eine mögliche Technik mobiler Dialysen waren damit aber gelegt. Derzeit wird in den Niederlanden von der dortigen Nierenstiftung und dem Unternehmen Next Kidney eine sorptionsmittelbasierte, mobile Dialyse entwickelt, die kurz vor klinischen Studien steht. „Die wiegt 10 kg, braucht pro Behandlung 4,5 Liter Dialysat und eine 2 Kilogramm schwere Kartusche. Das System könnte in einigen Jahren erhältlich sein“, so Himmelfarb.
Der Nephrologe aus Washington arbeitet mit seinem Team an einem anderen Ansatz. „Wir beschlossen vor fünf Jahren, noch einmal ganz von vorne zu starten.“ Ausgangspunkt war die Überlegung, dass Harnstoff nicht nur osmotisch ausgewaschen oder mit Hilfe von Sorptionsmittel absorbiert werden kann. Er könnte auch oxidiert werden, was insofern attraktiv ist, weil es kein oder nicht viel Wasser benötigt. Der Harnstoff wird sozusagen in situ beseitigt. Zudem entstehen bei der Harnstoffoxidation nur harmlose Stoffwechselprodukte, kein toxisches Ammonium oder andere Problemsubstrate.
Die technische Frage, vor der Himmelfarb und Kollegen standen, lautete: Wie könnte Harnstoff so oxidiert werden, dass es mit einem tragbaren System möglich wird, die nötigen Mengen zu eliminieren? Hilfe kam von einer kommerziellen Anwendung aus einer völlig anderen Branche, nämlich von selbstreinigenden Glasscheiben. Die sind mit Titandioxid beschichtet, das als Katalysator wirkt und sämtliche organische Substanzen zügig oxidieren lässt. Die Energie dafür kommt aus dem Licht. Für die Washingtoner Dialysemaschine wurden nun spezielle Titandioxid-Nanodrähte entwickelt, um eine große Oberfläche zu erreichen, außerdem bestimmte LEDs, die optimal Energie liefern. Am vorläufigen Ende steht ein System, das 500 Mal effizienter ist als bisherige Oxidations-Dialysen und derzeit als Prototyp vorliegt. Es soll jetzt zu einem Produkt entwickelt werden, das nach Berechnungen von Himmelfarb in einen Rollkoffer passt.
Einer, für den rollkoffergroße Dialysegeräte nicht klein, sondern geradezu Monstren dinosaurischen Ausmaßes sind, ist Prof. Roy Shuvo von der University of California in San Francisco. Ihm geht es nicht um irgendeine tragbare Dialysemaschine, sondern um den heiligen Gral der Nephro-Technologie, um die implantierbare Kunstniere. Rein technisch ist die weiterhin eine Zukunftsvision, weswegen die Kalifornier sich für einen anderen Weg entschieden haben: Eine bioartifizielle Kunstniere, also eine Mischung aus technischem Organersatz und Bioreaktor, sprich Nierenzellen.
Ziel von „The Kidney Project“ sei es, ein voll implantierbares Organ zu entwickeln, das keine Immunsuppression und keine Antikoagulation erfordert, nicht mehr als 700 ml Volumen hat und dass es schafft, eine gewisse minimale Nierenfunktion zur Verfügung zu stellen – konkret eine Harnstoff-Clearance von 20-30 Millilitern pro Minute, eine Flüssigkeitsausscheidung von maximal zwei bis drei Litern pro Tag, außerdem 100–200 mmol/d Kochsalz, 100 mmol/d Kalium und 50-100 mmol/d Bicarbonat. Damit, so die Berechnungen der Amerikaner, müsste es möglich sein, eine gewisse Zeitlang autonom von externer Dialyse zu leben und zum Beispiel kleinere Reisen zu unternehmen.
Technischer Clou der kalifornischen Kunstniere ist eine nach den Prinzipien der Computerchipherstellung miniaturisierte, permeable Silikonmembran, die – ohne elektrische Pumpe oder Batterie, allein mit dem Blutdruck, den das Herz aufbaut – jene 20–30 ml/min Harnstoff-Clearance erreicht, die nötig sind. Damit das funktioniert, braucht diese Membran eine Gesamtoberfläche von 0,2 Quadratmetern.
Das Charmante daran ist, dass das Silikon-Material biologisch inert ist. Eine Antikoagulation ist nicht nötig und gleichzeitig trennt die Membran das Blut und damit das Immunsystem des Trägers vom zweiten Teil, dem Herzstück der Kunstniere, nämlich einem Bioreaktor mit humanen renalen Tubuluszellen. Die sollen tun, was Tubuluszellen in der echten Niere auch tun. Nämlich den durch die Silikonmembran filtrierten Primärharn eindicken und die Flüssigkeit und einiges andere wieder an die Zirkulation zurückgeben – mit Ausnahme jener maximal drei Liter, die als Urin über einen Schlauch an die Blase abgeleitet werden.
Aufbau der implantierbaren, bioartifiziellen Niere. Die beiden Außenelemente enthalten die Silikonmembranen, im Bioreaktor befinden sich humane renale Tubuluszellen. (Quelle: Roy Shuvo, ASN 2022)
Die Sache klingt wild und futuristisch, aber tatsächlich ist das Projekt über das visionäre Planungsstadium schon hinaus. Ein Prototyp wurde gebaut, der das miniaturisierte Membransystem mit dem Bioreaktor verbindet und außerdem über Schläuche die Nierenarterien, die Nierenvenen und eben die Harnblase andockt.
Anschlussplan der bioartifiziellen Kunstniere: Arterielles und venöses Blut, außerdem zwei Tubuli, die den „Urin“ in Richtung Blase ableiten. Credit: Roy Shuvo, ASN 2022
Der Prototyp erinnert optisch an eine Art Coolpack, und er wurde einem Schwein implantiert, das damit drei Tage lang problemlos (und mit konstanten Serumparametern) lebte. Danach wurde die Kunstniere wieder ausgebaut und detailliert untersucht. Das Membransystem war intakt, es gab keine Thrombosierung, und die Zellen im Bioreaktor bildeten eine Art Nierenrindengewebe, das sich nach drei Tagen im Schwein ebenfalls unverändert präsentierte.
Mit anderen Worten: Es spricht nichts dagegen, dass die implantierten Kunstnieren (deutlich?) länger halten als nur einige wenige Tage. Die weltweit erste vollimplantierbare, künstliche Niere hat ihre Feuertaufe im Großtiermodell bestanden. Das heißt nicht, dass sie kurz vor dem Einsatz bei Menschen steht. Aber das ist jetzt zumindest ein realistisches Szenario für irgendwann in einigen Jahren.
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