Mit den Geflüchteten aus der Ukraine kommen auch neue infektiologische Herausforderungen in die Aufnahmeländer. Vor allem Enterobakterien und ihre Resistenzen verlangen Aufmerksamkeit.
Annähernd acht Millionen Menschen aus der Ukraine leben nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks mittlerweile in europäischen Staaten. Polen trägt die Hauptbürde, aber auch in Deutschland sind es über eine Million Menschen. Die Geflüchteten in Deutschland sind im Durchschnitt 28 Jahre alt, und viele von ihnen – UNHCR-Daten zufolge vier von zehn – wollen langfristig in Deutschland bleiben.
Was die medizinische Seite des Flüchtlingsdramas angeht, stehen die psychologische Versorgung und natürlich Themen wie Impfungen und die in der Ukraine schon vor dem Krieg in relativ hoher Inzidenz vorkommende Tuberkulose im Vordergrund. Dass es sich darin nicht erschöpft, zeigen zwei neue Publikationen im Fachblatt Eurosurveillance. Sie weisen darauf hin, dass durch die Geflüchteten aus der Ukraine Multi-Drug-Resistenzen an Relevanz gewinnen.
Ein Thema dabei sind die Klebsiellen. Hier zeigt sich in Deutschland seit März 2022 ein Anstieg von sowohl Infektionen als auch Kolonisierungen mit Klebsiella pneumoniae Subtypen, die NDM-1 und NDM-1/OXA-48 produzieren. Mit Hilfe genomischer und epidemiologischer Analysen konnte dieser Anstieg auf die Aufnahme der Geflüchteten aus der Ukraine zurückgeführt werden. NDM ist ein Resistenzfaktor, konkret eine Carbapenemase, die Carbapenem-Antibiotika zerlegt und damit teilweise unwirksam macht.
Carbapenemase-produzierende Enterobakterien (CPE) sind in Deutschland mit gewissen regionalen Unterschieden seit etwa zehn Jahren meldepflichtig. 2012 beispielsweise gab es in Deutschland 414 labordiagnostisch untersuchte Proben mit CPE-Nachweis, davon 11 % Klebsiellen, und die wiederum überwiegend mit NDM- bzw. OXA-48 Nachweis. Nach einem Peak im Jahr 2019 waren die Inzidenzen während der Pandemie zunächst rückläufig, bevor sie im Laufe des Jahres 2021 wieder das Vor-Pandemie-Niveau erreichten. Ab März 2022 gab es dann einen steilen Anstieg, der aber nicht alle CPE, sondern recht selektiv die NDM-produzierenden Klebsiellen betraf. (Siehe Abbildung.)
Links: NDM-produzierende Klebsiellen seit 2017 im Monatsverlauf. Die blaue Kurve zeigt sämtliche Nachweise, die roten Balken jene mit nachgewiesener oder sehr wahrscheinlicher Exposition in der Ukraine. Rechts: Der Anstieg betrifft in erster Linie NDM-Klebsiellen (blaue Kurve) sowie in geringerem Umfang Klebsiellen mit OXA-48 Nachweis (dunkelgrün). KPC-2-, VIM-1 und NDM-5 Klebsiellen sind konstant oder nur leicht ansteigend. Credit: Sandfort M et al. (2022).
Mindestens jeder Vierte mit Labornachweis von NDM-Klebsiellen war vorher in der Ukraine, während der Ukraine-Anteil bei Patienten mit anderen, Nicht-Klebsiellen-CPE vernachlässigbar klein war. Beobachtet wurde allerdings ein jedoch viel dezenterer Anstieg bei anderen NDM-produzierenden Enterobakterien. Verglichen mit NDM-Klebsiellen-Nachweisen bei Menschen aus anderen Regionen sind die Betroffenen jünger und häufiger nur kolonisiert. Bei Infektionen dominieren Wundinfektionen, was dafür spricht, dass überdurchschnittlich viele evakuierte Menschen betroffen sind. Die „normale“ Lokalisation für NDM-Klebsiellen sind die Harnwege.
Für einige Infektions- bzw. Kolonisations-Cluster konnten genomische Analysen durchgeführt werden. Das größte Cluster umfasste 38 Isolate, wovon für 17 ein Aufenthalt in der Ukraine bekannt war. Dies spreche dafür, dass die Übertragungen zumindest teilweise bereits in der Ukraine stattgefunden hätten, so die Autoren. Es gebe innerhalb dieses Clusters aber auch klar dokumentierte Fälle einer Transmission in Deutschland. Ein anderes, kleineres Cluster war komplett in Deutschland, oder scheinbar komplett in Deutschland, und es betraf zwei benachbarte Krankenhäuser, sodass eine nosokomiale Transmission als sehr wahrscheinlich angesehen wird.
Als Konsequenz aus den zunehmenden Detektionen nach Beginn des Ukraine-Kriegs empfiehlt die ECDC seit März, bei Menschen mit Krankenhausaufenthalt in der Ukraine ein Screening auf Multi-Drug-resistente Organismen (MDRO) durchzuführen. Insgesamt spreche der Gesamt-Pattern mit dem selektiven Anstieg der NDM-Klebsiellen aber dagegen, dass es sich um einen Screening-Effekt handele, betonen die Autoren. Es scheine eine gewisse epidemische Ausbreitung zu geben. Was die klinischen Resistenzen der Erreger angeht, sind die unterschiedlich, sodass Sensibilitäts-Tests nötig sind. Nachgewiesen wurden bei diesen Keimen Resistenzen gegen Meropenem und Imipenem, aber auch gegen Nicht-Carbapeneme wie Piperacillin/Tazobactam und teilweise Ceftazidim und Aztreonam. Letzteres scheint aber dosisabhängig zu sein. Bewährt haben sich bei schweren Infektionen mit den ukrainischen NDM-Klebsiellen ein Therapieversuch mit der Kombination aus Aztreonam mit Ceftazidim-Avibactam, so die ECDC.
Auch aus den Niederlanden kommt ein Bericht über einen deutlichen Anstieg unterschiedlicher MDRO, darunter neben CPE auch noch Carbapenemase-produzierende Pseudonomas aeruginosa (CPPA), Carbapenem-resistente Acinetobacter baumannii (CRAB) sowie Methicillin-resistente Staphylokokken (MRSA). Klarere Risikofaktor sei eine kürzliche Krankenhausbehandlung im Ausland, insbesondere in der Ukraine. Auch hier ist der Anteil von Kolonisierungen vergleichsweise hoch und das Alter der Betroffenen eher niedrig, und auch die Niederländer können aufgrund genetischer Analysen einen reinen Screening-Effekt weitgehend ausschließen. Anders als in Deutschland gab es allerdings in den Niederlanden bisher keine eindeutigen, nosokomialen Cluster innerhalb des Landes.
Bildquelle: Jordan Ladikos, unsplash