Wir in den Apotheken haben Medikamente gehamstert und sind schuld an den aktuellen Engpässen – zumindest wirft die Politik uns das vor. Haben die den Verstand verloren?
Daniela Hänel, 1. Vorsitzende der Freien Apothekerschaft, ist empört über den Umgang mit den Apotheken hierzulande. „In keinem Land der Welt wird mit Apotheken politisch derart ungerecht umgegangen – und auch nicht mit den anderen Leistungserbringern im Gesundheitswesen!“ Was sie so wütend macht, sind die Aussagen der gesundheitspolitischen Sprecherin der SPD, Heike Baehrens, welche die Apotheken vor Ort für die Lieferengpässe mitverantwortlich macht. Sie hätten gehamstert und damit dazu beigetragen, dass es zu Verteilungsproblemen, unter anderem bei Fiebersäften für Kleinkinder, gekommen sei.
Was viele Apothekenmitarbeiter in diesem Zusammenhang besonders ärgert, sind auch die Aussagen des BfArM, dass es sich bei der derzeitigen Lieferproblematik teilweise um ein selbstgemachtes Problem handle, das mit überproportional hohen Bestellungen der Apotheken und der vollversorgenden Großhändler zu tun habe.
Wörtlich findet man auf der Homepage folgenden Passus: „Um regionalen Unterversorgungen vorzubeugen wird dringend empfohlen, eine Bevorratung, die über das Maß eines wöchentlichen Bedarfs hinausgeht, sowohl in Apotheken als auch im vollversorgenden pharmazeutischen Großhandlungen zu unterlassen. Eine Bevorratung im üblichen Umfang oder darüber hinaus ist mit den aktuellen Beständen nicht realisierbar bzw. wird zu einer Unterversorgung an anderer Stelle führen. Dieser Appell richtet sich insbesondere an öffentliche Apotheken und Großhandlungen.“
Untermauert wird diese Unterstellung noch mit einer Grafik, die das angebliche Fehlverhalten unterstreichen soll:
Credit: BfArM
Ein Anstieg von 18 % bezogen auf das Jahr 2019 also – das BfArM hätte sich hier besser einmal mit den Experten des Robert-Koch-Instituts ins Vernehmen gesetzt. Dann hätten sie vielleicht auch erfahren, dass wir es in diesem Jahr mit einer besonders starken Welle an Atemwegserkrankungen zu tun haben, verglichen mit den Jahren vorher. Da ist ein gesteigertes Einkaufsvolumen durchaus normal und hat nichts mit hamstern zu tun. Das ist schlicht der Akutbedarf, der jetzt gerade benötigt wird. Zudem hatten viele Apotheken ihren Lagerbestand an Fiebersäften in den vergangenen zwei Corona-Jahren deutlich heruntergefahren, denn die großen Erkältungswellen blieben in den Jahren 2020 und 2021 durch die Maskenpflicht, den Abstand und die Lockdowns aus.
Hänel ahnt, warum solche Meldungen platziert werden: „Hier will sich die Politik reinwaschen und zeigt aus dem bequemen Bürosessel absolut ungerechtfertigt mit dem Finger auf uns Apotheken, die wir unsere Finger wiederum wund telefonieren mit Arztpraxen wegen Austausch von Arzneimitteln, mit Herstellern und Großhändlern, die Patienten beruhigen und alles versuchen, um an Ware zu kommen.“
Trotzdem versuchen die Apotheken vor Ort weiterhin alles, um die Lücke zu schließen. Fiebersäfte und Fieberzäpfchen werden nun in der Rezeptur hergestellt. Inzwischen darf man – zumindest bei den Ersatzkassen – auch ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt und ohne neu ausgestelltes Rezept das verordnete Fertigarzneimittel durch eine selbst angefertigte Rezeptur ersetzen. Zumindest versuchen das die Apotheken, deren Personaldecke inzwischen nicht so sehr ausgedünnt ist, dass eine Eigenherstellung deshalb unmöglich ist.
Die Freie Apothekerschaft sieht in den jetzigen Lieferengpässen ausschließlich das Resultat einer verfehlten Gesundheitspolitik, die „jahrzehntelang den Billigkurs und das Diktat der Krankenkassen gegenüber der pharmazeutischen Industrie unterstützt und nicht gegengesteuert hat“. Damit sei das Abwandern der pharmazeutischen Hersteller in Billiglohnländer mit all den Problemen erklärt, die uns jetzt und hier die Versorgungsprobleme bereiten. Auf die Pressemitteilung des Vereins meldeten sich nach Aussage Hänels „sehr viele Apothekeninhaber und vereinzelt ein paar Mitglieder des Bundestages, die diese Kritik unterstützen“.
Sie erlebt viele ihrer Kollegen als so demotiviert, dass ihnen ein Überlebenskampf kaum mehr möglich erscheint. Besonders wenn vom Spitzenverband der GKV noch zu hören ist, dass der erhöhte Aufwand, den die Apotheken mit den Lieferengpässen haben, „in keinem Fall vergütet wird“, dann fragen sich doch viele, warum man hier überhaupt noch Zeit, personelle Ressourcen und Nerven investieren soll. Für die diskreditierenden Aussagen, man hamstere in den Apotheken Arzneimittel, so dass diese dem Markt nicht mehr zur Verfügung stehen, erwarten die Mitglieder der Freien Apothekerschaft daher eine Entschuldigung von höchster Ebene.
Auch die Tatsache, dass die Apotheken ab dem 1. Februar kommenden Jahres befristet auf zwei Jahre einen erhöhten Kassenabschlag von 2 Euro pro Packung zahlen müssen, trägt nicht gerade dazu bei, hier die Motivation zu steigern. Wenn alles immer nur immer billiger werden soll hat sich bei diesem Beispiel eindrücklich gezeigt, wohin das führt. Wenn noch mehr Apotheken in den kommenden Monaten ihre Türe für immer abschließen, wird das die Versorgungslage nicht verbessern.
Fehlende Fiebersäfte sind ein Problem. Doch weiter geht es mit Antibiotikasäften, deren rezepturmäßige Herstellung in der Apotheke derzeit offenbar ebenfalls vorbereitet wird. Die Politik täte gut daran, die Apotheken nicht weiter zu verprellen, wenn sie sich hier die volle Unterstützung wünschen. Müssen die Apothekenleiter weiterhin sparen und können keine Mitarbeiter einstellen, die sich um Rezeptur und Pharmazeutische Dienstleistungen kümmern, dann ist auch so eine Zusatzleistung – wie sie jetzt offenbar vonnöten ist – nicht mehr leistbar.
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