„Wie, ich soll mir jetzt eine Krankenkasse suchen?“ So gings mir, kurz nachdem ich nach Deutschland gezogen war. Wie ich den Kassen-Dschungel erlebe und wie das Ganze in Österreich funktioniert, lest ihr hier.
Vor gut einem Jahr bin ich ins schöne Deutschland gezogen. Raus aus der Alpenrepublik, rein ins moderne Großstadtleben. So habe ich mir das – zugegebenermaßen vielleicht etwas naiv – vorgestellt. Und in vielen Aspekten ist es auch genauso gelaufen! In manchen jedoch … eher nicht. Ein großer Dämpfer für meine Umzugseuphorie: Die deutsche Krankenversicherung. Oder genauer gesagt, das System drumherum. Oft habe ich mir die vielleicht blöde Frage gestellt: Muss das so?
Ich war sehr verwöhnt, das weiß ich jetzt. In Österreich musste ich mich nicht selbstständig um meine Krankenversicherung kümmern, das übernimmt der Arbeitgeber komplett. Warum das geht? Weil es einfach keine Wahl gibt (dazu später mehr). In Österreich ist die Krankenversicherung Teil des Gesundheits- und Sozialversicherungssystems und somit eine Pflichtversicherung – jeder muss einzahlen. Man kann auch eine private Zusatzversicherung abschließen, sollte man Zusatzleistungen, wie beispielsweise Einbettzimmer im Krankenhaus, haben wollen.
Laut der Österreichischen Gesundheitskasse werden jeden Monat 18 % des Bruttolohns- oder Gehalts für den Sozialversicherungsbeitrag abgezogen. 7,65 % (3,87 % Arbeitnehmer- und 3,78 % Arbeitgeberbeteiligung) gehen dabei im Arbeiter- oder Angestelltenverhältnis an die Krankenversicherung. Selbstständige zahlen die 7,65 % komplett aus eigener Tasche. Grundsätzlich ist die Versorgung durch den Gesetzgeber festgelegt. Sie unterscheidet sich nicht zwischen den Ländern und ist von den abgedeckten Leistungen her ungefähr mit Deutschland zu vergleichen. Wer nachlesen möchte, was alles im Detail abgedeckt wird, wird hier fündig. Geringfügige Unterschiede gibt es bei selbstständigen Arbeitnehmern, aber im Großen und Ganzen ist es ein für den Arbeitnehmer sehr einfaches und leicht zu handhabendes System– weil man nichts tun muss. So weit, so gut.
Ich packe also meine Siebensachen zusammen und ziehe in die große weite Welt, trete meinen neuen Job in Deutschland an, schlag mich mit einer absoluten Engelsgeduld (ok, das war geflunkert) mit Amtsterminen rum – der übliche Umzugsstress eben. Was dabei, auch auf Grund meiner zuvor fehlenden Recherche, muss ich gestehen, hintenüberfiel: Ich hatte, bevor ich nach Deutschland gezogen bin, absolut keine Ahnung vom hiesigen Krankenkassensystem. Da war dann mein Partner, der mich nebenbei fragte: „Und, hast du dir schon deine Krankenkasse ausgesucht?“ Wie, meine Krankenkasse ausgesucht?
Wie bereits erwähnt, in Österreich gibt es keine Wahl der Krankenkasse, sie hängt nur von der zugehörigen Berufsgruppe ab. Es gibt (mittlerweile) nur ganze 3 Kassen: die Österreichische Gesundheitskasse für alle Arbeiter und Angestellten, die Sozialversicherung der Selbstständigen und die Versicherungsanstalt für den öffentlichen Dienst und Schienenverkehrsunternehmen. Das ist für den Arbeitnehmer natürlich sehr einfach und braucht, verglichen mit den sage und schreibe 97 Krankenkassen Deutschlands, natürlich deutlich weniger Verwaltungsbudget. Was neben den wahrscheinlich logistischen und verwalterischen Schwierigkeiten noch mit diesen 97 Kassen kam, war meine Überforderung. Erst gar keine Wahl, jetzt die Qual der Wahl.
So sehr ich persönlich den Sinn hinter dieser Menge an Kassen, die in vielen Fällen dieselben oder nur minimal andere Leistungen anbieten, nicht verstehe – so sehr schätze ich auch das Prinzip der freien Wahlmöglichkeit und Autonomität, das dadurch entsteht. Ich sehe das Argument für die Wahlmöglichkeit und finde es klasse, diese zu haben. Ein echter Pluspunkt am deutschen System. Ich stelle aber auch in Frage, ob es wirklich so viele Wahlmöglichkeiten sein müssen.
Ich sitze also in einem mir neuen Land, dessen Sprache ich Gott sei Dank (!) mächtig bin und versuche, die schiere Masse an Krankenkassen zu vergleichen. Klar, es gibt ein paar Übersichtsblätter, die die größten Kassen und ihre Leistungen halbwegs zusammenfassen. Aber das Gefühl, ich wüsste, was ich tue und wo ich mich mit meiner persönlichen Krankengeschichte am besten versichere, hatte ich selbst nach langer Recherche nicht. Es ist einfach zu undurchsichtig. Meiner bescheidenen Laienmeinung nach, sind 97 Kassen einfach zu viel, um effizient funktionieren zu können – und das auf allen Ebenen.
Verglichen mit den 7,65 % Krankenkassenbeitrag in Österreich, erscheinen mir die 14,6 % in Deutschland schon unverhältnismäßig hoch. Und das bei quasi gleicher, wenn nicht sogar regional schlechterer, Versorgung. Klar, Deutschland ist auch deutlich größer als Österreich, das darf bei der Rechnung nicht unter den Tisch fallen. Es gilt deutlich größere Infrastrukturen aufrechtzuerhalten, deutlich mehr Menschen zu versorgen und Personal zu bezahlen – und gefühlt 17-mal das E-Rezept einzuführen und dann doch wieder nicht! Aber es gibt eben auch deutlich mehr, wahrscheinlich oft überflüssige, Bürokratie und Verwaltung. Muss das sein? Eine naive Frage könnte etwa lauten: Wirtschaftet da eventuell wer in die eigene Tasche?
Ebenfalls interessant finde ich, dass man sich von der Versicherungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen freikaufen kann, sobald man eine Einkommensgrenze überschreitet. Aber das ist nochmal ein ganz anderes Thema. Über die Jahre gesehen gibt es freilich eine Tendenz zu weniger Krankenkassen. Mit den 1970 noch über 1.800 Kassen, können die 97 Kassen heute eh nicht mehr mithalten – zum Glück für meine persönliche Recherche.
Natürlich spreche ich aus Patientensicht, als zugezogener Laie, als „Daheim ist alles besser“-Mensch (ich hoffe, das bin ich nicht, aber es kommt wahrscheinlich oft so rüber). Aber ich denke, aus solchen Anekdoten kann man auch viel gewinnen. Mit einer frischen Außensicht kommen frische Ideen. Mit anderen Erfahrungen kommen andere Vorschläge und nur so kann ein allgemeines Umdenken stattfinden. Ich sage nicht, dass ich mich dafür geeignet sehe, um Gottes Willen. Aber ich würde mir wünschen, dass man in einem Land, in dem so vieles (auch im gerade sehr strapazierten Gesundheitswesen) trotzdem so gut funktioniert, einfach nicht stehenbleibt und neuen Ideen Gehör schenkt – damit es für uns alle noch besser werden kann.
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