Seit Jahrzehnten verwenden wir Chlorthalidon und Hydrochlarothiazid – aber bisher hat sich niemand angeschaut, welches das bessere Diuretikum ist. Warum eigentlich?
Manche Dinge müssen einfach mal geklärt werden. Dazu gehört die Frage, ob das Thiazid-Diuretikum Hydrochlorothiazid (HCT) oder das Thiazid-Analogon Chlorthalidon das bessere Diuretikum für Patienten mit arterieller Hypertonie ist. Chlorthalidon wurde in den USA schon 1960 zugelassen und war dort lange Zeit das Thiazid-Diuretikum der Wahl. Erst 1977 erfolgte die FDA-Zulassung von HCT, zunächst ohne große Konsequenzen. In den letzten Jahren hat sich dann HCT langsam in den Vordergrund geschoben. Heute wird in den USA HCT häufiger verordnet.
In Deutschland ist das anders bzw. war das schon immer so: Deutschland ist HCT-Land aus Leidenschaft. Chlorthalidon war und ist erhältlich, es hat einige glühende Anhänger, fristet im Großen und Ganzen aber eine eher prekäre Existenz an den Rändern der antihypertensiven Gesellschaft.
Die Unterschiede wurden oft beschrieben: Chlorthalidon hat eine längere Halbwertszeit von um die zwei Tage, während HCT nur auf 6 bis 12 Stunden kommt. Chlorthalidon ist außerdem potenter, was den zentralen Wirkmechanismus aller Thiazide angeht, also die Hemmung des Natriumrücktransports im frühdistalen Tubulus sowie in gewissem Umfang die Hemmung der Carboanhydrase. Es gab deswegen die Hypothese, dass Chlorthalidon hinsichtlich Blutdrucksenkung effektiver sein könnte. Gleichzeitig geht aufgrund der höheren Potenz mehr Kalium verloren. Sicherheitsfans waren deswegen traditionell im HCT-Lager.
Da sich weder mit Chlorthalidon noch mit HCT in nennenswertem Umfang Geld verdienen lässt, wurde die Frage aller Hypertonie-Fragen – Was ist besser: Chlorthalidon oder HCT? – nie von industriegesponsorten Studien beantwortet. Akademiker wiederum hatten entweder nicht das nötige Geld für eine randomisierte Studie. Oder sie waren letztlich doch nicht wirklich interessiert an den Ergebnissen für zwei Substanzen, die ohnehin aus Zeiten stammen, in denen das Konzept randomisierter Studien noch nicht wirklich existierte.
Wie auch immer, das Diuretic Comparison Project (DCP) hat sich der Sache angenommen. Die bereits im Sommer kurz vorgestellten Ergebnisse wurden jetzt im New England Journal publiziert – in Form einer großen, vergleichenden, randomisierten, allerdings nicht verblindeten Studie, an der 13.523 Hypertoniker im Alter von über 65 Jahren teilnahmen. Das Design war so, dass es sich ausnahmslos um Patienten handelte, die zunächst HCT eingenommen hatten, entweder 25 mg oder (selten) 50 mg pro Tag. Nach Randomisierung wurde die Therapie dann entweder fortgeführt, oder die Patienten wurden auf 12,5 mg bzw. 25 mg Chlorthalidon umgestellt.
Primärer Endpunkt war ein Komposit aus nicht-tödlichem Myokardinfarkt oder Schlaganfall, Herzinsuffizienzepisode mit Krankenhauseinweisung, notfallmäßige Revaskularisierung wegen instabiler Angina pectoris oder nicht-krebsbedingter Tod. Der mittlere systolische Blutdruck betrug zu Studienbeginn in beiden Gruppen 139 mmHg. Nach im Median 2,4 Jahren hatte es bei 10,4 % der Patienten in der Chlorthalidon-Gruppe und bei 10 % der Patienten in der HCT-Gruppe ein Endpunktereignis gegeben. Das war genauso insignifikant, wie es klingt. Es gab auch keine relevanten Subgruppen, die von dem einen oder anderen mehr profitiert hätten. Signifikant günstiger schnitt HCT allein bei den Hypokaliämien ab: Sie traten bei 4,4 % der Patienten auf, gegenüber 6 % bei Chlorthalidon-Therapie (p < 0,001). Auch Krankenhauseinweisungen wegen Hypokaliämie waren mit 1,5 % versus 1,1 % etwas häufiger, wobei das die Signifikanz knapp verfehlte.
Die DCP-Studie war eine pragmatische Studie mit Rekrutierung auf Basis elektronischer Patientenakten. Das hat Vorteile, denn es macht randomisierte Studien ohne externen Financier vergleichsweise günstig. Es hat aber auch Nachteile: Neben der fehlenden Verblindung könnte man argumentieren, dass Chlorthalidon strukturell benachteiligt war, weil eine gut funktionierende HCT-Therapie quasi das Einschlusskriterium war. Die Autoren der Studie küren deswegen auch keinen Sieger, sondern werten die Ergebnisse als ein Unentschieden. Einen Grund, Patienten mit funktionierender HCT-Therapie auf Chlorthalidon umzustellen, liefert die DCP-Studie jedenfalls nicht. Vermutlich gilt das auch umgekehrt, doch diesen Schluss lässt die Studie aufgrund ihres Designs nicht zu.
In einem begleitenden Editorial weist die Nephrologin Julie Ingelfinger vom Massachusetts General Hospital darauf hin, dass die Ergebnisse aus ihrer Sicht nicht überraschend seien und das die Bedeutung der DCP-Studie eher darin liege, dass sie zeige, wie randomisierte Studien im digitalen Zeitalter so kostengünstig und organisationsunaufwändig durchgeführt werden können, dass sie auch dann bezahlbar und umsetzbar sind, wenn kein Sponsor vorhanden ist.
Das eigentlich Erstaunliche am DCP-Projekt, so Ingelfinger, bestehe darin, dass es 62 Jahre nach Erstzulassung von Chlorthalidon und 45 Jahre nach Erstzulassung von HCT der erste direkte, randomisierte Vergleich überhaupt zwischen diesen beiden Diuretika sei. Die leichten Vorteile, die Chlorthalidon in der DCP-Studie bei Patienten gehabt habe, die eine Infarkt- oder Schlaganfallanamnese aufwiesen, will Ingelfinger nicht überinterpretieren. Dies könne auch Zufall sein, so die Nephrologin.
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