Die FDA hat das Alzheimer-Medikament Lecanemab zugelassen. Allerdings machen jetzt Berichte über mysteriöse Zwischenfälle die Runde. Was es damit auf sich hat, lest ihr hier.
Nachdem im November die neusten Phase-III-Studienergebnisse zu Lecanemab veröffentlicht wurden, hat die FDA das Alzheimer-Medikament jetzt zugelassen. Damit ist es nach Aducanamab, dessen Zukunft derzeit unklar ist, die zweite zugelassene Alzheimer-Therapie, die sich spezifisch gegen Beta-Amyloid richtet – und sie ist wegen möglicher Sicherheitsbedenken nicht weniger umstritten als ihre Vorgängerin.
Zur Erinnerung: Mit Aducanamab wurden erst zwei große Studien wegen fehlender Benefits vorzeitig abgebrochen. Dann zeigte sich doch ein Vorteil in einer Subgruppen-Analyse und es folgte eine höchst umstrittene FDA-Zulassung. In der EU wurde das Medikament gar nicht erst zugelassen. Wiederholt sich das Spiel nun mit Lecanemab?
Die Ergebnisse der CLARITY-AD-Studie mit knapp 1.800 Teilnehmern stimmten Alzheimer-Experten zunächst vorsichtig optimistisch: Lecanemab konnte im Vergleich zu Placebo den fortschreitenden Verlust kognitiver Funktionen um 27 % verlangsamen. Auch der zweite sekundäre Endpunkt – die Reduktion der Amyloid-Ablagerungen im Gehirn – wurde mit dem Antikörper erreicht (wir berichteten). Damit schnitt Lecanemab schon mal etwas besser ab als Aducanamab, das in einer vergleichbaren klinischen Studie den Rückgang kognitiver Funktionen „nur“ um 22 % verlangsamte.
Allerdings machen jetzt Berichte über Zwischenfälle beim Einsatz der Lecanemab-Therapie die Runde: Drei Teilnehmer der Studie hatten Schlaganfälle erlitten und waren in der Follow-Up-Phase gestorben. Darüber hatte im November unter anderem schon das Magazin Science berichtet. Jetzt ist der detaillierte Fallbericht über eine Patientin im NEJM erschienen.
Die Frau litt an beginnendem kognitivem Verlust und war homozygot für das Allel APOE ε4, was ein bekannter genetischer Risikofaktor für die Entstehung der Alzheimer-Krankheit ist. Die 65-Jährige hatte an der CLARITY-AD-Studie teilgenommen, jedoch ist unklar, ob sie in die Placebo- oder Verumgruppe randomisiert wurde. An der anschließenden Open-Label-Phase nahm sie ebenfalls teil und erhielt drei Dosen Lecanemab im Abstand von je 2 Wochen. 4 Tage nach der letzten Infusion musste die Frau wegen eines ischämischen Schlaganfalls in einer Klinik behandelt werden. Dort fanden die Ärzte im CT einen Verschluss in einem Ast der Arteria cerebri media und leiteten daraufhin eine Lysetherapie mit tPA ein. Laut der Autoren des Berichts hatte es bei ihrer Patientin keine Kontraindikationen dafür gegeben.
Kurze Zeit später entwickelte sich allerdings eine hypertensive Krise, was den Abbruch der Therapie erforderlich machte. Im CT waren nun ausgedehnte, multifokale, intraparenchymatöse Blutungen zu sehen. Der Zustand der Patientin verschlechterte sich trotz Behandlung mit Kryopräzipitat und Tranexamsäure zusehends. 3 Tage später zeigte ein Kopf-MRT einen akuten thalamokapsulären Infarkt rechts und unzählige multifokale kortikale und subkortikale Blutungen mit Ödemen in der Umgebung. Am nächsten Tag starb die Patientin.
Die Autopsie ergab – neben ausgedehnter multifokaler intraparenchymatöser Blutungen – eine zerebrale Amyloid-Angiopathie, „hochgradige“ neuropathologische Veränderungen der Alzheimer-Krankheit und eine diffuse Vaskulitis mit nekrotisierender Vaskulopathie mit Amyloidablagerungen innerhalb der Blutgefäßwände. Wie die Autoren schreiben, seien die große Anzahl und die unterschiedlichen Größen der Hirnblutungen bei dieser Patientin als Komplikation von tPA ungewöhnlich.
Die Frage ist nun, ob die ausgedehnten Amyloid-Ablagerungen aufgrund der Alzheimer-Erkrankung die Blutungskomplikation begünstigt haben könnten – oder ob es nicht eher die Entfernung von Amyloid durch Lecanemab war, die zur Katastrophe führte. Der Leiter der CLARITY-AD-Studie weist in einer Antwort, die ebenfalls in NEJM erschienen ist, darauf hin, dass es bei einer zerebralen Amyloid-Angiopathie (CAA) auch ohne eine Behandlung mit Antiamyloid-Medikamenten zu katastrophalen Blutungen kommen könne.
Eisai, der japanische Hersteller von Lecanemab, erklärte nach Veröffentlichung des Berichts über Todesfälle in Science, dass es unangemessen sei, Schlussfolgerungen auf der Grundlage von Einzelfällen zu ziehen. Die Todesfälle seien, wie vorgeschrieben, an die FDA gemeldet worden. Die FDA schreibt in der Zulassung indes vor, dass der Beipackzettel von Lecanemab einen Warnhinweis zu Amyloid-Related Imaging Abnormality (ARIA) enthalten muss.
ARIA sind radiologisch feststellbare Veränderungen in der zerebralen Bildgebung, die bei Patienten mit Alzheimer-Krankheit unter Therapie mit Amyloid-senkenden Therapien auftreten können. Die von der FDA verlangte Warnung besagt, dass Patienten in den ersten 14 Wochen klinisch im Hinblick auf mögliche ARIA hin überwacht werden wollen und dass bei verdächtigen Symptomen eine MRT-Untersuchung erfolgen sollte. Auch symptomunabhängige, gelegentliche MRT-Untersuchungen werden zumindest vorgeschlagen. Was im Falle von ARIA getan werden sollte, dazu äußert sich die FDA aber nicht – über eine Fortführung der Therapie solle dann klinisch entschieden werden, so die Behörde.
Bildquelle: Cassi Josh, unsplash.