… muss kein Arzt verwehren. Vor einer OP unter Narkose dürfen Patienten nichts essen, das ist klar. Aber eine niederländische Studie zeigt, dass bisherige Regelungen zum Trinken zu streng sein könnten.
Zur OP bitte nüchtern erscheinen, sonst wird verschoben – so weit, so bekannt. Was nüchtern bedeutet, haben Anästhesisten klar festgelegt: Deutsche und europäische Leitlinien sehen vor einem geplanten Eingriff einen 6-stündigen Zeitraum vor, in denen der Patient keine Nahrung zu sich nehmen darf, um einer Aspiration von Mageninhalten vorzubeugen. Bei klaren Flüssigkeiten ist dieses Risiko geringer. Dementsprechend großzügiger sind hier die Vorgaben und somit beschränkt sich die Karenz für die reine Flüssigkeitsaufnahme in kleinen Mengen auf zwei Stunden vor der OP.
Aber trotzdem hapert es immer wieder an der Umsetzung dieser Regeln. Patienten werden teils unnötigerweise angehalten, auch 6 Stunden auf Flüssigkeitsaufnahme zu verzichten. Auf der anderen Seite gewinnt bei einigen Patienten kurz vor der geplanten Operation doch der Durst und sie trinken eine Stunde vor der OP noch ein Glas Wasser. Muss dann in diesem Fall der ganze Operationsplan umgeworfen werden? Nein, befindet nun eine niederländische Studie.
Vor ein paar Jahren führte das Universitätsklinikum Utrecht eine großzügiger ausgelegte Karenz-Politik ein. Diese erlaubte den meisten Patienten die Aufnahme klarer Flüssigkeiten bis zum Eintreffen im OP-Saal, solange eine Höchstmenge von einem Glas pro Stunde (ca. 150 ml) nicht übertroffen wurde. Die Dauer der Nahrungskarenz wurde dabei jedoch nicht angetastet. Grundlage für diese Entscheidung bildeten einige Studienergebnisse aus dem pädiatrischen Bereich, die nahelegten, dass ein kleineres Zeitfenster ohne eine Beeinträchtigung der Patientensicherheit machbar ist – und mit einigen Vorteilen, wie verbessertem Wohlbefinden vor und nach der OP, einhergehen.
Ein Team der Utrechter Anästhesie verfolgte die stufenweise Einführung dieser neuen Regelung in Hinblick auf das Wohlbefinden und die Sicherheit von erwachsenen Patienten. In die Analyse wurden nur Patienten eingeschlossen, die sich einem geplanten Eingriff unterzogen. Notfall-OPs und obstetrische Prozeduren wurden nicht betrachtet. Zu ihrer Sicherheit mussten Patienten, die in der Vergangenheit bereits aspiriert hatten oder die unter einer Gastroparese litten, sich weiterhin an die Standardregelung halten. Primär erhoben die Forscher dabei die Zeitspanne ohne Flüssigkeitsaufnahme vor der OP. Sekundäre Outcomes waren das Auftreten von Regurgitationen und Aspirationen, sowie postoperative Übelkeit und Erbrechen. Auch das Durstgefühl der Patienten wurde teilweise erhoben.
Über einen Gesamtzeitraum von 5 Jahren (2016–2021) wurden die Daten von 76.451 Patienten ausgewertet (durchschnittlich 56 Jahre alt, 52 % männlich). Der Großteil der Patienten unterlag noch dem alten, den Leitlinien entsprechenden Standardprotokoll von 2 Stunden Flüssigkeitskarenz (59.636 Patienten, 78 %); 19.815 Patienten (22 %) folgten jedoch der neuen liberalen Regelung. Durch Einführung dieser reduzierte sich die mittlere Zeit ohne Flüssigkeitsaufnahme von 3:07 h (1:36–7:22 h) auf 1:20 h (0:48–2:24 h).
Das kam den Patienten entgegen: Sie beklagten vor ihren Eingriffen weniger Durst (37 % [4.982/8.615 Patienten] vs. 46 % [3.373/7.362 Patienten] bei Standardregelung). Auch Übelkeit und Erbrechen nach der OP nahmen durch die Umstellung von 10,6 % [6.339/65.636] auf 9.4 % [1.587/16.815] ab, dementsprechend wurden auch weniger Antiemetika verwendet (9,5 % [1.592 / 16.815] vs. 11,0 % [6.538/65.636] bei Standardregelung).
Das ging allerdings auch mit einem etwas häufigeren Auftreten von Regurgitationen einher. Unter der Standardregelung kam es in 105 Fällen zu einer Regurgitation, was einer Rate von 18 / 10.000 Patienten entspricht (95 %CI, 14–21); nach Einführung des neuen Protokolls steigerte sich diese auf 24 / 10.000 (95 % CI, 17–32) bei 41 Fällen. Bei 14 dieser insgesamt 146 Patienten kam es auch gesichert zu einer Aspiration. Somit ergab sich eine Inzidenz von 1,7 / 10.000 (95 % CI, 0,6–2,7) unter Standardregelung und 2,4 / 10.000 (95 % CI, 0,5–4,7) unter der großzügigeren Regelung. Besonders betroffen waren dabei übergewichtige Patienten und solche, die sich einer Endoskopie unterzogen.
Die Autoren weisen allerdings darauf hin, dass die Studie zu klein angelegt war, um die Sicherheit der Intervention fundiert einschätzen zu können. Durch die geringen Fallzahlen konnte eine Unterlegenheit des liberalen Protokolls nicht belegt werden. Außerdem fiel auf, dass die Inzidenz an Regurgitationen in beiden Gruppen grundsätzlich höher war, als aus den bisherigen Erfahrungswerten des Krankenhauses erwartet (von 2013–2017 lag diese bei 7 / 10.000). Die Inzidenz bewegte sich dabei aber trotzdem noch in einem normalen Rahmen.
Insgesamt kommen die Autoren also zum Schluss: „Auch wenn eine geringfügig höhere Inzidenz von Regurgitationen nicht ausgeschlossen werden konnte, kann eine breitere Umsetzung einer solchen Politik befürwortet werden, da die Ergebnisse noch innerhalb der klinisch akzeptierten Risikomargen liegen.“ Denn die Einführung einer großzügigen Karenzregelung in Bezug auf Flüssigkeiten sei auch mit einem verbesserten Patientenwohlbefinden assoziiert.
Natürlich lässt sich eine Verzerrung der Ergebnisse nicht ausschließen, da es sich lediglich um eine Beobachtungsstudie handelt. Dennoch handelt es sich nach Angabe der Autoren um die bislang größte Studie zur Flüssigkeitsaufnahme vor OPs bei Erwachsenen. Und eine Sache wird recht deutlich: Dass Operationen bei Patienten, die versehentlich innerhalb von 2 Stunden vor der geplanten Narkoseeinleitung etwas trinken, auch bei einer standardmäßigen Regelung nicht zwingend verschoben oder abgesagt werden müssen.
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