Aphthen im Mund sind eine Volkserkrankung – lästig, aber am Ende harmlos. Harmlos? Nicht immer, wie diese Kasuistik aus der HNO-ärztlichen Praxis zeigt.
Patienten mit rezidiverenden oralen Aphthen sind in der HNO-Praxis nicht selten, ca. 20 Prozent der Bevölkerung sind davon betroffen. Meist ist diesen Patienten selbst die Symptomatik nicht neu und die Aphthen heilen unter der Behandlung mit lokal betäubenden Gelen in sieben bis zehn Tagen ab. Die Ursachen der benignen oralen Aphthen sind bisher nicht bekannt, begünstigende Faktoren sind erbliche Vorbelastung, Lebensmittelunverträglichkeiten (v. a. von histaminreichen Produkten), Stress, Schleimhautverletzungen, Hormone oder ein geschwächtes Immunsystem.
Nicht so bei diesem 35-jährigen Patienten, der sich mit einer seit fünf Tagen bestehenden Aphthe an der Innenseite der Unterlippe vorstellte. Anamnestisch gab er an, immer wieder unter oralen Aphthen zu leiden. Bei der HNO-ärztlichen Untersuchung stellte sich ein ca. 0,5 cm großes, scharf begrenztes Ulcus mit weißlichem Grund an der Innenseite der Unterlippe dar. Die übrigen Spiegelbefunde waren unauffällig. Zunächst wurden dem Patienten ein Filmogel® sowie Analgetika bei Bedarf verordnet.
Nach zwei Monaten stellte er sich erneut mit schmerzhaften oralen Aphthen vor. Zudem leide er auch unter seit Wochen bestehenden Cephalgien und allgemeinem Krankheitsgefühl. Auf Nachfrage berichtete er über vermehrtes Schwitzen. Auch leide er über akneähnliche Veränderungen im Dekolleté-Bereich. Diese Kombination aus Allgemein- mit Haut- und Schleimhautsymptomen legte den Verdacht auf eine Systemerkrankung nahe, konkret auf einen Morbus Behcet.
M. Behcet ist eine Systemerkrankung, die potenziell jedes Organ betreffen kann. Daher ist die klinische Symptomatik äußerst variabel. Das häufigste Frühsymptom sind wiederkehrende orale Aphthen, die bei fast jedem Behcet-Patienten auftreten. Genitale Aphthen sind ebenfalls häufig und auch pathologische Hautveränderungen wie Papulopusteln treten bei 80 Prozent der Patienten auf. Außerdem sind eine Augenbeteiligung, eine Arthritis sowie eine neurologische oder eine gastrointestinale Beteiligung möglich.
Da M. Behcet vermutlich auf eine Vaskulitis zurückzuführen ist, können auch Vaskulitiden der kleineren und großen Gefäße auftreten. Unser Patient wurde zur weiteren Abklärung in eine Klinik eingewiesen. Das Aufnahmelabor ergab eine Erhöhung der Entzündungsparameter (CRP, BSG, Leukozyten), im erweiterten Labor konnten andere Vaskulitiden (ANA, ANCA negativ) sowie Virusinfektionen (Hepatitis B, C, EBV, CMV, HIV; Parvovirus B19) ausgeschlossen werden. Die Diagnosestellung des M. Behcet erfolgt aufgrund fehlender pathognomonischer Laborparameter anhand des klinischen Bildes mittels der ICBD-Kriterien (International Criteria for Behcet’s Disease) mit Punktesystem.
Bliebe die Frage, warum der Patient über wiederkehrende Kopfschmerzen berichtete. Auch das ist nicht untypisch für einen M. Behcet. Aufgrund der Cephalgien wurde eine MR-Angiographie des ZNS durchgeführt. Dabei konnte eine Thrombose im Sinus transversus rechts festgestellt werden. Und das war dann auch eine zwingende Behandlungsindikation. Der Patient wurde daraufhin zunächst mit hochdosiertem Prednisolon (2 mg/kg KG) behandelt, wodurch er quasi beschwerdefrei wurde. Eine orale Antikoagulation mit Marcumar® wurde begonnen. Später konnte die Steroidtherapie auf Azathioprin als Dauertherapie umgestellt werden; darunter normalisierten sich die Entzündungsparameter und auch die klinische Symptomatik besserte sich deutlich. Mit oralen Aphthen stellte sich unser Patient jedenfalls nicht nochmal in der Praxis vor.
Bildquelle: leyre del rio, Unsplash