Bund und Länder haben den Startschuss für die Krankenhausreform gegeben. Viele Augen richten sich jetzt auf NRW, wo schon eifrig reformiert wird. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann im Gespräch.
Bei der Pressekonferenz von Bund und Ländern zur Krankenhausreform wurde viel Einigkeit zelebriert – was nach anfänglicher Skepsis einiger Bundesländer keineswegs selbstverständlich war (wir berichteten).
Kritische Stimmen kamen oft aus den Bundesländern, die auf Landesebene schon Reformen angestoßen hatten. Eins dieser Länder, ein großes zumal, ist Nordrhein-Westfalen. Grund genug für uns, das Gespräch mit dem Gesundheits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann zu suchen.
DocCheck News: Herr Laumann, zusammen mit Bundesgesundheitsminister Lauterbach haben Sie den Status quo der aktuellen Krankenhausstrukturreform des Bundes kommentiert. Lauterbach bezeichnete die Bund-Länder-Runde als „großartig“ und vollen Erfolg. Wie ist Ihre Einschätzung der Gespräche?
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, Foto: MAGS NRW/Ralph Sondermann
Laumann: Bund und Länder sind sich einig: In der Krankenhauslandschaft kann es kein „Weiter so“ geben. Vor diesem Hintergrund ist es gut, dass auch der Bund, der für die Betriebskosten der Krankenhäuser zuständig ist, das System der Fallpauschalen grundlegend überarbeiten will. Das ist eine Forderung, die die Länder schon lange Zeit erheben. Glasklar muss aber sein: Die Länder sind für die Krankenhausplanung zuständig und damit auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern verantwortlich. Krankenhäuser sind neben Schulen die wichtigsten Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Es kann daher nicht sein, dass das Planungsrecht der Länder – deren Regierungen sich letztlich immer politisch verantworten müssen – immer mehr unterhöhlt wird durch Institutionen wie den G-BA und InEK (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus), deren Vertreterinnen und Vertreter sich nicht in Wahlen vor den Bürgerinnen und Bürgern verantworten müssen. Genau diese Entwicklung würde aber durch die aktuellen Pläne des Bundes verstärkt. Zudem funktioniert Krankenhausplanung nicht zentralistisch von Berlin aus, weil es im Krankenhaussystem große regionale Unterschiede gibt.
Ich würde das Treffen so bewerten, dass wir auf dieser Grundlage ein gutes Stück aufeinander zugegangen sind.
Wo sehen Sie in dem, was in NRW bereits passiert ist und noch passiert, Vorlagen, die auch auf Bundesebene übertragbar wären? Welche Best Practices gibt es, die Minister Lauterbach und Ihre Länderkollegen als Blaupausen übernehmen könnten?
Laumann: Mit dem Begriff „Blaupause“ tue ich mich sehr schwer, denn er suggeriert einerseits, dass man die NRW-Krankenhausplanung anderen Ländern überstülpen kann und andererseits, dass sich die Pläne von Minister Lauterbach nicht mit den NRW-Plänen in Einklang bringen lassen oder konkurrierende Modelle sind. Herr Prof. Dr. Karagiannidis, der auch ein profunder Kenner der NRW-Pläne ist, hat als Mitglied der Expertenkommission mehrfach betont, dass aus seiner Sicht unser Krankenhausstärkungsplan in NRW sehr gut ist und die Eckpunkte des Bundes damit in Einklang gebracht werden können.
NRW kann Erfahrungen im Berliner Prozess beisteuern. Etwa, wie wichtig die Einbindung aller Beteiligten Akteure des Gesundheitssystems ist und wie wichtig eine dauerhaft transparente Kommunikation ist. Auch wissen wir, wie komplex und zeitraubend die Definierung von Leistungsgruppen ist. Wichtig war in NRW, dass die Vorgaben auch praktisch umsetzbar sind und keine unnötige Bürokratie schaffen.
Daher wurde sich einvernehmlich auf eine – im Vergleich zum aktuell diskutierten Vorschlag aus Berlin sowie dem Schweizer Modell – geringere Anzahl an Leistungsgruppen beschränkt. Der Fokus lag auf den Leistungen, die besonders steuerungsrelevant sind, wie z. B. die Knieendoprothetik. Dazu müssen die Fälle genau einer Leistungsgruppe zugeordnet werden, das war mit einer höheren Anzahl an Leistungsgruppen methodisch nicht eindeutig möglich. Ferner hatten wir den Anspruch, die Leistungsgruppen mit den Vorgaben der Ärztlichen Weiterbildungsordnung in Einklang zu bringen. Wir beobachten sehr genau, wie der Bund dies umsetzen möchte und bringen unsere Erfahrungen auch gerne in den Prozess mit ein.
Wichtig war Ihnen, dass es um eine Reform geht, die qualitativen Mehrwert für die Menschen hat. Wie kann man sich diese „neue Qualität“ im praktischen Alltag vorstellen? Was genau führt dazu, dass im Rahmen der Krankenhausreform die Qualität steigt?
Laumann: Am besten kann man das vielleicht so erklären: Die meisten Krankenhäuser haben mit bestimmten Krankheiten oder Operationen viel Erfahrung und mit anderen Krankheiten oder Operationen, die selten behandelt werden, weniger oder keine Erfahrung. Ich vermute, Sie möchten lieber in dem Krankenhaus behandelt oder operiert werden, dass reichlich Erfahrung mit Ihrer Erkrankung hat? Künftig sollen Versorgungsaufträge daher an Krankenhäuser über sogenannte Leistungsbereiche und Leistungsgruppen vergeben werden. Krankenhäuser sollen das tun, was sie besonders gut können.
Das Krankenhaus der Zukunft wird also nicht an seinen Betten gemessen, sondern an seiner fachlichen Expertise und der Qualität seiner Arbeit. Für den Patienten bedeutet das: Wenn ein Krankenhaus eine bestimmte Leistung anbietet, kann er sich darauf verlassen, dass dieses Krankenhaus in diesem Bereich konkrete Qualitätsvorgaben erfüllt und auch ausreichend Erfahrung und Expertise besitzt.
Gleichzeitig brauchen wir Krankenhäuser, die eine Grundversorgung sicherstellen. Auf Bundesebene orientiert man sich dabei an einer Erreichbarkeitsvorgabe von 30 Autominuten. Die Pandemie hat uns aber gezeigt, wie wichtig gut erreichbare Krankenhäuser sind. Deswegen ist mein Ziel, dass für mindestens 90 Prozent der Einwohner von Nordrhein-Westfalen in 20 Autominuten ein solcher Grundversorger zu erreichen ist.
Wenn Leistungsgruppen zentral festgelegt werden, lähmt das nicht ein auf ständiger Entwicklung basierendes System? Oder gibt es eine Art Regionen-Öffnungsklausel?
Laumann: Auf Landesebene können wir Leistungsgruppen definieren und Versorgungsaufträge vergeben – und dabei durchaus flexibel reagieren. Wir betrachten die NRW-Krankenhausplanung als ein atmendes und lernendes System – sie ist nicht mit dem Versand von Bescheiden mit Versorgungsaufträgen abgeschlossen.
Die Leistungsgruppen bieten Raum zur Weiterentwicklung. Das machen wir aber erst, wenn die Datengrundlage das auch methodisch zulässt. Es bringt nichts, einen detailverliebten Plan zu haben, wenn er nicht zügig umsetzbar ist. Dafür ist die Krankenhauslandschaft zu schnelllebig.
Sie sagten, dass es sich bei der Reform definitiv nicht um eine Krankenhausschließungsreform handle. Kann man daraus ableiten, dass wir in Deutschland also nicht zu viele Krankenhäuser und -betten haben?
Laumann: Das muss man differenzierter betrachten. Wir beobachten, dass die aktuelle, bettenorientierte Krankenhausplanung unter den Kliniken teilweise zu einem kritischen Wettbewerb geführt hat. Wir haben viele Kliniken im Land und diese konkurrieren täglich um Personal und Wirtschaftlichkeit. Darunter leidet nicht nur die Qualität der medizinischen Versorgung, sondern viele Häuser – insbesondere kleine – geraten in wirtschaftliche Schieflage.
Hier möchten wir mit einer aktiv gestaltenden Krankenhausplanung gegensteuern. Eine bessere Steuerung bietet die Möglichkeit, sinnvolle Schwerpunkte auf Grundlage von qualitativen Mindestvorgaben zu setzen. Das vermeidet unnötige Doppelstrukturen und ermöglicht eine bessere Ressourcenallokation, vor allem auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels.
In NRW laufen derweil die Verhandlungen zu den Rahmenbedingungen in den Versorgungsgebieten. Was sind die Herausforderungen im NRW-KH-Sektor, die hier besondere Berücksichtigung finden?
Laumann: Schon zwischen den beiden Landesteilen gibt es große Unterschiede in der Krankenhausstruktur. Ein Beispiel: In NRW ist die Krankenhausstruktur im rheinischen Landesteil mit einer Vielzahl von Unikliniken eine gänzlich andere als im westfälischen Landesteil mit nur einer Campus-Universitätsklinik. Aber natürlich gibt es im westfälischen Landesteil universitäre Spitzenmedizin, etwa das Herz- und Diabeteszentrum in Bad Oeynhausen oder die Lehrkrankenhäuser der Medizinischen Fakultät Ostwestfalen Lippe.
Eine Krankenhausplanung muss aber solche strukturellen Unterschiede im Blick haben. Solche Fragestellungen lassen sich bis auf die regionale Planungsebene herunterbrechen. Wir arbeiten in einem System mit gewachsenen Strukturen.
Wie löst die Krankenhausreform das Problem des Investitionsstaus? Seit Langem kommen die Länder ihren Investitionsverpflichtungen nicht nach, sodass die Häuser Investitionen aus laufenden Einnahmen querfinanzieren müssen. Wie könnte eine deutsche Krankenhausreform dieses Kernproblem lösen, bzw. wie gehen Sie es bei der Reform in NRW an?
Laumann: Es ist eine Tatsache, dass Nordrhein-Westfalen in der Vergangenheit – wie andere Länder auch – zu wenig Geld für die Investitionskostenförderung der Krankenhäuser in die Hand genommen hat. Aber: Seit 2017 holt die Landesregierung auf. Einschließlich des Nachtragshaushalts 2017 wurden in der vergangenen Legislaturperiode schon 5,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Und: Alle beteiligten Akteure wissen auch, dass die Reform der Krankenhausplanung, die in NRW aktuell bevorsteht, durch zusätzliches Geld begleitet werden muss.
Die aktuelle Landesregierung setzt den Weg der vorherigen Landesregierung fort: Im Haushaltsplan 2023 sind Investitionsmittel in Höhe von 782,4 Millionen Euro eingeplant. Darüber hinaus wird für die Umsetzung der neuen Krankenhausplanung in den kommenden Jahren ein zusätzlicher Etat von 2,5 Milliarden Euro festgelegt. Die Umsetzung startet im Haushalt 2023 mit einem Betrag von 10 Millionen Euro an Barmitteln und 2,5 Milliarden Euro an Verpflichtungsermächtigungen, die im Jahr 2023 für Förderbescheide mit Wirksamkeit für die Folgejahre genutzt werden können.
Außerdem wird die bestehende Pauschalförderung mit weiteren 195 Millionen Euro auf 765 Millionen aufgestockt. Mit diesen Mitteln können die Krankenhäuser im Rahmen der Zweckbindung (ausschließliche Nutzung der Mittel für Bauten und die Anschaffung von Anlagegütern, die eine Abschreibungsdauer von mindestens 3 Jahren haben) in unternehmerischer Freiheit wirtschaften. Dies schließt ein, dass sie das Geld entsprechend ihrer Planungen auch auf andere Standorte in Nordrhein-Westfalen verteilen können. Damit ist sichergestellt, dass das Geld an Standorten investiert wird, die der Träger langfristig betreiben will. Damit kann dem Investitionsstau der letzten Jahre weiterhin effizient und nachhaltig begegnet werden.
Was sind die konkreten nächsten Schritte bei der Krankenhausreform in NRW? Gibt es hier eine Reihenfolge, Priorisierungen oder einen Zeitplan für bestimmte Themen?
Laumann: Derzeit finden die Verhandlungen zwischen Kostenträgern und Krankenhäusern statt. Kommt keine Einigung zustande, wird der Abstimmungsprozess ab Mitte Mai dann unter Federführung der Bezirksregierungen mit allen Beteiligten moderiert fortgesetzt. Im Ergebnis werden für alle Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen Versorgungsaufträge nach dem neuen Krankenhausplan vorliegen, bei denen das Ministerium das Letztentscheidungsrecht hat. Wir streben an, das Verfahren im Lauf des Jahres 2024 abzuschließen.
Das Gespräch führte Richard Hill, Redakteur der DocCheck News.
Bildquelle: Ritupon Baishya, unsplash.