Ambulante Pflege von zu Hause, Tagespflege auswärts, stationäre Pflege in einer Seniorenresidenz – geht das nicht einfacher? Doch! Lies hier, wie.
Ich werfe den Begriff „stambulant“ in den Raum – eine Kombination aus ambulant und stationär. Was auf den ersten Blick sehr konträr klingt, da die ambulante Versorgung die stationäre quasi ausschließt, öffnet eine neue Art, den Lebensabend zu verbringen, da es die Vorteile beider Versorgungsformen kombiniert. Zusätzlich dazu ist auch noch eine Tagespflege möglich. Wahnsinn, oder? Aber mal der Reihe nach: Wie sieht eine stambulante Versorgung aus?
Im Grunde genommen ist es eine Kombination aus einer stationären Versorgung mit einem integrierten betreuten Wohnen, bei dem die ambulante Pflege durch die Personen durchgeführt wird, die auch die stationäre Versorgung anbieten. Sprich: Ein Team, drei Versorgungsarten. Das ermöglicht eine völlig neue Lebensqualität im fortgeschrittenen Alter, da man sich den späten Umzug am Lebensabend spart. Eine Person, die sich für dieses Haus entscheidet, kann zur Miete in der Wohnung im betreuten Wohnen leben und ambulante Pflege dabei in Anspruch nehmen.
Sollte diese nicht mehr ausreichen, kann per Tagespflege ein schonender Übergang von der Wohnung in den stationären Bereich angeboten werden, indem die Person tagsüber der Tagesstruktur der stationären Versorgung beiwohnt und trotzdem in der eigenen Wohnung verbleiben kann. Zum Abschluss gibt es dann die Möglichkeit, vollständig in den stationären Bereich zu ziehen, sollte sich der Zustand derart verschlechtern, dass eine Versorgung in der Wohnung nicht mehr zu tragen ist. Dabei bleiben das bereits kennengelernte Personal und die Tagesstruktur erhalten.
Der größte Pluspunkt bildet sich da für die Bewohner ab: In einem stambulanten Haus fängt die Versorgung im betreuten Wohnen an, zunächst ohne pflegerische Versorgung. Trotzdem lernen die Bewohner das Personal passiv kennen und gewöhnen sich an die Strukturen im Haus. Von der Hauswirtschaft über die Alltagsbetreuer bis hin zum Sekretariat und der Pflege hat man überall Berührungspunkte. Auch durch gemeinsame Aktivitäten, die im Haus angeboten werden, können sehr einfach Kontakte geknüpft werden. Sollte es doch notwendig werden, eine pflegerische Versorgung zu beginnen, wird diese ambulant vom Personal des Hauses durchgeführt. Es entsteht die erste intensivere Bindung zu den Pflegepersonen. Auch Beratungsgespräche nach §37 SGB XI können angeboten werden.
Nun kommt der Clou: Sollte es zu einer Situation kommen, bei der eine Versorgung in der eigenen Wohnung nicht mehr ambulant möglich ist, kann man – wie vorher erwähnt – in eine Tagespflege switchen und schließlich auf die stationäre Ebene umziehen, um dort dann vollumfänglich bis ans Lebensende versorgt zu werden. Damit bleibt ein später Umzug in eine neue Umgebung mit einer neuen Wohnsituation, in der man völlig orientierungslos ist, erspart. Zudem können die Freundschaften im gleichen Haus aufrechterhalten werden, da die Wege sehr kurz sind und Besuche in beide Richtungen möglich sind. Ebenfalls kann man mit Veranstaltungen im Haus ambulante wie stationäre Personen zusammenbringen und somit Kontaktaufnahmen vereinfachen.
Für das Personal gibt es ebenfalls Vorteile. Einerseits kennt man die Personen, die man stationär versorgt, bereits länger. Es ist direkt eine Vertrauensbasis vorhanden und die Pflege ist im Schnitt deutlich einfacher, da die Akzeptanz für die stationäre Situation eher vorhanden ist als bei Personen, die von außen in das stationäre Setting eintreten. Andererseits bringt der Wechsel zwischen ambulantem und stationärem Arbeiten automatisch eine Vielfalt in die tägliche Arbeit. Während das ambulante System ein Abarbeiten von Leistungen ist, ist die stationäre Arbeit mehr als Flatrate zu verstehen, in der alle Leistungen bei Bedarf durchgeführt werden können.
Das heißt für Pflegefachpersonen vor allem: Vermehrte SGB V–Leistungen im ambulanten Bereich, sprich behandlungspflegerische Tätigkeiten wie Verbandswechsel oder Medikamentengaben, die zu den täglichen pflegerischen Tätigkeiten im stationären Bereich dazu kommen. Auch lässt sich das Bezugspflegesystem in einem stambulanten Haus sehr gut umsetzen, da man für jede Bezugsgruppe eine Mischung aus ambulanten und stationären Bewohnern hat, welche sehr an die Tourenplanung bei ambulanten Diensten gleicht.
Nicht zu verachten bleibt die Dokumentation, die dann nur noch kleinere Anpassungen nach dem erstmaligen Anlegen erfahren muss. Eine SIS mit tagesstrukturierenden Maßnahmen wird einfach übernommen, die Hausärzte sowie die verschriebenen Medikamente sind bereits bekannt. Man fängt also nicht bei null an, sondern mit einem Vorsprung.
Natürlich kommt auch solch ein System nicht völlig ohne Nachteile daher. Vor allem vom Personal wird eine größere Flexibilität erwartet, da man sich nicht nur auf das stationäre oder ambulante Arbeiten konzentriert, sondern beides parallel macht. Wer in beiden Bereichen gearbeitet hat, wird verstehen, dass etwa die Dokumentation anders ist – allem voran sind aber die Abrechnungs-Anforderungen deutlich höher. Für Personal, das aus einem rein stationären Setting in dieses Haus wechselt, ist die Hürde deswegen anfangs sehr hoch. Auch wird die Personalplanung komplizierter, da man zwei Systeme mit Personal zeitgleich bedienen muss.
Dazu gesellen sich Probleme bei digitalen Lösungen, die gar nicht auf solch eine Versorgungsform ausgelegt sind. Das lässt sich nur durch die Kombination von Software für ambulante und stationäre Versorgung abdecken, was die Nutzung verkompliziert.
Will man es aus einem betriebswirtschaftlichen Winkel betrachten, dann ist stambulant eine Versorgungsform, die nicht einfach zu skalieren ist. Man hat dieselben Beschränkungen wie bei der stationären Versorgungsform auch: Man kann nicht mehr Zimmer vermieten bzw. belegen, als man zu Verfügung hat. Ein rein ambulanter Versorger hat da einen großen Vorteil, da er mit mehr Personal und Autos unendlich nach oben skalieren und wachsen kann.
Das stambulante System benötigt also eine gute Organisation, um Probleme so zu minimieren, dass diese gegenüber den Vorteilen sehr klein wirken. Belohnt wird man dafür mit einer Versorgungsform, die nicht nur vollumfänglich und recht einzigartig, sondern auch angenehm für Pflege und Bewohner ist. Die Problematik eines Pflegeheims, dass beide Parteien (Bewohner und Pflege) Gäste im Haus sind, wird damit vermieden, weil sich die Bewohner nach Jahrzehnten im Haus heimisch fühlen und Bindung zum Personal aufbauen.
Was sagt ihr zum Konzept stambulante Pflege? Könntet ihr euch vorstellen, in solch einem Haus zu arbeiten?
Bildquelle: Paul Volkmer, Unsplash