Nach der Pandemie ist vor der Pandemie – und wir sind selbst dran schuld. Am Beispiel des Hendravirus zeigt eine Studie, wie wir die Bedrohung durch Zoonosen besser in den Griff bekommen könnten.
Viele komplexe Zusammenhänge in Ökosystemen sind zwar schon lange bekannt, halten uns Menschen aber nicht davon ab, weiter in diese einzugreifen – ohne dabei die Konsequenzen im Blick zu haben. Ein aktuelles Beispiel liefert eine in Nature veröffentlichte Studie aus Australien.
Das Team um Peggy Eby von der University of New South Wales konzentrierte sich bei seiner Forschung auf das zoonotische Hendravirus, auch equines Morbillivirus genannt. Das behüllte RNA-Virus wurde 1994 erstmals in Hendra in Australien bei Pferden und Menschen isoliert. Hauptwirt sind Flughunde, deren Infektion asymptomatisch verläuft. Pferde werden zu Zwischenwirten, indem sie mit Speichel oder Ausscheidungen von Flughunden in Berührung kommen. Das kann beispielsweise durch auf die Koppel gespuckte Früchte oder Fruchtkerne geschehen, wenn Flughunde in Ställen schlafen oder sich an Tränken und Futtertrögen bedienen. Infizierte Pferde entwickeln Appetitlosigkeit und Atemwegsinfekte mit Fieber, die bei einem Großteil der Tiere innerhalb einer Woche zum Tod führen. Gerät der Mensch wiederum in Kontakt mit Nasenausfluss, Speichel, Urin oder Blut der Pferde, kann auch er sich anstecken. Die Inkubationszeit beträgt hier eine bis drei Wochen. So weit so bekannt.
In ihrer Veröffentlichung zeigen die Autorinnen jedoch einen spannenden Zusammenhang auf, auf den wir als Menschen direkten Einfluss haben. In dem untersuchten Gebiet in Australien wandern die Flughunde normalerweise über lange Strecken zwischen blühenden Eukalyptusbäumen um an ihre Nahrung zu kommen – den Nektar der Blüten. Im Sommer blühen viele Bäume, im Winter sind die Nahrungsquellen rar. In diesen mehrwöchigen Hungerphasen verändern die Flughunde ihr gewohntes Verhalten, bilden vorübergehend kleine Gruppen und fressen Früchte in Gärten und landwirtschaftlichen Regionen. Sie verbringen also deutlich mehr Zeit in der Nähe von Menschen und Haustieren.
Blühen wieder genug Bäume, kehren sie zu ihrem gewohnten Verhalten zurück. Bis ins Jahr 2002 stellten die von den Forschern beobachteten mehrwöchigen Phasen mit mehr Nähe zum Menschen kein Problem dar – es kam zu keinerlei Ansteckungen mit Hendraviren. 2002 wurde aber anscheinend ein Wendepunkt erreicht. Bei Beginn der Untersuchung seien schon rund 70 Prozent der Lebensräume der Flughunde zerstört gewesen, so die Autoren. In der Zeit bis 2018 verloren die Tiere jedoch ein weiteres Drittel ihres Lebensraumes – und damit auch ihrer natürlichen Futterquellen. Auch blühten die Bäume aufgrund der klimatischen Veränderungen weniger. Das winterliche Notfallprogramm wurde zur Norm. Die Flughundepopulation verblieb in kleinen Gruppen und beschaffte sich ihre Nahrung stets in Menschennähe. Die Folge: Ab 2006 kam es in 80 Prozent der Jahre zu Hendravirus-Ausbrüchen bei Pferden und Menschen.
In dieser Zeit starben 84 der 112 infizierten Pferde und vier von sieben infizierten Menschen. Dass dieser Mechanismus wieder umkehrbar ist, konnten die Forscher ebenfalls beobachten. Blühten in manchen Jahren wieder mehr der verbleibenden Eukalyptusbäume, verhielten sich die Tiere wie zuvor und flogen ihre ursprünglichen Futterquellen an. In diesen Jahren verzeichnete die Gruppe um Eby auch keine Ansteckungen. Die Autoren betonen, ihre Daten würden bestätigen, wovor schon lange gewarnt werde: Die Zerstörung und Nutzung der Lebensräume wilder Tiere mache neue Zoonosen wahrscheinlicher.
Auch im Bericht des Weltbiodiversitätsrats steht: „Die Ursachen von Pandemien sind die gleichen globalen Umweltveränderungen, die auch den Verlust der biologischen Vielfalt und den Klimawandel vorantreiben.“ Laut des Berichts gibt es in der Tierwelt bis zu 1,7 Millionen unentdeckte Viren, von denen 827.000 den Menschen potenziell infizieren können. Die Fachleute schreiben: „Das Pandemie-Risiko wird getrieben von den exponentiell zunehmenden anthropogenen Veränderungen.“ Wildtiere für das Auftreten von Krankheiten verantwortlich zu machen, sei falsch, „denn die Entstehung bzw. Verbreitung dieser Krankheiten wird durch menschliche Aktivitäten und die Auswirkungen dieser Aktivitäten auf die Umwelt verursacht.“
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