Außer Vasektomie und Kondom haben Männer nicht viele Möglichkeiten zur Verhütung. Forscher liefern aber immer wieder neue Ideen. Hier stellen wir euch 2 experimentelle Methoden vor.
Kondom und Vasektomie – das sind bislang die einzigen effektiven Verhütungsmethoden für den Mann. Alternative, möglichst hormonfreie Kontrazeptiva haben es bisher nicht bis zur Marktreife geschafft. Das liegt womöglich auch an fehlendem Interesse von Pharma-Unternehmen, die klinische Studien finanzieren könnten. Potenzial für die Entwicklung neuer Kontrazeptiva ist jedenfalls da, wie zwei experimentelle Methoden zeigen. Hier stellen wir sie euch vor.
Beiden Methoden haben gemeinsam, dass sie sich die Spermien als Angriffsziel vorknöpfen und dabei nicht in den Hormonhaushalt eingreifen. Das erste experimentelle Kontrazeptivum wurde im letzten Jahr auf einer Veranstaltung der American Chemical Society vorgestellt. Schon länger bekannt ist, dass männliche Mäuse, deren Gen für Retinsäurerezeptor-alpha (RAR-α) ausgeschaltet wurde, unfruchtbar sind – und zwar ohne offensichtliche Nebenwirkungen. Dieses Protein gehört zu einer Rezeptorfamilie, die Retinsäure binden. Diese spielt, als eine Form von Vitamin A, eine große Rolle bei Zellwachstum, Zellteilung und damit auch bei der Spermatogenese und embryonaler Entwicklung.
Ein Forscherteam um die Chemikerin Prof. Gunda Georg von der University of Minnesota hat den Wirkstoff namens YCT529 ausfindig gemacht, der RAR-α inhibieren kann. Bei Mäusen, die diese Substanz oral verabreicht bekamen, verringerte sich die Spermienzahl drastisch und verhinderte zu 99 % wirksam eine Schwangerschaft – ebenfalls ohne erkennbare Nebenwirkungen. 4 bis 6 Wochen nach Absetzen des Wirkstoffs konnten die Mäuse wieder Junge zeugen. Natürlich sind diese Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen. „Mäuse sind keine Menschen“, betont Georg. Inzwischen hat das Team YCT529 aber an das Start-Up-Unternehmen YourChoice Therapeutics lizenziert, das schon bald erste klinische Studien durchführen will.
Die zweite Substanz hat ein belgisch-amerikanisches Forscherteam erst diese Woche in einer Studie in PNAS vorgestellt. Sie trägt den sperrigen Namen VU0546110 und inhibiert spezifisch den Kaliumkanal SLO3. Das Besondere: Dieser Kanal kommt ausschließlich in Spermien von Säugetieren vor. Offenbar spielt SLO3 bei einem wichtigen Teilschritt der Befruchtung – der sogenannten Hyperpolarisation – eine Schlüsselrolle.
Wenn dieser Schritt nicht funktioniert, klappt auch die Befruchtung nicht: Die Spermien von Säugetieren sind die einzigen Samenzellen, die im weiblichen Genitaltrakt nachreifen müssen und eine Eizelle nicht unmittelbar nach der Ejakulation befruchten können. Um mit der Eizelle verschmelzen zu können (Akrosomreaktion), muss die Zellmembran des Spermiums destabilisiert werden (Kapazitation).
Bei der Kapazitation kommt es zur Hyperpolarisation der Membran, die einerseits mit einströmenden Calciumionen und andererseits mit dem Herauspumpen von Kaliumionen einhergeht. Während der Ca2+-Einstrom bei diesem Prozess bereits recht gut charakterisiert ist, war bislang unklar, welcher Kaliumkanal daran beteiligt ist – davon haben Spermien mehrere verschiedene. Mit der Substanz VU0546110 ist den Forschern der Nachweis jetzt gelungen. Die spezifische Hemmung von SLO3 führt dazu, dass die Hyperpolarisation nicht funktioniert. Ein anderer Kanal namens SLO1, der ebenfalls als möglicher Hyperpolarisations-Kandidat im Blickfeld der Forscher lag, wurde durch die Substanz nicht beeinträchtigt.
Die Ergebnisse der Arbeit sind in zweifacher Hinsicht spannend. Wie die Forscher erklären, könnten Mutationen im SLO3-Gen die Unfruchtbarkeit bei einigen Männern erklären. Zum anderen könnte der SLO3-Inhibitor VU0546110 als möglicherweise nebenwirkungsarmes Verhütungsmittel eingesetzt werden. „Die Studie […] stellt einen wichtigen Entwicklungsschritt hin zu neuen Verhütungsmitteln dar, die nicht auf der Wirkung von Hormonen beruhen“, meint Prof. Timo Strünker, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Reproduktionsphysiologie am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie vom Universitätsklinikum Münster.
„Der Weg zu einem SLO3-basierten Verhütungsmittel ist aber noch sehr lang und ungewiss. Es sind noch viele Studien notwendig, zunächst vor allem in Tiermodellen wie zum Beispiel Mäusen, um nachzuweisen, ob tatsächlich und wenn ja, wie effizient, ein SLO3-Inhibitor in vivo die Befruchtung verhindert.“ Eine weitere Frage, die sich stellt, ist, ob der Mann oder nicht eher die Frau einen SLO3-Inhibitor zur Verhütung einnehmen müsste. Strünker: „Der SLO3-Kanal und die Spermien müssen ja nicht im männlichen, sondern erst im weiblichen Körper ihre Funktion erfüllen.“
Ähnlich äußert sich Prof. Artur Mayerhofer, Arbeitsgruppenleiter am Biomedizinischen Centrum München (BMC) und der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Thema: „Aufgrund der beschriebenen Ergebnisse kann ich mir vorstellen, dass ein auf VU0546110 basierendes Verhütungsmittel primär vaginal zum Beispiel als Verhütungsgel/ -creme angewendet werden könnte. […] Ob es weitere praktikable Möglichkeiten gibt, VU0546110 zum Beispiel beim Mann einzusetzen, bleibt offen. Dies erscheint mir aber eher als unwahrscheinlich.“
Eines scheint für Strünker aber sicher: „Man wird in Zukunft von weiteren spannenden Ergebnissen in dieser Frage hören.“
Abbildung erstellt mit Biorender.com
Bildquelle: Alex Gruber, Unsplash