Haarausfall ist für Betroffene oft belastend – und nicht immer leicht erklärbar. In unserem Überblick findet ihr alle Infos zu möglichen Ursachen und Therapien.
Es ist normal, täglich bis zu 100 Haare zu verlieren. Wenn es mehr sind, bricht schnell Panik aus. Bei einem permanenten Haarverlust zeigen sich lichte Stellen an einst behaarten Körperstellen, eine Alopezie. Die häufigste Art des Haarausfalls ist die Alopecia androgenetica (AGA). Typisch sind bei Männern eine zurückweichende Haargrenze im Schläfenbereich (Geheimratsecken) und bei Frauen eine diffuse Ausdünnung der Haare. Die Ursache ist vermutlich, dass die Haarfollikel gegenüber Dihydrotestosteron (DHT) übermäßig empfindlich reagieren. Dadurch verkleinern sich die Haarfollikel und die Wachstumsphase der Haare verkürzt sich.
Bei der Alopecia areata (AA) liegt ursächlich eine Autoimmunreaktion vor. Stressfaktoren, Infektionen und Umwelteinflüsse könnten den Haarausfall bei entsprechender Disposition auslösen. Es zeigen sich kreisrunde haarlose Stellen auf dem Kopf oder an anderen behaarten Körperstellen.
Eine diffuse Alopezie liegt vor, wenn die Haare gleichmäßig am gesamten Kopf abfallen. Von dieser Art sind häufiger Frauen betroffen. Als Ursachen kommen hormonelle Veränderungen, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus oder Dysfunktionen der Schilddrüse, Mangelzustände wie Eisenmangel, Infektionen, Stress oder die Einnahme einiger Medikamente wie hormonelle Kontrazeptiva, Chemotherapeutika, Betablocker, Retinoide, Thyreostatika oder Statine infrage. Auch äußere Einflüsse können die Haare ausfallen lassen, etwa physikalische oder mechanische Einwirkungen, wie enge Haarbänder oder bestimmte Inhaltsstoffe aus Haarpflegemitteln. Die gute Nachricht ist: Wenn bei diffuser Alopezie die Ursache abgestellt oder behandelt wird, erledigt sich meistens auch das Problem mit dem Haarausfall.
Haarausfall lässt sich nicht rückgängig machen. Ob und wie Haare gerettet werden können, hängt von der Art des Haarausfalls ab. Bei der häufigsten Art, der AGA, stehen für die Pharmakotherapie topisches Minoxidil, orales Finasterid und topisches Alfatradiol zur Verfügung.
Topisches Minoxidil können Frauen und Männer zur Stimulierung des Haarwachstums anwenden und entsprechende Präparate rezeptfrei in der Apotheke erwerben. In einer Studie aus 2004 mit 904 Männern verkleinerten sich die von AGA betroffenen Kopfhautregionen bei 62 % der Patienten, wenn sie zweimal täglich mit 5%igem topischem Minoxidil behandelt wurden. Weitere Studien bestätigten, dass Minoxidil AGA verbessern und die Haardichte erhöhen kann. Orales Minoxidil wurde in mehreren Studien untersucht und als wirksam bestätigt. Es ist aber bislang nicht zur Behandlung von männlichen und weiblichen Patienten mit AGA zugelassen. Bei oraler Anwendung können mehr systemische Nebenwirkungen wie erhöhte Herzfrequenz, Gewichtszunahme, Hirsutismus, Hypertrichose und Ödeme der unteren Extremitäten auftreten als bei topischem Minoxidil.
Während bei Minoxidil der Wirkmechanismus noch nicht genau geklärt ist, liegt er beim 5-Alpha-Reduktasehemmer Finasterid auf der Hand: Der Wirkstoff inhibiert das Enzym, das Testosteron in das stärker wirksame DHT umwandelt. Finasterid wird sowohl als Topikum als auch in oraler Form eingesetzt und ist nur für Männer geeignet. Beide Formulierungen konnten in Studien den DHT-Spiegel im Plasma und auf der Kopfhaut senken. Dass sich dies auch positiv auf das Haarwachstum auswirkt, ist ebenfalls durch Studien belegt. Gel und Tabletten erwiesen sich als vergleichbar wirksam. Einfacher zum Handhaben sind orale Therapien, bringen aber mehr potenzielle Nebenwirkungen mit sich als topische Mittel. Dazu zählen sexuelle Probleme wie eine erektile Dysfunktion, Ejakulationsstörungen und verminderte Libido. In Deutschland sind Handelspräparate mit oralem Finasterid gegen Rezept in der Apotheke verfügbar.
Im Wirksamkeits-Ranking noch vor Finasterid platziert eine aktuelle Studie einen anderen 5-Alpha-Reduktasehemmer, nämlich Dutasterid in oraler Form. Der Wirkstoff ist allerdings in Deutschland nur für die Behandlung der benignen Prostatahypertrophie zugelassen.
Eine weitere Option ist Alfatradiol, ein Stereoisomer des weiblichen Sexualhormons 17β-Estradiol. Es hat nur eine vernachlässigbare Hormonwirkung und ist zur Anwendung auf der Kopfhaut bei leichter AGA bei Männern und Frauen ab 18 Jahren rezeptfrei erhältlich. Alfatradiol hemmt ebenfalls die 5-Alpha-Reduktase. 2007 verglichen Wissenschaftler die Wirkung von einer 0,025%igen Alfatradiol-Lösung und einer 2%igen Minoxidillösung bei Frauen mit AGA. Es zeigte sich, dass die Behandlung mit Minoxidil eine Zunahme der Haardichte und Haardicke bewirken kann, während Alfatradiol zu einer Verlangsamung oder Stabilisierung des Haarausfalls führte.
Eine zukünftige Therapieoption könnte Clascoteron sein. Der Wirkstoff erhielt im August 2020 die FDA-Zulassung als erstes topisches Antiandrogenmittel zur Behandlung hormoneller Akne. In Deutschland und in den USA laufen klinische Studien mit einer Lösung des Wirkstoffs zur Behandlung der AGA. Es konnte bereits eine signifikante Verbesserung des Haarausfalls im Vergleich zu Placebo gezeigt werden.
Das aus der Ophthalmologie bekannte Prostaglandin-Analogon Latanoprost kann als Nebenwirkung Wachstum, Dicke und Pigmentierung der Wimpern verstärken. In einer doppelblinden, placebokontrollierten klinischen Studie wurden 16 Männer mit leichter AGA mit Latanoprost 0,1 % behandelt. Es wurde eine Zunahme der Haardichte festgestellt. Es gibt auch Hinweise, dass Latanoprost bei AA helfen könnte.
Spironolacton wird Off-label bei Haarausfall bei Frauen eingesetzt. Der Wirkstoff hat antiandrogene Eigenschaften und beeinflusst das androgenstimulierte Haarwachstum. 2005 beschrieben Sinclair et al. die Ergebnisse ihrer klinischen Studie, in der 80 Frauen mit Haarausfall entweder Spironolacton (200 mg täglich) oder Cyproteronacetat (entweder 50 mg täglich oder 100 mg) einnahmen. Es gab keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Behandlungsgruppen.
Zu den nicht-medikamentösen Optionen gehört die Low-Level-Laser-Therapie (LLLT). Licht der Wellenlänge von 650 bis 680 nm soll den Haarwuchs stimulieren. 2016 führten Afifi et al. eine systematische Literaturrecherche durch, um die Wirkung von LLLT bei AGA zu untersuchen. Die Mehrzahl der in dieser Übersichtsarbeit behandelten Studien ergab eine allgemeine Verbesserung des Haarwachstums, der Haardicke und der Patientenzufriedenheit.
Wenn Medikamente nicht helfen oder sehr große kahle Flächen am Kopf sichtbar sind, können sich Patienten für eine Haartransplantation entscheiden. Dabei werden unter örtlicher Betäubung Haare im Nackenbereich entnommen und auf dem Kopf eingepflanzt. Es gibt unterschiedliche Verfahren, die mit mehr oder weniger sichtbaren Narben im Entnahmebereich verbunden sind. Die Kosten werden in der Regel nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Die Erfolgsaussichten sind jedoch für die meisten Patienten gut.
Zur Behandlung der AA gibt es aktuell nur begrenzte pharmakotherapeutische Möglichkeiten. Viele Patienten werden mit Glukokortikoiden behandelt, um die überschießende Immunreaktion herunterzufahren. Eine Behandlung mit dem Kontaktallergen Diphenylcyclopropenon (DCP) löst eine allergische Reaktion auf der Kopfhaut aus, die das Immunsystem ablenken soll. Die Therapie kann erfolgversprechend sein, allerdings nicht für jeden Patienten. DCP ist für diese Indikation in Deutschland nicht zugelassen, es handelt sich dabei um individuelle Heilversuche.
Eine neue Option sind Januskinase-Hemmer (JAK-Hemmer). Seit Juli 2022 darf Baricitinib bei schwerer AA angewendet werden. Baricitinib reguliert die Immunantwort und soll die Induktion proinflammatorischer Zytokine im Haarfollikel reduzieren. Möglicherweise kann damit mehr Menschen mit AA geholfen werden als mit den bisherigen Therapieoptionen.
Bei der Beratung aller Alopezie-Patienten ist es wichtig, ehrlich über die Möglichkeiten und Limitationen der einzelnen Behandlungen und die damit verbundenen Kosten aufzuklären. Ziel ist es, die für den individuellen Menschen beste Lösung zu finden. Haarausfall ist in der Regel eine chronische Krankheit, die Behandlung dauert – ausgenommen bei der Haartransplantation – lebenslang an. Brechen Patienten die Therapie ab, geht das Haar wieder zurück und der Haarverlust schreitet weiter voran. Gerade bei Männern kann die Entscheidung für eine gepflegte Glatze nicht nur die kostengünstigste, sondern auch einfachste und gesellschaftlich durchaus akzeptierte Lösung sein.
Bildquelle: Miha Rekar, unsplash