Im Modell verstärken Amyloidfibrillen, die Virus-Partikel binden und so besonders infektiöse Cluster bilden, die Infektiosität des HI-Virus und senken die antivirale Wirkung von speziellen Vaginalgelen. Gleichfalls können sie bestimmten antiviralen Wirkstoffen nichts anhaben.
Wissenschaftler der Universität Ulm haben nun herausgefunden, dass bestimmte Zusammenlagerungen aus Spermapeptid-Fragmenten nicht nur die Infektiosität des HI-Virus verstärken, sondern auch die antivirale Wirkung von speziellen Vaginalgelen drastisch senken. „Es handelt sich dabei um Amyloidfibrillen, die Virus-Partikel binden und so besonders infektiöse Cluster bilden. Diese ‚Klebestäbchen‘ sind wohl auch für die Hemmung der antiviralen Wirkstoffe in den Vaginalgelen verantwortlich“, so Prof. Dr. Jan Münch.
Der Wissenschaftler vom Institut für Molekulare Virologie am Ulmer Universitätsklinikum konnte in einer Studie mit Ulmer Kollegen und Wissenschaftlern aus den USA den wissenschaftlichen Nachweis erbringen, warum bestimmte antivirale Mikrobizide zwar in präklinischen Tests sehr erfolgreich waren, in der klinischen Praxis aber meist versagt haben. „Die Tests, die im Labor mit HI-Viren, Wirtszellen und antiviralen Mikrobiziden im Labor durchgeführt wurden, entsprachen einfach nicht den realen Bedingungen bei der sexuellen Übertragung des Virus“, so der Biochemiker Onofrio Zirafi, Erstautor der Studie. Was fehlte war: das Sperma. Bereits 2007 haben Münch und sein Kollege Prof. Dr. Frank Kirchhoff die infektionsfördernden Amyloidfibrillen entdeckt, die als Semen-Enhancer of Virus Infection (SEVI) in die Fachliteratur eingingen.
In ihrer jetzigen Studie wiesen sie nach, dass es nicht die Samenflüssigkeit an sich ist, die die Mikrobizide hemmt, sondern eben diese Spermapeptid-Aggregate. Mit synthetischen Amyloiden konnten die Forscher die antivirale Wirkung des HIV-Schutzstoffes ebenfalls hemmen. Samenflüssigkeit ohne Fibrillen konnte den Mikrobiziden hingegen nichts anhaben, sodass der Virenschutz bestehen blieb. Warum ist bisher niemand auf die Idee gekommen, antivirale Wirkstoffe im Beisein von Sperma zu testen? „Das Problem besteht darin, dass auch die Samenflüssigkeit an sich auf Zellen toxisch wirkt“, erklärt Münch. Die Wissenschaftler haben nun ein Verfahren entwickelt, mit dem man die Samenflüssigkeit bereits in präklinische Tests mit einbeziehen kann. Das Virus wird zuerst mit dem Sperma konfrontiert, und erst anschließend wird damit eine große Menge von Zellen infiziert. Die zelltoxischen Effekte des Spermas lassen sich damit soweit abschwächen, dass sinnvolle Untersuchungen möglich werden. Elektronenmikroskopische Aufnahme von Virus-Partikeln, die an einer Amyloidfibrille haften. © Janis Müller
Das Forscherteam hat zudem herausgefunden, dass es antivirale Wirkstoffe gibt, bei denen die klebrigen Amyloid-Stäbchen machtlos sind. Substanzen, die nicht gegen das Virus selbst vorgehen, sondern an Oberflächenrezeptoren der Wirtszellen binden und so die Anheftung von Viren verhindern, konnten die Amyloidfibrillen nichts anhaben. Diese Ergebnisse liefern also nicht nur eine Erklärung für das Versagen von Mikrobiziden in klinischen Studien sondern ermöglichen auch die Entwicklung verbesserter Wirkstoffe zum Schutz vor der sexuellen Übertragung der Immunschwäche-Krankheit. Originalpublikation: Semen enhances HIV infectivity and impairs the antiviral efficacy of mircrobicides Onofrio Zirafi et al.; Science Translational Medicine, doi: 10.1126/scitranslmed.3009634; 2014