Je früher die Behandlung, desto größer der Erfolg – das gilt in der Medizin fast immer. Aber was ist, wenn die Krankheit schon im Mutterleib beginnt? Ein spektakulärer Fall zeigt, was möglich ist.
Ausgeprägte Muskelschwäche und Kardiomyopathie von Geburt an: So lässt sich die infantile Form des Morbus Pompe in Kürze zusammenfassen. Bei der seltenen Krankheit (Inzidenz weltweit zwischen 1:138.000–226.600 geschätzt) handelt es sich um eine lysosomale Speicherkrankheit, bei der durch einen Gendefekt die Produktion der Alpha-1,4-Glukosidase (GAA) gestört ist. Das Enzym ist für den Abbau des Glykogens zuständig; die Folge eines Mangels ist die krankhafte Speicherung von Glykogen in verschiedenen Organen, insbesondere der Muskulatur, der Leber und des Herzens.
Während die juvenile und adulte Form des Morbus Pompe in ihrer Symptomatik und Schwere variabel sind, endet die infantile Form unbehandelt innerhalb der ersten zwei Lebensjahre tödlich. Der Tod tritt dabei durch Herzversagen im Rahmen einer hypertrophen Kardiomegalie ein.
Die gute Nachricht: Seit 2006 ist mit Alglucosidase alfa eine Enzymersatztherapie (ERT) verfügbar, welche Herzfunktion, körperliche Entwicklung und Überleben der betroffenen Kinder deutlich verbessern kann. Dabei gilt: Je früher mit der Behandlung begonnen werden kann, desto besser ist die Erfolgsaussicht. Da eine pränatale Diagnostik der Krankheit möglich ist, ist auch ein Therapiebeginn unmittelbar nach der Geburt prinzipiell machbar. Es gibt aber auch einen Haken an der Sache: Die Schädigung der Muskeln beginnt bereits im Mutterleib, sodass auch bei frühestmöglicher Therapie residuale Myopathien bestehen bleiben.
Lässt sich der Therapiebeginn also einfach noch weiter nach vorne verlegen – noch bevor die Schäden überhaupt entstehen? Dieser Idee folgt ein Projekt, das 2020 von amerikanischen Forschern ins Leben gerufen wurde. Die klinische Phase-I-Studie untersucht erstmals die Sicherheit und Effektivität einer In-utero-Enzymersatztherapie bei verschiedenen schweren lysosomalen Speicherkrankheiten – und kann nun einen Erfolg vermelden. Die Ergebnisse eines ersten Patientenfalls wurden im New England Journal of Medicine veröffentlicht und können sich wahrlich sehen lassen.
Die schwangere 37-jährige Mutter stellte sich im Februar 2020 bei den behandelnden Ärzten vor, nachdem ihr Fetus positiv auf Morbus Pompe getestet wurde. Für sie war es unglücklicherweise nicht die erste Erfahrung mit der Krankheit; bereits zwei ihrer Kinder waren frühzeitig daran verstorben, eine dritte Schwangerschaft wurde aufgrund der Krankheitsdiagnose terminiert. Im Rahmen der Behandlung wurde nun also ab der 24. Schwangerschaftswoche alle zwei Wochen unter Ultraschallführung Alglucosidase alfa (20 mg/kg fetalen Gewichts) in die Nabelschnurvene infundiert. Bis zur 35. Schwangerschaftswoche wurden so insgesamt 6 Infusionen durchgeführt. Dabei wurde bei jeder Prozedur auch Blut aus der Vene entnommen, um die GAA-Enzymaktivität des Fetus zu verfolgen. Nach der Geburt wurde die ERT fortgesetzt.
Erschwerend kam hinzu, dass das Kind – wie auch schon seine Geschwister – mit einer besonders schweren Variante des infantilen Morbus Pompe diagnostiziert wurde. Bei der cross-reactive immunologic material (CRIM)-negativen Form produziert der Körper gar keine eigene GAA und reagiert daher auf die ERT mit der Bildung von IgG-Antikörpern, was die Therapie in ihrer Wirksamkeit stark einschränkt. Daher wurde während der Behandlung auch die Bildung von Serumantikörpern im fetalen Blut überwacht. Erfreulicherweise hielt sich die Immunantwort jedoch während der pränatalen Phase in Grenzen und verursachte keine Probleme. Unmittelbar nach der Geburt wurde dann zusätzlich zur fortlaufenden ERT eine Immuntoleranztherapie begonnen.
Nach 37 Wochen Schwangerschaft wurde das Kind im Juni 2021 geboren. Es ist inzwischen 18 Monate alt und entwickelt sich – nach bisheriger Kenntnis – normal. Die Forscher fassen zusammen: „Die jetzige Patientin hatte nach der Geburt eine normale Herzfunktion und eine altersgemäße Motorik, erfüllte die üblichen Entwicklungsmeilensteine, wies normale Biomarkerwerte auf, ernährt sich normal und wächst gut.“ Weder bei der Mutter, noch bei ihrem Kind traten unerwünschte Reaktionen auf die In-utero-Behandlung auf. „[…] Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Verschiebung des Zeitfensters für therapeutische Maßnahmen in den pränatalen Zeitraum die postnatalen Ergebnisse weiter verbessern könnte“, schließen die Forscher dementsprechend.
Die ersten Ergebnisse lassen also hoffen – nicht nur für Betroffene von Morbus Pompe. Auch andere lysosomale Speicherkrankheiten (beispielsweise Morbus Gaucher, Morbus Fabry und Mukopolysaccharidosen) könnten durch den frühen ERT-Beginn besser behandelt werden. Einem Bericht der New York Times zufolge gelang dem gleichen Ärzteteam auch die pränatale Behandlung eines Kindes mit Hunter-Syndrom. Der junge Patient ist im Oktober zur Welt gekommen, genauere Ergebnisse zu dem Fall sind noch nicht offiziell publiziert.
Ob sich die Methode durchsetzen wird, bleibt aber noch abzuwarten – zur Sicherheit und Wirksamkeit fehlen zu diesem frühen Zeitpunkt noch belastbare Daten. Die Forscher sind jedoch zuversichtlich, dass ihr Durchbruch entsprechende größere Studien ermöglichen wird.
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