Deutschlands Krankenhausreform kommt – in NRW ist man derweil schon bei der Umsetzung. Warum Berlin sich eine Scheibe davon abschneiden sollte, erklärt NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann im DocCheck-Gespräch.
Anfang Dezember verkündete Bundesgesundheitsminister Lauterbach seinen Plan zur Rettung der deutschen Krankenhäuser – eine Aufteilung in verschiedene Krankenhausstufen und Leistungsgruppen sowie ein Vorschlag zur (weitestgehenden) Überwindung der Fallpauschalen inklusive (wir berichteten). Einige Bundesländer waren zu diesem Zeitpunkt in ihren regionalen Planungen jedoch bereits einige Schritte weiter. Doch wer nimmt in Sachen Reformtätigkeit die Rolle des Lehrmeisters und wer die des Schüler ein?
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, Credit: MAGS NRW/Ralph Sondermann
Für NRW-Gesundheitsminister Laumann ist die Sache klar: „Die Länder sind für die Krankenhausplanung zuständig und damit auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern verantwortlich“, so der Minister im Gespräch mit den DocCheck News. Und weiter: „Es kann nicht sein, dass das Planungsrecht der Länder – deren Regierungen sich letztlich immer politisch verantworten müssen – immer mehr unterhöhlt wird durch Institutionen wie die G-BA und InEK, deren Vertreterinnen und Vertreter sich nicht in Wahlen vor den Bürgerinnen und Bürgern verantworten müssen. Genau diese Entwicklung würde aber durch die aktuellen Pläne des Bundes verstärkt. Zudem funktioniert Krankenhausplanung nicht zentralistisch von Berlin aus, weil es im Krankenhaussystem große regionale Unterschiede gibt.“
Dass die Länder bzw. allen voran Nordrhein-Westfalen mit einer sehr klaren Meinung auf die Bundesplanungen schauen, ist nachvollziehbar – will man doch vermeiden, dass Ansagen oder Pläne vom Bund gemacht werden, die denen des Landes zuwiderlaufen. Mit Erleichterung – oder auch dank des starken Auftretens – dürften die Landesminister daher die Länderöffnungsklausel vernommen haben. Diese macht es möglich, regionale Besonderheiten bei bestehenden Bundesvorgaben einzubeziehen und passgenauere Regelungen zu erarbeiten.
Stand der Dinge ist, dass die Regierungskommission auf Bundesebene ihre Empfehlungen in Form von Eckpunkten formuliert hat. Daraus gilt es jetzt im Dialog zwischen Bund und Ländern einen Gesetzentwurf zu zimmern, der nicht nur dem Chef in der Friedrichstraße und dem Deutschen Bundestag gefällt, sondern der auch realistische Chancen hat, den Bundesrat zu passieren.
Was aber können die Länder, was kann NRW dem Bund an Best Practices vom Rhein an die Spree schicken? Laumann weist auf die Einbindung aller beteiligten Akteure des Gesundheitssystems hin und darauf, wie wichtig eine dauerhaft transparente Kommunikation ist. Es geht ihm aber auch um konkrete Inhalte: "Wir wissen, wie komplex und zeitraubend die Definierung von Leistungsgruppen ist. Wichtig war in NRW, dass die Vorgaben auch praktisch umsetzbar sind und keine unnötige Bürokratie schaffen. Daher wurde sich einvernehmlich auf eine – im Vergleich zum aktuell diskutierten Vorschlag aus Berlin sowie dem Schweizer Modell – geringere Anzahl an Leistungsgruppen beschränkt. Der Fokus lag auf den Leistungen, die besonders steuerungsrelevant sind, wie z. B. die Knieendoprothetik.“
Nochmal zur Erinnerung: Der Bund schafft den gesetzgeberischen Rahmen, anhand dessen die Länder eigenständig die Krankenhausplanung steuern. Da wäre zum Beispiel die Vergütung der neuen Leistungsgruppen: Während finanziellen Fragen in Berlin geklärt werden und es hier bundeseinheitliche Regelungen geben muss, können die Länder die Leistungsgruppen selbst definieren. Auch die Vergabe von Versorgungsaufträgen ist im Anschluss Ländersache.
Dass viele Fragen dennoch häufig Hand in Hand gehen, weiß der Minister: „Wir hatten den Anspruch, die Leistungsgruppen mit den Vorgaben der Ärztlichen Weiterbildungsordnung in Einklang zu bringen. Wir beobachten sehr genau, wie der Bund dies umsetzen möchte und bringen unsere Erfahrungen auch gerne in den Prozess mit ein.“
NRW baut – wie auch der Bund – bei seiner Reform auf einen qualitativen Mehrwert für die Menschen. Besagte Leistungsgruppen und Leistungsbereiche seien das zentrale Element dieser Qualitätsoffensive, erläutert Laumann: „Krankenhäuser sollen das tun, was sie besonders gut können. Das Krankenhaus der Zukunft wird also nicht an seinen Betten gemessen, sondern an seiner fachlichen Expertise und der Qualität seiner Arbeit.“ Für den Patienten bedeute das: Wenn ein Krankenhaus eine bestimmte Leistung anbiete, könne der Patient davon ausgehen, dass dieses Krankenhaus in diesem Bereich konkrete Qualitätsvorgaben erfüllt und auch ausreichend Erfahrung und Expertise besitzt.
Nun sind spezialisierte Leistungen mit messbaren Qualitäts-Outcomes aber nur ein Teil der Krankenhausversorgung. Es braucht auch Krankenhäuser, die die Grundversorgung sicherstellen. Auf Bundesebene orientiert man sich für diese Häuser an einer Erreichbarkeitsvorgabe von 30 Autominuten. Laumann sieht das eher kritisch: "Die Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig gut erreichbare Krankenhäuser sind. Deswegen ist mein Ziel, dass für mindestens 90 Prozent der Einwohner von Nordrhein-Westfalen in 20 Autominuten ein solcher Grundversorger zu erreichen ist.“ Eine andere Frage ist, wie diese grundversorgenden Häuser am Ende aussehen. In Berlin sieht man sie unter anderem durch pflegerisch geführte Kliniken der Stufe I repräsentiert. Wie konsensfähig das auf Länderebene ist, muss sich erst noch zeigen.
Ein heikles Thema im Zusammenhang mit jeder Krankenhausreform ist die Frage der Zahl der Krankenhäuser. Deutschland besitzt – auch wenn die Gesamtzahl rückläufig ist – so viele Krankenhäuser wie kein anderes europäisches Land. Und auch wenn es ländliche Regionen gibt, in denen Patienten in ebenjenen 20 Autominuten keine Klinik erreichen würden: Die Dichte ist außerordentlich hoch. Krankenhausplaner sind sich im Prinzip einig, dass aus dem Motto „Konkurrenz belebt das Geschäft“ eher ein „Qualität belebt den Patienten“ werden sollte. Weil aber Qualität in Krankenhäusern nicht zuletzt mit Personalausstattung zu tun hat, muss jede Krankenhausreform auch über die Gesamtzahl der Häuser und damit über Klinikschließungen reden.
Klinikschließungen sind auf Länderebene extrem unpopulär - man fürchtet Volkes Zorn. Deswegen wird das Wort tunlichst vermieden. Auch Laumann umschiffte es im DocCheck-Gespräch. Aktiv gestalten, nicht schließen, lautet das Motto: „Wir haben viele Kliniken im Land und diese konkurrieren täglich um Personal und Wirtschaftlichkeit. Darunter leidet nicht nur die Qualität der medizinischen Versorgung, sondern viele Häuser – insbesondere kleine – geraten in wirtschaftliche Schieflage. Hier möchten wir mit einer aktiv gestaltenden Krankenhausplanung gegensteuern. Eine bessere Steuerung bietet die Möglichkeit, sinnvolle Schwerpunkte auf Grundlage von qualitativen Mindestvorgaben zu setzen. Das vermeidet unnötige Doppelstrukturen und ermöglicht eine bessere Ressourcenallokation, vor allem auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels“.
Ob Klinikschließungen nun stattfinden und in welchem Ausmaß, das ist die eine Frage. Eine andere sind die Investitionen. Die sind im dualen deutschen Krankenhauswesen bekanntlich Ländersache, aber nahezu alle Bundesländer kommen dieser Aufgabe nicht im erforderlichen Umfang nach. In den Kliniken kommt es deswegen vielfach zu Querfinanzierungen: Investitionen werden aus den laufenden Einnahmen bezahlt. Auch das ist - neben Konkurrenzdruck, Personalnot und Landflucht - ein Grund, warum viele Häuser vor dem finanziellen Aus stehen.
Dass die Länder diese bittere Pille der Kritik schlucken müssen, ist unausweichlich. Doch was macht der Musterschüler NRW? Wie will das bevölkerungsreichste Land die Investitionslücke schließen und das nachholen, was bislang versäumt wurde? Laumann: „Es ist eine Tatsache, dass Nordrhein-Westfalen in der Vergangenheit, wie andere Länder auch, zu wenig Geld für die Investitionskostenförderung der Krankenhäuser in die Hand genommen hat. Aber: Seit 2017 holt die Landesregierung auf. Einschließlich des Nachtragshaushalts 2017 wurden in der vergangenen Legislaturperiode schon 5,2 Milliarden Euro und damit 2 Milliarden Euro mehr als in der vorherigen zur Verfügung gestellt. Und: Alle beteiligten Akteure wissen auch, dass die Reform der Krankenhausplanung, die in NRW aktuell bevorsteht, durch zusätzliches Geld begleitet werden muss. Die aktuelle Landesregierung setzt den Weg der vorherigen Landesregierung fort: Im Haushaltsplan 2023 sind Investitionsmittel in Höhe von 782,4 Millionen. Euro eingeplant. Darüber hinaus wird für die Umsetzung der neuen Krankenhausplanung in den kommenden Jahren ein zusätzlicher Etat von 2,5 Milliarden Euro festgelegt.“
So sollen die Häuser laut Minister zunächst einmal sicher planen und in unternehmerischer Freiheit wirtschaften können – und das auch an anderen Standorten, sofern der Träger weitere Kliniken betreibt. Voraussetzung ist, dass die Mittel ausschließlich für Bauten und die Anschaffung von Anlagegütern, die eine Abschreibungsdauer von mindestens 3 Jahren haben, genutzt werden.
Fest steht: Nicht nur im Bund, sondern auch im nordrhein-westfälischen Gesundheitssektor wird reformiert, was reformiert werden kann – und das nicht erst in einigen Jahren, wie man es von politischen Entscheidungsfindungen gewohnt ist, sondern sofort. So finden aktuell bereits Verhandlungen zwischen Kostenträgern und Krankenhäusern statt. Sollten diese sich nicht einigen können, wird der Abstimmungsprozess ab Mitte Mai unter Federführung der Bezirksregierungen mit allen Beteiligten moderiert fortgesetzt.
Minister Laumann hat zudem ein Datum im Kopf, wann das Ganze erledigt sein soll: „Im Ergebnis werden für alle Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen Versorgungsaufträge nach dem neuen Krankenhausplan vorliegen, bei denen das Ministerium das Letztentscheidungsrecht hat. Wir streben an, das Verfahren im Lauf des Jahres 2024 abzuschließen.“
Das Gespräch mit Karl-Josef Laumann könnt ihr hier im Ganzen nachlesen.
Bildquelle: Rachel, unsplash