Nach einer Fraktur-OP schneidet ASS bei der Thromboseprophylaxe ebenso gut ab wie Heparin – und ist deutlich günstiger. Kommt jetzt die Kehrtwende?
Zur Thromboseprophylaxe nach einer Fraktur-OP ist niedermolekulares Heparin das Mittel der Wahl. Dabei stehen auch andere Medikamente zur Verfügung, die leichter verabreichbar und kostengünstiger sind – wie Acetylsalicylsäure (ASS). In einer großangelegten randomisierten Studie haben Forscher des Major Extremity Trauma Research Konsortiums jetzt beide Wirkstoffe verglichen. Die Studie ist heute im NEJM erschienen.
Darin schlossen die Forscher knapp 12.200 erwachsene Patienten ein, die wegen einer Extremitäten-, Becken- oder Azetabulumfraktur operiert werden mussten. Die Teilnehmer erhielten während ihres Klinikaufenthaltes entweder subkutan zweimal täglich 30 mg niedermolekulares Heparin (Enoxaparin) oder oral zweimal täglich 81 mg ASS. Die Thromboseprophylaxe nach der Entlassung richtete sich jeweils nach dem Klinikprotokoll.
Wie sich herausstellte, war Heparin dem ASS beim primären Outcome (Tod jedweder Ursache nach 90 Tagen) nicht überlegen: In der Heparin-Gruppe starben 45 Patienten (0,73 %) verglichen mit 47 Patienten in der ASS-Gruppe (0,78 %). Auch beim Auftreten von nicht tödlichen Lungenembolien und Blutungsereignissen gab es keine bemerkenswerten Unterschiede. Allerdings traten in der ASS-Gruppe etwas häufiger tiefe Beinvenenthrombosen auf (2,51 % vs. 1,71 %), wobei der absolute Unterschied mit 0,8 Prozentpunkten auch eher gering erscheint. „Obwohl eine tiefe Venenthrombose natürlich nicht so schwerwiegend ist wie eine tödliche Lungenembolie, ist sie kein unbedeutendes Problem“, schreibt Matthew Costa, Professor für orthopädische Unfallchirurgie von der University of Oxford in einem begleitenden Editorial.
Auch Prof. Jörg Heckenkamp, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin verweist darauf, dass in der ASS-Gruppe häufiger tiefe Beinvenenthrombosen auftraten. Dennoch: „Die vorliegende große randomisierte Multicenterstudie zeigt eine robuste Datenlage für die Gabe von Aspirin zur Thromboseprophylaxe bei unfallchirurgischen Patienten.“ Beide Medikamente seien „bei einem ganz wesentlichen Aspekt der Thromboseprophylaxe, nämlich die Protektion gegen fatale thromboembolische Komplikationen, gleichwertig.“ Zudem sei ASS kostengünstiger und biete durch die Möglichkeit der enteralen Einnahme erhebliche Compliancevorteile. Heckenkamp vermutet, dass diese Daten Eingang in die nächsten Leitlinien zur Thromboseprophylaxe finden werden.
Dr. Robert Klamroth ist eher skeptisch, was die Implikationen betrifft. Der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin – Angiologie und Hämostaseologie vom Zentrum für Gefäßmedizin des Vivantes-Klinikum in Friedrichshain, Berlin, erklärt: „Das ist sicher eine interessante Studie. In den europäischen Leitlinien zur Thromboseprophylaxe wird ASS schon länger als eine Option zur Thromboseprophylaxe nach Operationen erwähnt.“
Konkret geben beispielsweise die European Guidelines on Perioperative Venous Thromboembolism Prophylaxis eine starke IB-Empfehlung für den Einsatz von ASS bei Hüft-/Kniegelenksersatz sowie Hüftfraktur. Klamroth glaubt aber nicht, dass „ASS in dieser Indikation den Antikoagulantien, wie niedermolekularem Heparin, ebenbürtig ist.“ Seine Einschätzung: „ASS hat einen (geringen) Effekt in der Verhinderung venöser Thrombosen nach operativen Eingriffen bei Frakturen. Dieser Effekt ist, […] wahrscheinlich geringer als der mit einer Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin.“
Untermauert wird diese Einschätzung von anderen Studienergebnissen, konkret des CRISTAL-Trials. Diese Daten lagen 2018, zum Zeitpunkt der Niederschrift der oben genannten europäischen Leitlinie, noch nicht vor. In der CRISTAL-Studie hatten Forscher den Einsatz von ASS und Enoxaparin bei Operationen mit hohem Thromboserisiko, nämlich Hüft- und Kniegelenksersatz-OPs, verglichen. ASS schnitt in der Verhinderung von venösen Thromboembolien signifikant schlechter ab. „Damit ist meine Schlussfolgerung auch mit Blick auf die Publikation der aktuellen Daten, dass ASS, abhängig von dem individuellen Thromboserisiko des Patienten, im Einzelfall nicht ausreichend sein kann“, erklärt Klamroth.
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