REIZDARM-KLARTEXT | Wie testet man auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten? Welche Medikamente wirken tatsächlich gegen Reizdarm? Und welche Rolle spielt die Psyche dabei? Ihr habt gefragt, unser Experte Prof. Wolfgang Holtmeier liefert Antworten.
In der aktuellen Fragerunde in unserem DocCheck CME ging es um das Thema Reizdarmsyndrom. Das Gespräch mit dem Experten fand auch dieses Mal wieder als Live-Stream statt. Mats Klas hat das Ganze moderiert und eure Fragen an unseren Experten Prof. Wolfgang Holtmeier gestellt. In der Fragerunde der DocCheck CME-Veranstaltung geht es um die Diagnostik und Behandlung des Reizdarmsyndroms. Was unser Experte zu sagen hatte, könnt ihr hier nachlesen oder als Video anschauen.
Das ist mir nicht bekannt. Alle Medikamente können gastro-intestinale Beschwerden auslösen – aber das ist dann kein Reizdarm. Das heißt, bei Absetzung des Medikaments sollten die Symptome weggehen, da es sich um Nebenwirkungen handelt. Es gibt hingegen Trigger, wie etwa eine schwere Magen-Darm-Infektion, durch die man einen Reizdarm entwickelt.
Die Psyche kann auch eine Rolle spielen. In diesem Rahmen wird die Hirn-Darm-Achse häufig diskutiert und spielt sicherlich eine entscheidende Rolle. Für das Reizdarmsyndrom kann ein Sammelsurium unterschiedlichster Dinge verantwortlich sein. Allerdings glaube ich, dass das Reizdarmsyndrom eine Ausschlussdiagnose ist. Patienten haben am Ende häufig kein Reizdarm, weil man eben die ursächliche Störung herausgefunden hat.
Indem ich erst mal schaue, ob man mit einer Nahrungsumstellung etwas erreicht. Wenn das nicht der Fall ist und ich durch die Anamnese das Gefühl bekomme, ich kann anderweitig nicht helfen, vermute ich eine somatoforme Ursache. Aber es ist natürlich auch schwierig, in diesem Zusammenhang Psychosomatiker zu finden und dadurch auch für viele dieser Patienten schwierig, Hilfe zu finden.
Ich sage jetzt mal nein. Also man hat natürlich verschiedenste Schmerzen und es gibt auch psychische Ursachen für Magen-Darm-Beschwerden. Die können auch Rückenschmerzen verursachen. Also Fibromyalgie kann da auch eine Rolle spielen und häufig kommt alles zusammen. Aber dass der Reizdarm Rückenschmerzen macht, wäre mir neu.
Ja, man kann eine Schleimhautbiopsie aus dem Mund durchführen. Man kann dann eine Genmutation nachweisen. Das ist aber nicht so zuverlässig in der Interpretation im Vergleich zu einem H2-Atemtest bei Kindern. Der Test des armen Mannes funktioniert aber auch: Denn es geht um die Symptomatik, wie etwa Durchfall und Bauchschmerzen, die bei der Aufnahme von diesen hohen Mengen an Laktose auftreten.
Ja, das kann man machen. Wenn kein Anstieg des Blutzuckers sichtbar ist, dann rauscht die Laktose sozusagen in den Dickdarm und wird nicht aufgenommen. Wir machen häufig beide Tests parallel, allerdings ist das nicht unbedingt erforderlich.
Erst mal muss der Hausarzt die wichtigsten Sachen ausschließen. Und es wird nicht funktionieren, direkt den Gastroenterologen aufzusuchen – da haben wir eine Unterversorgung. Das heißt, der Hausarzt hat auch eine hohe Verantwortung die Weichen richtig zu stellen.
Als Hausarzt kann man auch in ein Labor investieren: Man kann das Calprotectin sowie IgA-Transglutaminase-Antikörper bestimmen lassen. Wenn Calprotectin erhöht ist, dann muss man gleich eine Magen- und Darmspiegelung veranlassen. Und wenn das Patienten sind, die schon über ein Jahr diese Beschwerden und vor allem Durchfall haben, dann würde ich auch recht früh eine Magen- und Darmspiegelung machen – und zwar mit Biopsien sowohl aus dem Magen als auch dem Duodenum und Dickdarm.
Die Nahrungsumstellung: Beispielsweise lässt man Weizenprodukte für eine gewisse Zeit weg oder führt eine FODMAP-arme Ernährung durch. Ob man dann gleich mit Medikamenten anfängt? Ich denke, davor sollte eine Magen-Darm-Spiegelung durchgeführt werden – sonst verzögert das vielleicht eine wichtige Differentialdiagnose. Aber wenn die Magen-Darm-Spiegelung unauffällig war, kann man beispielsweise auch zu Medikamenten wie Kijimea® greifen. Aber Medikamente probiere ich meist als letztes aus, weil dadurch auch Kosten entstehen. Also zuerst primär über die Ernährung probieren, die gleichzeitig eine Diagnostik als auch eine Therapiemaßnahme sein kann.
Bei der Unterscheidung zwischen Diarrhö-Typen muss immer eine Magen- und eine Darmspiegelung gemacht werden – das ist zwingend erforderlich. Also wenn über Wochen und Monate Durchfall vorliegt, sollte man nicht herumexperimentieren. Und wenn ich dabei nichts finde, dann würde ich ein Gallensäureverlust-Syndrom ausschließen. Wenn der Patient immer noch Durchfall hat und sonst alles soweit normal ist, dann gebe ich 2 mg Imodium® (Loperamid) am Morgen; nach Bedarf bis zu dreimal am Tag.
Es gibt keine Tests auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Es gibt diese Immunglobulintests, die in den Leitlinien ganz klar abgelehnt werden. Wenn man bei sich selbst IgG-Tests auf die verschiedensten Nahrungsbestandteile macht, fallen diese häufig positiv aus. Das ist normal, denn unser Immunsystem setzt sich permanent mit der Nahrung auseinander und das kann im Blut nachgewiesen werden. Aber das ist kein Anzeichen einer Unverträglichkeit. Das heißt, bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten bleibt nur Try and Error. Also am Anfang durch eine Eliminationsdiät ausprobieren und die Ernährungsberatung wird dann mit dem Patienten besprechen, welche Nahrungsmittel man dann wieder zuführt, um herauszufinden, was man nicht verträgt. Aber auch das wäre erst am Ende, nachdem man andere Ursachen für die gastro-intestinalen Beschwerden durch eine ausführliche Anamnese, körperliche Untersuchung und Labordiagnostik ausschließen kann.
Die Antwort ist ganz klar: Ja. Warum? Wenn man eine unauffällige Darm- und Magenspiegelung hat und die Proben zeigen keine Zottenatrophie an, kann trotzdem eine Zöliakie vorliegen, weil die Veränderungen nicht immer flächig sind – das heißt, man kann auch sozusagen daneben biopsieren. Manche Patienten haben sehr hohe Antikörper und das würde einem entgehen, wenn die Antikörper nicht bestimmt werden. Also es wird beides gefordert, auch in der Leitlinie. Es ist sogar umgekehrt sicherer: Man verlässt sich eher auf die Antikörper als auf die Biopsie, weil die Biopsie technisch nicht immer so leicht ist und davon abhängt, wer drauf schaut. Bei Kindern kann man auf die Biopsie sogar ganz verzichten, wenn die IgA-Transglutaminase-Antiköper mehr als das Zehnfache des oberen Grenzwertes überschreiten und in einer zweiten unabhängigen Blutprobe die Endomysium-Antikörper positiv sind. Bei Erwachsenen kann man in seltenen Fällen darauf verzichten, das ist in den Leitlinien zu Zöliakie beschrieben: Wenn beispielsweise eine Kontraindikation gegen eine Magenspiegelung besteht, kann auf die Biopsie verzichtet werden, sofern die Antikörper positiv sind.
Ähnlich wie die Bestimmung von IgG-Antikörpern gegen Nahrungsmittel wird die Analyse des Darmmikrobioms abgelehnt. Das kostet viel Geld, mit den aktuellen gängigen diagnostischen Methoden kann man das Mikrobiom nicht genau abbilden – außer man macht eine PCR-Analyse vom Stuhl zur wirklichen Verhältnis-Bestimmung der einzelnen Bakterien zueinander – und es ist auch völlig unklar, welche Bakterien jetzt gut oder schlecht sind. Die Bestimmung des Darmmikrobioms bringt also aktuell nichts und kostet viel Geld.
Es gibt unzählige Probiotika; in den Leitlinien sind welche genannt, die helfen sollen. Ich selber bin da ein wenig skeptisch, weil die Datenlage in meinen Augen eher sehr schwach ist. Beispielsweise werden Probiotika in der Leitlinie zur chronischen Obstipation empfohlen, hingegen in der Leitlinie zum Reizdarmsyndrom eher nicht. Aber ich sage immer: Wenn es dem Patienten damit besser geht, kann man es machen.
Hier in Deutschland wird man niemanden finden, der beim Reizdarmpatienten eine Stuhltransplantation durchführt. Die Studienlage dazu ist aktuell sehr heterogen. Das heißt, es gibt Patienten, die davon profitieren und andere, die nicht profitieren. Es gibt dazu auch noch keine klare Empfehlung.
Xifaxan® – das funktioniert bei manchen Patienten tatsächlich. Man kann es ausprobieren, wenn man sein Pulver sozusagen verschossen hat – es ist nur sehr teuer.
Wenn die Patienten relativ früh zum Arzt gehen und der Arzt entsprechend der Leitlinien agiert, dann wird die Diagnose auch früh gestellt. Das ist eine Frage des Zugangs dieser Patienten zu einer entsprechenden Diagnostik. Das heißt, wenn jemand seit über einem halben Jahr andauernd diese Beschwerden aufweist, sollte man die gesamte Diagnostik inklusive der Prüfung auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten durchführen und dann auch die Diagnose stellen.