Werden Zähne und Mundraum von Intensivpatienten durch Fachpersonal gereinigt, erkranken diese seltener an oft lebensbedrohlichen Atemwegsinfektionen. Auch Gesunde und Schwangere profitieren von einer regelmäßigen, professionellen Zahnreinigung.
In Krankenhäusern stellen nosokomiale Infektionen ein ernstes Gesundheitsproblem dar. Vor allem die meist ohnehin geschwächten Patienten auf den Intensivstationen haben mit Infektionen der unteren Atemwege – den häufigsten nosokomialen Infektionen – zu kämpfen. Eine Studie zeigte: Infizierte Patienten müssen durchschnittlich sechs bis elf Tage länger im Krankenhaus bleiben. Je nach Vorerkrankung besteht außerdem die Gefahr, dass nosokomiale Infektionen zum Tod führen.
„In vielen Fällen beginnt eine Infektion der unteren Atemwege damit, dass pathogene Bakterien aus der Mundhöhle in die Lunge wandern“, schreiben Dr. Fernando Bellissimo-Rodrigues von der Ribeirão Preto Medical School der Universität Sao Paulo in Brasilien und seine Kollegen in ihrer aktuellen Publikation. Endotracheale Intubation und Überdruckbeatmung schleusen Pathogene an den natürlichen Barrieren der Atemwege vorbei und führen so immer wieder zu lebensbedrohlichen Pneumonien. Kariöse Zähne oder Infektionen im Mundraum zählen daher zu den Hauptrisikofaktoren für Infektionen des unteren Respirationstrakts während eines stationären Aufenthaltes.
Lange Zeit ging man davon aus, dieses Problem mit antiseptischen Mundlösungen in den Griff zu bekommen. Doch die Studienlage verblüfft: „Frühere Untersuchungen, die die Wirkung von antibakteriellen Mundspülungen auf das Infektionsrisiko analysiert haben, kamen seltsamerweise zu widersprüchlichen Ergebnissen“, schreiben die Wissenschaftler. Für dieses Phänomen haben die Forscher eine einfache Erklärung. Sie vermuten, dass orale Antiseptika nur dann wirken, wenn keine Parodontopathien vorhanden sind. Ansonsten könnte der Biofilm auf den Zähnen und in den Zahntaschen den antiseptischen Mundspülungen trotzen. Die brasilianischen Wissenschaftler haben daher untersucht, ob eine aufwendige Mundhygiene das Infektionsrisiko von Intensivpatienten verbessern kann.
Dazu teilten sie 254 Patienten, die mindestens für 48 Stunden auf der Intensivstation lagen, in zwei gleich große Gruppen ein. Alle Patienten erhielten dreimal täglich eine antibakterielle Mundspülung mit Chlorhexidin durch das Pflegepersonal der Station. Außerdem wurde ihr Mundraum nach dem Standard-Hygiene-Protokoll dreimal täglich mit einem Mullbindenaufsatz mechanisch gereinigt. Die Interventionsgruppe erhielt zusätzlich eine intensive Zahnpflege von Fachpersonal. Diese beinhaltete das gründliche Zähneputzen mit einer Kinderzahnbürste, die Zungenreinigung und Entfernung von Zahnstein. Bei dieser Gruppe entfernten Kieferchirurgen außerdem kariöse, zerstörte Zähne und sanierten die übrigen kariösen Zähne. Die Zahnpflege der Interventionsgruppe erfolgte an vier bis fünf Tagen in der Woche.
In der Tat schien sich die intensive Zahnhygiene – zusätzlich zur regulären Mundhygiene - positiv auf das Infektionsrisiko der Patienten auf der Intensivstation auszuwirken. Nur 8,7 Prozent der intensiv behandelten Patienten erlitten eine Infektion der unteren Atemwege. Bei der Kontrollgruppe waren es 18,1 Prozent. Auch direkt beatmungsassoziierte Infektionen traten bei der intensiv behandelten Patientengruppe seltener auf (7,6 Prozent versus 16,5 Prozent). Die deutlich verbesserten Infektionsraten zogen allerdings keine signifikant reduzierte Mortalitätsrate nach sich. Während in der Interventionsgruppe 29,1 Prozent der Patienten verstarben, waren es in der Kontrollgruppe 31,5 Prozent.
Die Wissenschaftler erklären das damit, dass ein Großteil der Patienten (83,1 Prozent) ihrer Studie nicht an respiratorischen Infekten, sondern an ihren Vorerkrankungen verstarb. Berücksichtigen die Forscher ausschließlich die Todesfälle durch Atemwegsinfektionen, reduzierte die intensive Mundhygiene die Sterblichkeit der Patienten um 38,1 Prozent. Bei einer Anzahl der notwendigen Behandlungen (NNT) von 10,5 würde sich sogar der kostenintensivere Einsatz eines Dentalchirurgen lohnen, argumentieren die Wissenschaftler. Zu schwerwiegenden Nebeneffekten wie dauerhaften Blutungen oder Parodontitis kam es während der Studie nicht.
Auch bei gesunden Menschen kann die richtige Zahnpflege offenbar Infektionen vermeiden. So zeigte eine Studie, dass Menschen mit guter Mundhygiene und gepflegten, kariesfreien Zähnen seltener an einer HPV-Infektion des Mundraumes leiden als Menschen mit schlechter Mundhygiene. Orale Human-Papillomviren verursachen 40 bis 80 Prozent der Tumore im Mund- und Rachenraum. Auch für Schwangere spielt der Hygiene-Status in ihrem Mund eine wichtige Rolle. Denn Studien zeigten, dass das Risiko eines Spontanabortes oder eines untergewichtigen Neugeborenen bei Frauen mit einer Parodontitis siebenmal höher ist als bei Frauen mit gesunden Zähnen und gesundem Zahnfleisch. Als Wissenschaftler die Fruchtblase von Frühchen bakteriell untersuchten, fanden sie dort genau jene Bakterien, die auch zwischen Zahnfleisch und Zahn der Mutter vorhanden waren. Eine taiwanesische Studie aus dem Jahr 2011 hatte außerdem gezeigt, dass eine regelmäßige professionelle Zahnreinigung auch das Risiko, einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt zu erleiden, reduzieren kann. Probanden mit regelmäßiger professioneller Zahnreinigung beim Zahnarzt wiesen ein um 13 Prozent geringeres Schlaganfallrisiko Risiko auf als Menschen, die ihre Zähne lediglich zu Hause pflegten. Auch das Risiko für einen Herzinfarkt war um 24 Prozent niedriger. Eine gute, professionelle Zahnhygiene zahlt sich also in jeder Hinsicht aus.