Senioren bemerken nicht immer, wenn ihre Sinne schwinden oder ihre Reaktionsfähigkeit nachlässt. Umso wichtiger ist es, die Verkehrstauglichkeit älterer Menschen gegen mögliche Unfallrisiken abzuwägen. Inwiefern sollen Ärzte hier eingreifen? Die Meinungen gehen auseinander.
„Fellbach: Rentner rammt acht Autos“, „Wendlingen: Rentner verwechselt Gas und Bremse“, kaum eine Woche vergeht ohne solche Meldungen. Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) warnt jedoch, alle Senioren vorzuverurteilen oder verpflichtende Tests einzuführen. Gegenpositionen finden sich dennoch genug. Dem ADAC zufolge sind Menschen ab 65 eher selbst gefährdet, als dass von ihnen eine Gefahr ausgeht. Fast jeder zweite getötete Radfahrer oder Fußgänger fällt in die Altersklasse. Und laut Informationen des Deutschen Verkehrssicherheitsrats steigt das statistische Risiko, in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden, erst ab 75 Jahren stark an. Erste gesundheitliche Beeinträchtigungen stellen sich schon weitaus früher ein.
„Um wirklich einen Beitrag zur Sicherheit im Straßenverkehr zu leisten, sind gerade im Alter regelmäßige und vor allem individuelle Gesundheitschecks unumgänglich“, sagt Dr. Dirk Wolter, Chefarzt der Abteilung Gerontopsychiatrie an der LVR-Klinik Bonn. „Denn nimmt das Hör- oder Sehvermögen ab und ist die Reaktionsgeschwindigkeit eingeschränkt, kann ein älterer Fahrer tatsächlich zur Gefährdung im Straßenverkehr werden.“ Gleichzeitig rät der Mediziner, regelmäßig Herz, Leber und das Nervensystem zu untersuchen. Gerade chronische Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen werden zur Gefahr. Einschränkungen des Bewegungsapparats kommen noch hinzu. „Für diese speziellen Fälle sind Geriater ausgebildet und kennen die Bedürfnisse älterer, oft mehrfach erkrankter Patienten ganz genau“, so Wolter. Das Ziel aller beteiligten Kollegen müsse es sein, die Mobilität der Älteren so lange wie möglich zu erhalten. „Andernfalls verlieren viele Menschen zu früh an Autonomie und Selbstbewusstsein, was im Alter schwerwiegende Gesundheitsfolgen haben kann.“ Beim Thema Fahrtauglichkeit spielen auch Arzneistoffe eine große Rolle. Patienten über 65 schlucken oft mehrere Präparate in Dauertherapie. Manche Wirkstoffe senken den Blutdruck, andere machen müde. Besonders kritisch sind Benzodiazepine, Neuroleptika und manche Analgetika. Ärzte sollten von sich aus auf mögliche Gefahren hinweisen. Sind ihre Probleme eher pharmazeutischer Natur, hilft vielleicht eine Umstellung ihrer Medikation. Geeignete Wirkstoffe lassen sich anhand der Beers Criteria Medication List beziehungsweise in der PRISCUS-Liste finden. In vielen Fällen hilft die Technik weiter. „Senioren können auf Automatik-Getriebe umsteigen, um so ihre volle Aufmerksamkeit dem Straßenverkehr zu widmen“, so Wolter. „Außerdem sollten Stoßzeiten vermieden werden, ebenso das Autofahren bei schlechten Wetterbedingungen oder in der Dunkelheit.“ Verpflichtende Untersuchungen lehnt die DGG ab, es müsse jeder Fall individuell betrachtet werden.
Diese Einschätzung teilen nicht alle Experten. Beim letzten Verkehrsgerichtstag sagte Verkehrsanwalt Christian Funk: „Spätestens ab dem 75. Lebensjahr sollen Untersuchungen verpflichtend sein.“ Die Fähigkeit zur Teilnahme am Straßenverkehr müsse ähnlich wie beim Führerscheinerwerb von neutralen Stellen überprüft werden. Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung des Versicherungsverbands GDV, unterstützt diese Sichtweise: „Die Alten sollen bei einer begleiteten Fahrt von etwa einer Stunde ihre Fahrtauglichkeit testen.“ Anschließend würden die Ergebnisse vertraulich mit einem sachkundigen Begleiter analysiert. Dieser könne Hinweise geben, etwa nicht mehr im Dunkeln zu fahren oder Innenstädte zu meiden. „Aber niemandem wird der Führerschein entzogen“, betont Brockmann.