Die X-chromosomale Adrenoleukodystrophie kann nicht pharmakologisch behandelt werden – bis jetzt. Daten aus einer Phase II/III-Studie geben Hoffnung, dass ein neues Medikament den tödlichen Verlauf verhindern könnte.
Die X-chromosomale Adrenoleukodystrophie (X-ALD) ist die häufigste Erkrankung aus einer Gruppe von etwa 50 seltenen Erkrankungen der weißen Hirnsubstanz, den Leukodystrophien. Die genetisch bedingte Schädigung bei der X-ALD beruht auf einem Defekt des X-Chromosoms. Die betroffenen Männer leiden an einer fortschreitenden Lähmung der Beine, Verschlechterung des Gleichgewichts und Gefühlsstörungen, entwickeln Inkontinenz und sexuelle Funktionsstörungen. Trotz der Vererbung über das X-Chromosom können auch weibliche Genträgerinnen betroffen sein. Etwa 30 Prozent der Jungen und 60 Prozent der männlichen Erwachsenen bekommen bei dieser Erkrankung eine Gehirnentzündung, die innerhalb von zwei bis drei Jahren zum Tod führt. Weltweit ist bei 20.000 Geburten etwa eine Person von der Erkrankung betroffen.
Nun ist es Wissenschaftlern aus Europa und den USA erstmals gemeinsam gelungen, bei der X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie kontrollierte Studiendaten zu gewinnen. Von den 116 Patienten erhielten 77 das Medikament Leriglitazon und 39 ein Placebo. Das Medikament hatte bereits in präklinischen Studien gezeigt, dass es eine Neurodegeneration verhindern und einen Schutz vor der lebensbedrohlichen Gehirnentzündung bieten kann. Die Ergebnisse wurden in The Lancet Neurology veröffentlicht.
„Tatsächlich hat sich auch in unserer klinischen Studie gezeigt, dass alle Patienten, die das Medikament genommen haben, von einer Gehirnentzündung verschont geblieben sind. Bei den Teilnehmern, die ein Placebo verabreicht bekamen, sind hingegen 15 Prozent innerhalb von zwei Jahren an dieser lebensbedrohlichen Verlaufsform erkrankt“, erklärt Studienleiter und Erstautor Dr. Wolfgang Köhler, Leiter der Leukodystrophie-Ambulanz der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Leipzig.
Das eigentliche Ziel der Studie war, dass sich Gangstörungen von X-ALD-Patienten mit Hilfe des Medikaments im Verlauf von zwei Jahren nicht verschlechtern. „Das hat insbesondere bei denen funktioniert, die frühzeitig behandelt wurden. Je weiter die Gangstörung fortgeschritten ist, desto weniger war ein Effekt zu sehen. In der Summe gab es keinen signifikanten Unterschied, das eigentliche Ziel der Studie wurde also nicht erreicht“, erklärt Dr. Köhler. Dennoch gab es viele Punkte, die für eine klinische Wirkung des neuen Medikaments sprachen: Neben dem Hinweis, dass eine Gehirnentzündung verhindert werden könnte, verbesserten sich unter anderem neurologische Befunde wie etwa Gleichgewichtsstörungen mit positiven Auswirkungen auf die Lebensqualität.
Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) prüft derzeit den Zulassungsantrag des spanischen Pharma-Unternehmens Minoryx für das Medikament Leriglitazon für die Behandlung erwachsener männlicher Patienten mit X-ALD. Das Unternehmen sponserte die Studie.
Alle Teilnehmer der Studie haben aktuell die Möglichkeit, für insgesamt fünf Jahre mit Leriglitazon weiterbehandelt zu werden (‚open-label-extension‘). Darüber hinaus sind Folgestudien bei Patienten mit bereits bestehender Hirnbeteiligung geplant. „Dadurch haben wir die Hoffnung, dass wir auch Patienten mit fortgeschrittener, entzündlicher Gehirnbeteiligung künftig wirksam mit einem Medikament behandeln können. Vor allem solche, denen wir nicht mehr mit einer Stammzelltransplantation helfen können. Das ist nur in einem sehr frühen Stadium der Gehirnentzündung möglich“, erklärt Köhler.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der Universität Leipzig. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Paul Skorupskas, unsplash