„Warum ich?“ – diese Frage stellen sich viele Krebspatienten. Gut gemeinte Sprüche wie „du bist eine Kämpferin“ machen es oft nur noch schlimmer. Was mir stattdessen geholfen hat, lest ihr hier.
Kennt ihr diese lieb gemeinten Sätze, die meist kurz nach der Krebsdiagnose kommen? Wie zum Beispiel: „Du schaffst das schon. Du bist eine Kämpferin.“ Oder „Du darfst nicht aufgeben.“ Oder „Du wirst sehen, du kommst bald wie Phoenix aus der Asche zurück.“ Manchmal sind sie Motivation, manchmal aber auch eine Bürde.
Als ich meinem behandelnden Oberarzt kurz nach dem Start stolz von meinem Blog „Zellenkarussell“ erzählte, war er erst etwas skeptisch und meinte: „Hoffentlich geht das textlich nicht in die Richtung ‚Man muss nur richtig wollen und positiv denken, dann wird das schon werden.‘“ „Nein, das darf und wird auch nicht so sein“, entgegnete ich ihm damals und fühle mich auch heute noch – fast vier Jahre später – diesem Versprechen verpflichtet.
Und damit sind wir schon mitten im Thema. Was bedeutet das eigentlich, wenn alle von einem positiven Mindset sprechen? Besser gefragt, was bedeutet das für Krebspatienten mit schlechter Prognose oder Palliativpatienten? Meine Antwort darauf: Für mich hat das alles in erster Linie mit Lebensqualität zu tun. Wie schaue ich aufs Leben und was ist mir wichtig?
Lebensqualität und innere Haltung sind für mich untrennbar miteinander verbunden. Sind wir (vermeintlich) gesund, kümmern uns diese Themen wenig, denn sie sind wie selbstverständlich vorhanden. Das Mindset wird maximal eingesetzt, um sich selbst zu optimieren. Wirst du jedoch krank, bekommen diese beiden Faktoren einen ganz anderen Stellenwert.
Das beginnt meist schon kurz nach der Diagnose. Häufig kommen da Gedanken hoch, die uns hadern lassen und die in der Frage münden: „Warum ich?“ Komischerweise hatte ich diesen Gedanken am Anfang gar nicht, der kam erst fast zwei Jahre später, nach dem großen Schock Therapieversagen und der dann doch erfolgreichen Stammzelltransplantation, die mir alles, wirklich alles abverlangte.
Doch schauen wir noch mal kurz auf die negative Kraft der Frage „Warum ich?“ Denn genau das ist es, was sie verströmt: Negativität, die einem dazu auch noch Energie raubt.
Meine Erfahrung ist: Das nach hinten Schauen ergibt in dieser ersten Phase, also der Phase nach der Diagnosestellung, keinen Sinn. Ich muss es so klar sagen: Die Krankheit ist da, sie gehört jetzt zu dir. Ab jetzt zählen der Moment und der Blick nach vorne. Eine Perspektive gibt dir die Kraft, die du nun brauchst. Und vor allem: Nimm die Krankheit an. In der Sprache der Psychologen ist in dem Zusammenhang häufig von der Akzeptanz der Diagnose die Rede.
Die Alternative dazu wäre, gegen etwas zu kämpfen, was nicht zu bekämpfen geht – zumindest nicht so, wie man es sich wünscht. Medizinisch hoffentlich schon. Je früher man zu dieser Einsicht kommt, umso besser.
Denn es ist ja nicht so, als hätte man sich kurz mal verlaufen und müsste nur umdrehen und dann den richtigen Weg finden. In dieser Situation geht es darum, neue Wege aufzutun, für die man einen kühlen, einen klaren Kopf benötigt. Jetzt stehen teilweise existenzielle Entscheidungen an, die nicht ins Blaue hinein getroffen werden dürfen.
Ein lieber Freund benutzt dafür gerne das Bild eines Parkplatzes. „Dinge, die ich nicht verstehe, die mir zu groß sind, parke ich erst mal bildlich ein und schaue später noch mal vorbei.“
Und dann wäre da noch das Wort „Kampf“ an und für sich. Denn ehrlich gesagt tue ich mich damit zunehmend schwer. „Du bist eine echte Kämpferin!“ Diesen Satz habe ich schon so oft gehört, dass er mir in den Ohren klingelt.
Denn wie anstrengend ist es, immer kämpfen zu müssen?
Und es bedeutet nicht, dass die kämpferische Haltung automatisch ein gutes Ende impliziert. Leider nicht. Da spielen so viele Faktoren mit hinein. Unter anderem auch viel Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Dauernder Kampf oder kämpfen zu müssen, kostet Kraft, viel Kraft, die meist nicht vorhanden ist, weil der Körper und der Geist stark gefordert sind. Ich bin eher dafür zu sagen: Verliere nicht den Glauben an dich, an deinen Körper, an die Ärzte und die Medizin. Gib dich niemals auf! Ich für mich möchte nicht ständig im Kampfmodus sein.
Und noch eine Sache, die ich in diesem Zusammenhang erwähnen möchte: die sogenannten Selbstheilungskräfte.
Meine Ärzte sehen in meiner Heilung ein „kleines Wunder“ und haben mir oft genug zu verstehen gegeben, dass meine positive Art und Lebenseinstellung einen Einfluss auf den Verlauf meiner Therapie hatten. Das ist aber nicht gesetzt. Und daher sind solche Ideen oder Gedanken wie „Na, dann hat er oder sie es wohl nicht richtig gewollt“ völlig fehl am Platze.
Vielleicht ist es auch gut, manche Sachen einfach zu verdrängen, negative Prognosen zu überhören. Bei mir sind die vor jetzt fast sieben Jahren abgeperlt, wie ein Wassertropfen in einer Teflonpfanne. „Gib dich niemals auf“ ist daher für mich mehr als nur ein Spruch. Denn wie sagte eine wunderbare Ärztin einmal zu mir: „Frau Rausch, auch Zeitgewinn kann ein Erfolg sein. Die Forschung entwickelt so rasant neue Therapien, man weiß nie, was wann passiert.“
Außerdem war ein Motor (neben meinen Kindern natürlich) für mich auch, dass ich dachte, selbst wenn die Situation gerade nicht besonders prickelnd ist, möchte ich es mir gerade deswegen schön machen. Dazu gehörten Ausflüge, Verabredungen mit Freunden, Kurztrips, viel Lachen und Humor.
Eine Sache, die mir übrigens immer sehr gut hilft, ist das Schreiben. Jeden Morgen schreibe ich 5–10 Minuten runter, was mir einfällt. Dann merke ich, wie sich meine Gedanken ordnen. Wenn ich spüre, dass ich die Kellertreppe der Gefühle immer weiter hinunter gehe, schnappe ich mir meine Kladde und schreibe drauf los.
Sonst empfiehlt es sich auch immer, das Gespräch zu suchen. Ganz egal, ob mit einem Psychoonkologen, dem Partner oder guten Freunden. „Wer seine Gedanken verbalisiert, verarbeitet die Erkrankung besser“, erklärte mir einmal meine Psychoonkologin.
Die Wissenschaft belegt den Ansatz der guten Gedanken – den Placeboeffekt – inzwischen mit zahlreichen Studien. Beispielsweise führte allein die Vorstellung von ausreichender Sauerstoffzufuhr in großer Höhe dazu, die Folgen eines Bergaufstiegs (Kopfschmerzen, verminderte Leistungsfähigkeit/Höhenkrankheit) besser zu meistern.
Eine andere Studie zeigte, dass, wenn eine Pflegekraft die verordneten Medikamente auf den Nachttisch legt, diese nicht so wirksam sind, wie wenn der Chefarzt sie persönlich überreicht. Selbst bei mechanischen Beschwerden, wie Knorpelschäden im Knie, die angeblich operiert wurden, kann man ähnlich erfolgreiche Heilungsverläufe beobachten wie bei denen, die tatsächlich operiert wurden.
Was entscheidend ist, so die Wissenschaftler, sind die Erwartungen, der soziale Zusammenhang, das Setting. So macht unser Hirn aus Worten und Bildern Chemie.
Das sogenannte Selbstsystem – die obere Kommandoebene im Gehirn – beschreibt die innere Aufstellung. Also: Was denke ich über mich? Was glaube ich, was gut für mich ist? Das hat auch viel mit der Selbstwirksamkeitserwartung zu tun, die eine große Bedeutung für ein zufriedenes Leben hat, wie mir Prof. Malek Bajbouj von der Charité einmal in meinem Podcast erklärte.
Dabei spielt es keine Rolle, ob das Erwartete auch wirklich eintrifft. Wenn man sich dazu noch motivierende Vorbilder sucht, etwas Sinnstiftendes tut, sich in sozialen Interaktionen oder Gemeinschaften bewegt und schließlich, so sagt es Bajbouj, bei Allem, was gerade um einen herum geschieht, trotzdem wertschätzend im Hier und Jetzt ist, hat man eine sehr solide Basis, um anstehende Herausforderungen gut zu meistern.
Wenn dieses Selbstsystem gut aufgestellt ist, man eine gute Selbstfürsorge, mehr Achtsamkeit betreibt, hat es Effekte auf die untere Kommandoebene im Hirn, die dann Glücksbotenstoffe in den Körper schickt. Stressbotenstoffe dagegen werden weniger ausgelöst und damit auch nicht transportiert. Sowohl Glücksbotenstoffe als auch Stressbotenstoffe können das Herz-Kreislauf-System und das Immunsystem beeinflussen. Also kein Hokuspokus!
Und das Schöne daran: Die Haltung, das Selbstsystem, ist steuerbar, erlernbar. Jeder kann selbst etwas für sich tun. Es gibt keine ausschließliche Veranlagung zum Optimisten oder Pessimisten, was ich übrigens immer dachte. Alles ist modellierbar, wie die Neurologen sagen.
Natürlich kommen dunkle Gedanken immer mal wieder hoch, das ist auch völlig okay und normal. Sie dürfen sich nur nicht dauerhaft im Kopf einrichten und dich schwächen. Ich halte es da mit dem Sprichwort, das ich einmal in einer Talkshow aufgeschnappt habe: „Du kannst nicht verhindern, dass die Vögel des Kummers und der Sorge über deinen Kopf fliegen. Du kannst aber versuchen zu verhindern, dass sie mit deinen Haaren Nester bauen.“
Mehr von der Autorin gibt es hier: Das Zellenkarussell.
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