Der ganze Körper der Patienten ist mit seidigen, hellen Haaren bedeckt – so äußert sich das sogenannte Ambras-Syndrom. Was ihr zur seltenen Form der Hypertrichose wissen müsst, lest ihr hier.
Früher wurden Menschen, deren Aussehen nicht der Norm entsprachen, auf Jahrmärkten ausgestellt. Darunter fanden sich neben Klein- und Großwüchsigen auch sogenannte Wolfsmenschen, die am ganzen Körper übermäßig behaart waren. Der medizinische Begriff dafür: Hypertrichosis. Sie kann auch beim seltenen Ambras-Syndrom auftreten.
Das Ambras-Syndrom (AS) wurde erstmals 1993 durch den deutschen Pädiater F. Baumeister und seine Kollegen beschrieben. Die Namensgebung der Erkrankung beruht auf einem Gemälde aus dem 16. Jahrhundert, das die erste dokumentierte Person mit dem Ambras-Syndrom, Pedro Gonsalvus, zeigt. Es wurde im Schloss Ambras bei Innsbruck gemalt.
Hypertrichose ist definiert als übermäßiger Haarwuchs überall am Körper, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Es ist allerdings wichtig, Hypertrichose von Hirsutismus zu unterscheiden, einem Begriff, der Frauen vorbehalten ist, denen an androgenabhängigen Stellen übermäßig viele Terminalhaare wachsen.
Es gibt mehrere Möglichkeiten, Hypertrichose zu klassifizieren. Diese basieren auf der Verteilung (generalisiert vs. lokalisiert), dem Erkrankungsalter (angeboren vs. erworben) und dem Haartyp (Vellus vs. terminal). Beim Ambras-Syndrom liegt meist keine hormonelle Störung im Testosteron- oder Estrogenhaushalt vor, sondern eine Fehlbildung der Haarfolikel. Es wird angenommen, dass die mit AS assoziierte Hypertrichose einen erhöhten Prozentsatz an Follikeln in der Anagenphase bzw. mehr Haarfollikel pro Hautflächeneinheit umfasst.
Menschliches Haar wird in Lanugo-, Vellus- und Terminalhaar eingeteilt. Lanugo-Haare entwickeln sich und fallen während des fötalen Lebens aus und werden unmittelbar von Flaumhaaren gefolgt. Vellushaare sind kurze, dünne und normalerweise unpigmentierte Haare, die den größten Teil der allgemeinen Körperbehaarung bilden und bei Kindern und Jugendlichen bis zur Pubertät die gesamte Körperbehaarung ausmachen. Endhaar ist länger, gröber und markig; es ist von Geburt an auf der Kopfhaut, den Augenbrauen und den Wimpern zu finden und umfasst das neue Haar und das in der Pubertät und im Erwachsenenalter gebildete Haarmuster. Endhaare entstehen aus samtigen Haarfollikeln unter dem Einfluss von Androgenen.
Die angeborene generalisierte Hypertrichose ist ein Merkmal mehrerer seltener Erbkrankheiten, bei denen genetische Fehler zu einer Fehlfunktion von Proteinen führen, die an der Entwicklung der Haarfollikel beteiligt sind. Der ganze Körper des Patienten ist mit seidigen, hell gefärbten Haaren bedeckt, die an den Schultern, im Gesicht und an den Ohren am stärksten hervortreten. Das Haar bedeckt gleichmäßig die Augenlider, die Nase, die Wangen, die periaurikuläre Region und die Schulter.
Die Haarlänge kann mehrere Zentimeter erreichen. Haare fehlen in Regionen, in denen normalerweise keine Haare wachsen. Im eingangs erwähnten Baumeister-Fall konvergierten die Haare der Patientin „auf der Bauchseite zu einem Kamm, der einen dreieckigen Schal um ihre Schultern nachahmte“. Im Gegensatz zu anderen Formen der angeborenen Hypertrichose weist keiner der gemeldeten AS-Fälle metabolische oder endokrine Defekte auf. Daher sollten im Verdachtsfall Androgenspiegel gemessen werden. Bei normalen Androgenspiegeln kann ein Hirsutismus ausgeschlossen werden.
Die genetische Veränderung wurde in der ursprünglichen Baumeister-Beschreibung als zentraler Bestandteil von AS angesehen. Obwohl es nur sehr wenige Berichte über die genetischen Veränderungen gibt, scheint es, dass Inversionen von Chromosom 8 mit Hypertrichose assoziiert sind.
Der Baumeister-Fall wurde im Alter von 3 Jahren vorgestellt und lebte einen relativ normalen Lebensstil mit Haarrasur alle paar Wochen. Einige Patienten entwickeln jedoch assoziierte Anomalien, wie z. B. Zahnanomalien, die möglicherweise einer Behandlung bedürfen.
Die Assoziation von gingivaler Hyperplasie mit AS ist eine seltene Entität, so wie in einer Kasuistik von Kundoor et al. beschrieben. Bei der intraoralen Untersuchung zeigte sich eine generalisierte Gingivahyperplasie, eine Verschiebung der Ober- und Unterkieferfrontzähne mit hochgewölbtem Gaumen und Zahnkaries. Angesichts der Seltenheit von Patienten mit AS können Komplikationen auftreten, die aufgrund diagnostischer und technischer Einschränkungen nicht gemeldet wurden.
Laser-Haarentfernung, Enthaarungscremes und Elektrolyse werden verwendet, um unerwünschte Haare zu entfernen. Der Nd:Yag-Laser, der Alexandrit-Laser und der Diodenlaser sind dabei die wirksamsten Haarentfernungslaser.
Enthaarungscremes enthalten typischerweise Calciumthioglykolat und Bariumsulfat und sind wirksam, obwohl sie die Haut reizen können. Capislow-Extrakt (ein Extrakt aus Larrea divaricata) wird als topischer Haarhemmer verwendet, indem er die anagene Phase des Haarwachstums hemmt. Er wirkt antiproliferativ, entzündungshemmend, antioxidativ und hemmt die 5-α-Reduktase. In einer Studie von Shokeir et al wurde erfolgreich eine Kombination der Capsilow-Creme mit einer Lasertherapie kombiniert.
Die Bezeichnung Ambras-Syndrom ist übrigens umstritten. Chen et al. plädieren dafür, den Begriff „über Bord zu werfen“: „Die Bezeichnung Ambras-Syndrom wurde für verschiedene Formen der angeborenen Hypertrichose verwendet, die sich so stark unterscheiden, dass der Name ‚Ambras‘ weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft eine spezifische Bedeutung hat“, so die Autoren.
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