Was, wenn ein Arm plötzlich ohne eigene Kontrolle am Ohr zieht oder an die Nase fasst? Dieses seltene Phänomen wird als Alien-Hand-Syndrom bezeichnet. Lest hier mehr.
Das Alien-Hand-Syndrom (AHS) wurde erstmals 1908 dokumentiert und von Goldstein als „eine Art Apraxie mit einem Gefühl der Entfremdung zwischen dem Patienten und seiner Hand“ beschrieben. Das fremde Glied bezieht sich auf eine Extremität mit unkontrollierbarer und unwillkürlicher motorischer Aktivität. Goldstein berichtete 1908 über den ersten Fall einer rechtshändigen Frau, die zuvor einen Schlaganfall erlitten hatte. Die Patientin klagte über ein „fremdes“ Gefühl in der linken Hand, als würde sie von jemand anderem benutzt. Dieses Gefühl der Fremdheit wurde weiter untersucht und schließlich 1972 und als „The Strange Hand“ bezeichnet. Bogen führte dann 1979 den Begriff „Alien“ ein, erweiterte die Definition des Zustands um unerwünschte Aktivitäten und machte ihn schließlich zu einer Handlung. Während das Alien-Gliedmaßen-Phänomen (ALP) hauptsächlich in den oberen Extremitäten berichtet wurde, können auch die unteren Extremitäten betroffen sein.
Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass das Phänomen mit verschiedenen Erkrankungen verbunden ist, unter anderem mit dem Corticobasal-Syndrom (CBS), der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD), der Alzheimer-Krankheit oder dem Schlaganfall.
Es ist am häufigsten mit einer Beteiligung der rechten Hemisphäre und des linken Hemikörpers verbunden. Mehrere verschiedene Strukturen im Gehirn sind notwendig, um eine bilaterale Handsteuerung zu haben, einschließlich des zusätzlichen motorischen Bereichs, des vorderen zingulären Kortex, des medialen Frontallappens, des Corpus callosum und des Parietallappens. Darüber hinaus wurden ungewöhnliche Erkrankungen als mögliche Ursachen von AHS dokumentiert, wie beispielsweise demyelinisierende Erkrankungen, progressive multifokale Leukenzephalopathie, hereditäre diffuse Leukenzephalopathie mit Sphäroiden, posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom, Corpus Callosotomie, intrazerebrale Blutung und Thalamus-Demenz.
1992 kategorisierte Feinberg AHS in zwei Subtypen: frontale und callosale Varianten. Die frontale Form des vorderen AHS betrifft die linke Hemisphäre und die dominante Hand. Patienten mit frontaler Variante von AHS zeigen häufig impulsives Tasten, Greifen oder zwanghaftes Manipulieren von Objekten.
Die Patienten erkennen, dass die Gliedmaßen zu ihnen gehören, empfinden es jedoch als schwierig, die Bewegungen der betroffenen Gliedmaßen zu kontrollieren. So war etwa wie in einer Kasuistik von Liu et al. beschrieben eine 57-jährige Frau nicht in der Lage, ihre linke Hand davon abzuhalten, sich an den Hals zu fassen. Oder aber: In einem Fallbericht von Lawson McLean et al. wird über einen Patienten mit einer Subarachnoidalblutung aus einem Aneurysma der A. communis anterior, der ein Alien-Hand-Syndrom und einen intermanuellen Konflikt entwickelte, berichtet. Bisher wurden 17 Fälle von Alien-Hand-Syndrom bei aneurysmatischer Subarachnoidalblutung gemeldet.
Die kortikobasale Degeneration (CBD) ist eine fortschreitende neurodegenerative Tauopathie, die sich mit asymmetrischer Starrheit, Apraxie, Dystonie, Myoklonus, kortikalem Sensibilitätsverlust und Dystonie sowie Verhaltens- und kognitiven Beeinträchtigungen wie Aphasie zeigt. Auch hierbei kann das AHS auftreten. Nach einer Levy-Körper-Demenz wurden ebenfalls Fälle vom AHS beschrieben.
Es gibt keine zugelassenen oder empfohlenen Therapien für AHS. Die Behandlung basiert auf anekdotischen Berichten, sowohl über pharmakologische als auch über Verhaltensinterventionen.
Ein bemerkenswerter Bericht ist der einer 13-jährigen Patientin mit Levitation des rechten Arms nach einem linken vorderen Thalamusinfarkt, die auf Clonazepam und Botulinumtoxin ansprach. Zwei Tage nach Beginn der täglichen Einnahme von 1 mg Clonazepam hatte sie eine 70%ige Verringerung der Anzahl der Levitationen pro Minute (LE/min) und der spontanen Greifbewegungen pro Minute (SG/min). Leider führte die schlechte Verträglichkeit zum Absetzen. Anschließend erhielt sie 600 Einheiten Botulinumtoxin Typ A in den Deltamuskel, den Trizeps, den Bizeps, den Flexor carpi ulnaris und die Fingerstrecker des rechten Arms, was eine 80%ige Verbesserung der LE/min und SG/min bewirkte. Clonazepam potenzierte möglicherweise ihre thalamische GABAerge Schaltung, was wahrscheinlich dazu führte, dass entweder die Überempfindlichkeit des Arms gegenüber äußeren Reizen verringert oder der innere Reiz, der das AHS antreibt, gedämpft wurde.
Aber auch ein sensorischer Trick kann die Symptome lindern. Ein 67-jähriger Mann mit AHS entwickelte nach einem Schlaganfall tastende und greifende Bewegungen seiner linken Hand, die seinen Schlaf störten. Um seine Not zu lindern, wurde ein einfacher Ofenhandschuh über die Hand gelegt und seine Bewegungen verbesserten sich erheblich, sodass er bequem schlafen konnte. Der Ofenhandschuh lieferte wahrscheinlich genügend Stimulation für den sensorischen Greifreflex der Wirbelsäule, um eine Akkommodation zu erreichen, wodurch die Bewegungen gehemmt wurden.
Angesichts der Seltenheit von AHS scheint die Möglichkeit, randomisierte, placebokontrollierte Studien mit einer großen Anzahl von Patienten mit gemeinsamen zugrunde liegenden Pathologien durchzuführen, leider auch in Zukunft unwahrscheinlich.
Bildquelle: Akira Hojo, Unsplash