Erhöht eine Vollnarkose das Demenzrisiko? Bislang konnte diese Frage nicht geklärt werden. Eine Studie liefert nun neue Hinweise – und zeigt, dass die Art der Narkose eine Rolle spielt.
Ob Operationen unter Narkose das Demenzrisiko erhöhen, ist schon länger umstritten. Die Studienergebnisse gehen dabei weit auseinander: So kam 2014 eine taiwanesische Kohortenstudie zum Schluss, dass ältere Patienten, die sich einer OP unter Narkose unterzogen hatten, ein fast doppelt so hohes Demenzrisiko hatten wie Patienten in der Kontrollgruppe. Auch eine französische Studie von 2013 stellte ein um 35 % erhöhtes Risiko fest. Im Gegensatz dazu konnte beispielsweise eine kanadische Studie von 2020 in Hinblick auf das Demenzrisiko keinen Unterschied zwischen ihrer Studienkohorte und der nicht-narkotisierten Kontrollgruppe feststellen.
Ein taiwanesisches Forscherteam untersuchte in eClinicalMedicine nun erneut die Frage, ob die Allgemeinanästhesie ein unabhängiger Risikofaktor für eine Demenz ist. Dazu verglichen sie in einer populationsbasierten Kohortenstudie die Demenz-Inzidenz zwischen Patienten, die sich unter unterschiedlichen Anästhesieformen einem elektiven Eingriff unterzogen hatten.
Zu diesem Zweck wurden Daten der taiwanesischen National Health Insurance Research Database (NHIRD) von insgesamt 63.750 Patienten ausgewertet. Eingeschlossen wurden solche Patienten, die im Zeitraum von 2008 bis 2019 stationär operiert wurden und über 20 Jahre alt waren.
Die Patienten wurden entsprechend der verwendeten Narkoseform in drei gleichgroße Gruppen eingeteilt: Allgemeinanästhesie durch entweder Inhalations- oder Injektionsanästhetika oder Regionalanästhesie. Die Gruppen wurden hinsichtlich potentieller Störfaktoren wie Alter, Geschlecht, Komorbiditäten, Medikamenteneinnahme und Rauchstatus angepasst. Auch auf Art und Dauer der Operationen wurde Rücksicht genommen. Dementsprechend gab es in dieser Hinsicht keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Gruppen.
Im Vergleich zwischen den Gruppen zeigte sich nun eine deutlich erhöhte Demenz-Inzidenz in den beiden Gruppen, deren Eingriffe unter Vollnarkose abliefen. In der Gruppe, in der inhalative Anästhetika zum Einsatz kamen, lag die Inzidenz bei 3647,90 pro 100.000 Personenjahren; bei den nicht-inhalativen Narkotika lag sie bei 3492,00 / 100.000 Personenjahren. Bei Patienten, die lediglich eine regionale Betäubung erhalten hatten, lag die Inzidenz hingegen nur bei 272,99 / 100.000 Personenjahren. So ergab sich ein HR von ganzen 20,16 (95 % CI, 15,40 – 26,35) für die Inhalationsnarkotika und von 18,33 (95 % CI, 14,03 – 24,04) für die intravenöse Narkose im Vergleich zur Regionalanästhesie.
Es machte also nicht nur einen Unterschied, ob allgemein regional betäubt wurde: Auch die Applikationsroute, bzw. die Art der Narkotika, schien in der Auswertung einen Einfluss auf das Demenzrisiko zu haben. Der direkte Vergleich zeigte, dass Inhalationsnarkotika im Vergleich zu den intravenösen Narkotika mit einem um 13 % erhöhten Demenzrisiko verbunden waren (HR 1,13; 95 % CI 1,03 – 1,22).
Insgesamt schätzten die Forscher die Demenz-Inzidenz in ihrer Studienpopulation als vergleichsweise niedrig ein – wahrscheinlich, weil die Probanden jünger waren als in vergleichbaren Studien. Die meisten dieser anderen Studien schlossen für ihre Untersuchungen nur Patienten über 50 Jahre ein. In der aktuellen Studie zeigte sich wenig überraschend, dass das Demenzrisiko mit zunehmendem Alter anstieg, aber auch, dass das Demenzrisiko nach Allgemeinanästhesie über alle Altersgruppen hinweg erhöht war. Durch die junge Studienpopulation ließ sich den Autoren zufolge das Risiko vermindern, dass die Probanden schon zum Zeitpunkt der Operation unbemerkt unter kognitiven Einschränkungen litten.
Weiterhin bemängeln die Autoren, dass ihnen keine weiteren Details zu den Anästhetika zugänglich waren – welche Medikamente genau zum Einsatz kamen, lässt sich anhand der NHIRD-Daten nicht nachvollziehen. Ebenso fehlten Daten zu Ernährungsgewohnheiten, Bildungsstand und Familienhistorie – allesamt mögliche Risikofaktoren für Demenz, die das Ergebnis beeinflusst haben könnten. Zuletzt sollte auch bedacht werden, dass die Studienpopulation ausschließlich asiatischer Abstammung war. Die Ergebnisse lassen sich also nicht zwingend auch auf eine europäische Population übertragen.
Die Autoren fassen aber zuversichtlich zusammen: „Trotz dieser Einschränkungen liegt eine große Stärke dieser Studie in der Verwendung eines landesweiten, bevölkerungsbezogenen Registers mit detaillierten Ausgangsdaten. […] In Anbetracht des Ausmaßes und der statistischen Signifikanz der in der aktuellen Studie beobachteten Effekte ist es unwahrscheinlich, dass die oben genannten Einschränkungen unsere Ergebnisse beeinflusst haben.“ Um die Frage abschließend zu klären, wird aber wohl noch weiter geforscht werden müssen.
Bildquelle: David Clode, unsplash