Eine übermäßige Smartphone-Nutzung kann negative psychische Folgen haben. Etwa Nomophobie, die Angst, nicht erreichbar zu sein. Aber ist das wirklich ein eigenes Störungsbild?
Smartphones sind ein fester Bestandteil unseres täglichen Lebens. In Deutschland nutzten 2021 insgesamt 63 Millionen Menschen ein Smartphone, das entspricht rund 78 Prozent der Bevölkerung. Die durchschnittliche Smartphone-Nutzung lag bei drei Stunden und 49 Minuten pro Tag. Nomophobie (no mobile phone phobia) tritt vor allem bei exzessiver Smartphone-Nutzung auf und beschreibt die Angst, vom eigenen Smartphone getrennt zu sein. Eine Studie konnte nun nachweisen, dass Nomophobie auch in Deutschland weit verbreitet ist.
„Bisher gab es in Deutschland kein geprüftes diagnostisches Instrument für Nomophobie“, sagt Dr. Yvonne Görlich, Professorin für Psychologische Diagnostik und Differentielle Psychologie an der PFH Private Hochschule Göttingen. „Für unsere Studie haben wir den international häufig eingesetzten Fragebogen Nomophobia Questionnaire NMP-Q übersetzt und validiert“, so Görlich. Dieser Fragebogen erfasst die Stärke von vier Dimensionen, die für Smartphone-Entzug typisch sind:
Diese Faktoren korrelieren unterschiedlich stark mit Persönlichkeitsmerkmalen, wie Gewissenhaftigkeit, Offenheit oder Neurotizismus aber auch mit Angst und Stress.
Die Studie der PFH ergab, dass fast die Hälfte der Teilnehmer (49,4 %) ein mittleres Maß an Nomophobie aufwies, weitere 4,1 % eine schwere Nomophobie. Obwohl es Überschneidungen mit der Smartphone- und Internetsucht gibt, stellt Nomophobie ein eigenständiges Konstrukt dar. „Geht das Handy verloren oder ist man aufgrund eines Funklochs oder eines leeren Akkus kurzzeitig nicht erreichbar, kommt es zu einem subjektiv verschobenen, übermäßigen Angstempfinden“, erläutert Görlich. „Smartphone-Abhängigkeit zählt zu den Suchterkrankungen, während Nomophobie eine Angststörung ist“, erläutert die Psychologin den Unterschied. Die Betroffenen erleben in erster Linie einen Kontrollverlust über ihre Smartphone-Nutzung, der sich auf andere Bereiche ihres Lebens auswirkt. „In früheren Studien wurden signifikante Zusammenhänge zwischen Nomophobie und Einsamkeit, Depression, Ablenkung und verminderter Impulskontrolle festgestellt“, so Görlich. Ein weiteres Phänomen, das eng mit der Nomophobie zusammenhängt, ist die Angst, etwas zu verpassen, die sogenannte Fear of Missing Out (FoMO).
Die Studie ergab, dass Männer im Durchschnitt einen Nomophobie-Wert von 54 erreichten und Frauen von 63. Ohne ihr Smartphone fühlen sich Betroffene unwohl, sind nervös, ängstlich oder gereizt. Dabei zeigten Frauen bei den Faktoren „Nicht kommunizieren können“ und „Komfortverzicht“, signifikant höhere Werte als Männer. „Wir können davon ausgehen, dass Frauen aufgrund eines stärkeren Bedürfnisses nach sozialen Beziehungen das Smartphone stärker zur Kommunikation nutzen und somit höhere Nomophobie-Scores erzielen“, erläutert Görlich. Bei der Häufigkeit der Smartphone-Nutzung gab es keine signifikanten Unterschiede, aber Frauen waren länger mit dem Smartphone beschäftigt als Männer.
Noch gilt Nomophobie jedoch nicht als anerkannte Krankheit. „Angesichts der so weit verbreiteten Smartphone-Nutzung und internationaler Studienergebnisse liegt die Frage nahe, ob Nomophobie in die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) oder das Diagnostische und Statistische Handbuch Psychischer Störungen (DSM) aufgenommen werden sollte und damit als Angststörung anerkannt wird“, so die Forscherin. Im ICD sind auch spezifische Phobien wie beispielsweise Arachnophobie aufgelistet. „Die technischen Veränderungen und ihre psychischen Folgen zeigen sich z. B. darin, dass im seit 2022 gültigen ICD-11 die Computerspielsucht in der Rubrik Verhaltenssüchte neu aufgenommen wurde“, so Görlich weiter.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der PFH Private Hochschule Göttingen. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Rodion Kutsaiev, unsplash