Resistente Keime sind auf dem Vormarsch. Aber nicht nur der inflationäre Einsatz von Antibiotika trägt dazu bei – möglicherweise spielen auch Antidepressiva den Bakterien in die Karten.
Es lässt sich kaum genug betonen: Antibiotikaresistenzen werden zunehmend zum Problem. Bekanntlich trägt der verbreitete Übergebrauch von Antibiotika maßgeblich zu dieser Entwicklung bei. Wie eine aktuelle Studie in PNAS demonstriert, ist das aber nicht der einzige Faktor: Auch Wirkstoffe, die mit der Abtötung von Bakterien erstmal nichts zu tun haben, könnten zur Entstehung von Resistenzen beitragen.
Bereits 2018 konnte ein australisches Forscherteam feststellen, dass Escherichia Coli-Bakterien, die in vitro 30 Tage lang dem Antidepressivum Fluoxetin ausgesetzt wurden, schon bei geringen Konzentrationen Antibiotikaresistenzen entwickelten. Das Grund dafür ist, dass Fluoxetin die Bakterien dazu anregt, vermehrt reaktive Sauerstoffspezies (ROS) freizusetzen. In der Folge nimmt die Mutagenese zu und die Bakterien produzieren verstärkt Effluxpumpen – Arzneistofftransporter, die die Antibiotika aus den Zellen heraustransportieren.
In der aktuellen Publikation zeigt das gleiche Team nun: Der Effekt ist keineswegs auf Fluoxetin beschränkt. Erneut wurden E. coli-Bakterien in der Petrischale verschiedenen Antidepressiva (Agomelatin, Bupropion, Duloxetin, Escitalopram und Sertralin) in Konzentrationen von 0–100 mg/L ausgesetzt, dieses Mal über einen längeren Zeitraum von 60 Tagen. In regelmäßigen Abständen wurden die Bakterien auf ihre Empfindlichkeit gegenüber verschiedenen Antibiotikaklassen (u. a. Aminoglykoside, Beta-Laktame, Fluorchinolone, Makrolide, Tetracycline) überprüft.
Das beunruhigende Ergebnis: Alle 5 der getesteten Antidepressiva induzierten in den Bakterienkulturen Resistenzen gegen die Antibiotika. Am schnellsten und ausgeprägtesten waren die Effekte bei Sertralin – wie schon Fluoxetin ein selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) – und Duloxetin. Dabei handelt es sich um einen Vertreter der selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI).
Durch phäno- und genotypische Analysen konnten die Forscher bestätigen, dass auch hier die verstärkte Expression von Effluxpumpen aufgrund von ROS-Freisetzung am Werk war. Weiterhin befeuerte die Anwesenheit der Medikamente die Entwicklung von Persistern. Diese „schlafenden“ Bakterien mit einem reduzierten Stoffwechsel sind deutlich unempfindlicher gegenüber Antibiotika. Bei Sertralin ließ sich beobachten, dass der Gentransfer zwischen den E. Coli-Bakterien – und damit die Weitergabe von Resistenzgenen – ebenfalls verstärkt auftrat.
Allein auf Basis dieser in-vitro Experimente lässt sich noch nicht absehen, wie groß die Auswirkungen in der klinischen Praxis tatsächlich sind. Die Autoren weisen auch darauf hin, dass anaerobe Bedingungen wie im Darm die Bildung von ROS einschränken. Daher ist die Bildung von Resistenzen auch deutlich langsamer. Dennoch gibt die Studie zu denken, insbesondere vor dem Hintergrund, wie weit verbreitet die Gabe von Antidepressiva ist. Allein 2019 wurden in Deutschland 1,609 Milliarden Tagesdosen Antidepressiva verordnet – ein Anstieg um 37 % im Vergleich zu 2010. Und ein Abbruch des Trends ist bislang nicht abzusehen.
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