Bei der Behandlung von Depression sind Serotonin-Wiederaufnahmehemmer oft die erste Wahl. Unter langfristiger Einnahme leidet aber häufig die Gefühlswelt der Patienten. Geht das nicht besser?
So hilfreich Antidepressiva für viele Menschen mit Depression sind – ihre Wirkungsweise ist noch immer nicht vollständig geklärt. Das gilt auch für selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs), die neben der Psychotherapie als Erstbehandlung bei Depression empfohlen werden.
Die Theorie: SSRIs blockieren die Wiederaufnahme von Serotonin aus dem synaptischen Spalt in die Nervenzelle. So steigt die Konzentration von Serotonin zwischen den Zellen, was wiederum die Signalübertragung verbessert. Das könnte die Linderung der Symptome erklären, wenn diese durch einen Serotoninmangel hervorgerufen wurden. Allerdings ist mittlerweile klar, dass komplexe Erkrankungen wie Depression nicht so einfach erklärt werden können. Vielmehr hängen sie von einem Zusammenspiel vieler Faktoren ab. (DocCheck berichtete).
Zudem gibt es auch eine lange Liste von häufigen Nebenwirkungen, wie etwa Kopfschmerzen, Übelkeit und veränderter Appetit. Sehr belastend kann eine weitere Eigenschaft der SSRIs sein: Viele Betroffene berichten von einer emotionalen Abstumpfung. Sowohl für negative als auch für positive Dinge empfinden sie weniger als vor Beginn der SSRI-Therapie.
Forscher aus Großbritannien und Dänemark schlagen nun einen kognitiven Mechanismus vor, der diese emotionale Abstumpfung vermitteln könnte: durch Belohnungen oder Bestrafungen verstärktes Lernen. Sie untersuchten 66 gesunde Freiwillige, die 21 Tage lang entweder Escitalopram oder ein Placebo einnahmen und dann verschiedene Fragebögen beantworteten und neuropsychologische Tests durchliefen. Dabei stellten die Forscher fest: Teilnehmer, die Escitalopram bekommen hatten, passten ihr Verhalten schlechter auf positive oder negative Reize an – lernten also weniger aus ihrer Umgebung. Daraus leiten die Forscher zwei Schlussfolgerungen ab: Möglicherweise beruht die Wirksamkeit von SSRIs darauf, dass depressive Menschen weniger auf negative Eindrücke reagieren. Und: Eine Dämpfung der positiven Eindrücke würde die allgemeine Abstumpfung bei chronischer Einnahme erklären.
Prof. Gerhard Gründer, Leiter der Abteilung Molekulares Neuroimaging am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, ist von den Studienergebnissen nicht überrascht. „Dass SSRIs die Gefühle dämpfen, weiß man schon lange – das wird bei Gesprächen über unerwünschte Nebenwirkungen gerne vergessen. Eine neurobiologische Fundierung konnte man aufgrund früherer Studien bereits vermuten.“
So verglich etwa ein Forschungsteam aus Wien und München 29 Menschen mit Depression im funktionellen Magnetresonanztomographen (fMRT) mit 35 gesunden Kontrollpersonen, einmal zum Studienbeginn und ein zweites Mal, nachdem die Patienten drei Monate lang Antidepressiva eingenommen hatten. Es zeigte sich, dass die chronische Behandlung offenbar die Empathie für das Leiden anderer Menschen verringerte. Studien, die sogar positive Wirkungen von SSRIs auf manche kognitiven Fähigkeiten wie das Gedächtnis nahelegen, sieht Gründer kritisch: „Da hat man versucht, eine Sonderstellung für bestimmte Substanzen zu konstruieren. Die Hinweise auf positive Effekte finde ich bisher aber nicht überzeugend.“
Eine Auswirkung der Escitalopram-Therapie auf die sogenannte kalte Kognition von Flexibilität und Gedächtnis (im Gegensatz zur warmen Kognition, bei der es um Emotionen und Motivation geht) fand auch das britisch-dänische Team nicht, ebenso wenig wie Forscher aus Göttingen, die sich die Wirkung einer SSRI-Behandlung bei Menschen mit und ohne kognitiven Einschränkungen ansahen.
Auch wenn noch immer nicht vollständig geklärt ist, wie die emotionale Abstumpfung entsteht, ist sie doch ein wichtiger Faktor in der Therapie. „Kurzfristig können SSRIs für die Patienten sehr hilfreich sein“, sagt Gründer. „Aber man braucht im Alltag sowohl positive als auch negative Emotionen, das gehört zum Menschsein dazu. Das ist das Problem bei einer Dauertherapie mit Antidepressiva.“
Letztendlich kommt es wie bei vielen anderen Medikamenten darauf an, wie die Einzelperson darauf reagiert. Oft ist es eine Abwägungssache, erklärt Gründer. „Wer gut auf einen SSRI anspricht, sich aber nach mehreren Monaten emotional taub fühlt, kann auf ein anderes Medikament umsteigen – das aber möglicherweise weniger gut oder gar nicht wirkt.“ Es sei immer eine Frage der Lebensqualität, welche Therapie für die einzelnen Betroffenen die sinnvollste ist.
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