Wenn bestimmte Prozesse in Körper am falschen Ort und zum falschen Zeitpunkt ablaufen, können harmlose Körperzellen umprogrammiert werden, sich teilen oder neue Funktionen ausüben und die Gesundheit gefährden. Ein solcher Prozess ist die epithelial-mesenchymale Transition (EMT), in deren Verlauf Epithelzellen zu mesenchymalen Zellen werden – mit völlig anderen Eigenschaften als die Vorgängerzellen.1
EMT ist ein Vorgang, der normalerweise bei der Embryogenese, der Organentwicklung oder der Wundheilung eine zentrale Rolle und sich positiv auf Wachstum und Entwicklung des Körpers auswirkt.2 Doch auch bei pathologischen Vorgängen wie Krebsentstehung, Metastasierung oder Bildung von Fibrosen kann EMT beteiligt sein.2 Insgesamt werden drei verschiedene EMT-Typen unterschieden, alle haben jedoch eines gemeinsam: Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ausdifferenzierte Epithelzellen regelrecht ihre Identität verlieren und sich zu mesenchymalen Zellen umwandeln.1
Ein Kennzeichen von mesenchymalen Zellen ist, dass sie nicht an Ort und Stelle festsitzen wie Epithelzellen, sondern dass sie beweglich sind und z. B. in umliegendes Gewebe einwandern können und zahlreiche Botenstoffe an ihr Umfeld abgeben.1 Auch bei perianalen Fisteln bei Morbus Crohn scheint EMT der Prozess zu sein, der die Entstehung der Krankheit entscheidend vorantreibt.2,3
Perianale Fisteln sind röhrenförmige Verbindungen zwischen dem Darm und der perianalen Haut. Sie gehören zu den häufigsten Komplikationen, die im Laufe eines Morbus Crohn auftreten können und kommen auch bei anderen Erkrankungen wie bestimmten Infektionen, der Hauterkrankung Hidradenitis suppurativa oder Krebserkrankungen vor.2
Ihre Pathogenese ist komplex und nicht vollständig verstanden. Histologische Befunde weisen jedoch darauf hin, dass perianalen Fisteln bei Morbus Crohn ein ganz eigener Entstehungsprozess zugrunde liegt.2 Dabei scheint eine fehlgeleitete EMT eine der Hauptrollen zu spielen. Die chronische Entzündung während eines Morbus Crohn und die damit verbundene Schwäche der Darmbarriere ist vermutlich das auslösende Moment für die Umwandlung von Darmzellen.2
In einem aktuellen Modell wird die Fistelentstehung durch Defekte in der Darmbarriere und Bakterien ausgelöst, die in die geschädigte Darmmukosa gelangen und dort Entzündungen und Wundheilungsprozesse verursachen.2 Diese begünstigen die EMT und damit die Umwandlung von Darmepithelzellen zu mesenchymalen Übergangszellen (Transition Cells). Der Körper reagiert initial auf bestimmte bakterielle Strukturen (Pathogenassociated molecular patterns, PAMPs), wie etwa das Muramyl-Dipeptid (MDP).2 Auf ein entzündliches Geschehen weisen z. B. bestimmte Subtypen von T-Zellen und Entzündungsbotenstoffe hin, die in Fistelgewebe von MC-Patient*innen gefunden werden können.3
Wird die EMT im Darm ausgelöst, gehen die ausdifferenzierten Epithelzellen der Darmschleimhaut in sich schnell teilende Übergangszellen oder Myofibroblasten über. Diese können in tiefer liegende Gewebeschichten einwandern. T-Helferzellen, Makrophagen sowie Neutrophile lösen über verschiedene Zytokine eine Entzündungskaskade aus: Der Tumornekrosefaktor TNF-α, der Transforming Growth Faktor TGF-β sowie Interleukin IL-13 und β6-Integrin werden vermehrt ausgeschüttet und fördern den Prozess der EMT.2
Die Zellen verlieren ihre Polarität und zeigen zunehmend die mesenchymalen Eigenschaften der invasiven Übergangszellen. Die verstärkte Bildung bestimmter Matrix-Metalloproteinasen (MMP) im entzündeten Gewebe begünstigt einen Abbau von extrazellulärem Material und die weitere Umwandlung der Zellen. Am Ende dieses Prozesses steht die Bildung von Fistelgängen. Histologische Befunde zeigen, dass diese mit Übergangszellen und verbliebenen Epithelzellen ausgekleidet sind.2
Abb. 1: Entstehung von perianalen Fisteln bei Morbus Crohn. EMT, epithelial-mesenchymale Transition; MDP, Muramyl-Dipeptid; MMPs, Matrix-Metalloproteinasen; PAMPs, Pathogen-associated molecular patterns. Modifiziert nach 2.
Auf diese Weise wächst die Fistel weiter durch das den Darm umgebende Gewebe, bis sie die Haut im perianalen Bereich durchbricht. Doch Fistel ist nicht gleich Fistel: Je nach Entstehungsort im Darm und Verlauf des Wachstums können Fisteln verschiedene anatomische Strukturen durchdringen oder sich verzweigen und z. B. mehrere externe Öffnungen aufweisen.4,5
Es sind einige Genvarianten bekannt, deren Träger ein erhöhtes Risiko zu haben scheinen, einen fistulierenden Morbus Crohn zu entwickeln. Dazu gehören bestimmte Veränderungen des NOD2-Gens, das einen Rezeptor für mikrobielle molekulare Muster (PAMPs) kodiert.2 Weitere Risikogene sind z. B. IL-23R, LOC441108 und PRDM1.2 Die Mehrheit der mit Crohn-Fisteln in Verbindung gebrachten Gene sind an der Interaktion von Immunsystem und Mikroorganismen oder der Aufrechterhaltung der Darmbarriere beteiligt.2 Auch epigenetische Veränderungen könnten relevant sein.3
Die Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm könnte ein zusätzlicher treibender Faktor bei Crohn-Fisteln sein und möglicherweise Einfluss auf die EMT haben.3 Aufgabe zukünftiger Forschung über die Fistel-Pathogenese sollte das Zusammenspiel der beteiligten Faktoren näher beleuchten.3
Aufgrund des wahrscheinlich treibenden Pathomechanismus der EMT kann neben einer antibiotischen und chirurgischen Versorgung eine gezielte antiinflammatorische und immunmodulatorische Therapie eine geeignete Option sein. Doch nicht jede Fistel wird auf die gleiche Weise behandelt.
Dokumentieren Sie daher die Art der Fistel möglichst genau, damit eine passende Therapie begonnen werden kann! Hilfreich sind dazu die Klassifikationen nach Parks4 und nach der American Gastroenterological Association (AGA)5.
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