Die Situation um die aviäre Influenza spitzt sich immer weiter zu: So viele infizierte Vögel gab es noch nie. Immer wieder kommt es zum Spillover. Wird die Vogelgrippe die nächste Pandemie?
Der verheerendste Ausbruch bisher – so bezeichneten europäische Behörden die Situation um die hochpathogene aviäre Influenza (HPAI) Ende 2022 (DocCheck berichtete). Kam es in Mitteleuropa sonst nur im Winter zu Nachweisen von HPAI, bemerkten Forscher letztes Jahr erstmalig eine fehlende Saisonalität. Tausende Zucht- und Wildvögel infizierten sich, in Geflügeleinrichtungen starben 50 Millionen Vögel – oder mussten gekeult werden. Nach einem Ausbruch des Virus in einer spanischen Nerzfarm Ende Januar wurden nun letzte Woche in Peru hunderte tote Seelöwen aufgefunden, bei denen das Virus festgestellt wurde.
Wie schätzen Wissenschaftler die aktuelle Situation ein? Wird die aviäre Influenza langsam auch für Säugetiere zur Gefahr? In einer Pressekonferenz des science media center (SMC) klärten am Freitag drei europäische Fachleute über die aktuelle Situation um das Virus auf.
Im Jahr 2020 entwickelten sich HPAI-Viren des Typs A(H5N1) aus zuvor zirkulierenden A(H5Nx)-Viren und breiteten sich vor allem über Zugvögel aus. „Die meisten der seit 2020 genetisch charakterisierten Influenza-A(H5N1)-HPAI, die mit Ausbrüchen in Zusammenhang stehen, gehören zur 2.3.4.4b-Klade, genau wie H5N8“, berichtet Prof. Martin Beer, Veterinär und Leiter des Instituts für Virusdiagnostik (IVD) am Friedrich-Loeffler-Institut (FLI). „H5N1 scheint sich in den letzten Jahren besser an Infektionen von Wildvögeln und an das sommerliche europäische Klima adaptiert zu haben.“
Die Epizootie führte zu einer noch nie dagewesenen Zahl von Todesfällen bei Wildvögeln in Europa und verursachte große Ausbrüche bei Hausgeflügel. Ende 2021 gelangten die Viren nach Nordamerika und im Herbst 2022 auch nach Südamerika. Darüber hinaus kam es zu einem verstärkten Übergreifen auf andere Arten, darunter wild lebende Land- und Meeressäugetiere. Ende letzten Jahres kam es zu einem Ausbruch in einer Nerzfarm in Spanien. HPAI ist eigentlich spezifisch für Vögel und doch kam es zu Spillover-Events bei Säugetieren. Auch eine Übertragung auf den Menschen ist möglich – von 2020 bis heute wurden sechs menschliche Fälle von Influenza A (H5N1), die zum 2.3.4.4b-Klon gehören, an die WHO gemeldet. Das zoonotische Potential des Virus ist nicht von der Hand zu weisen und lässt Fachleute seine Verbreitung und Entwicklung sorgfältig beobachten.
Prof. Ian Brown, Leiter der virologischen Abteilung der britischen Tiergesundheitsbehörde Animal and Plant Health Agency (APHA), erklärt, welche Maßnahmen momentan zur Eindämmung des Virus zur Verfügung stehen. Die aktive Überwachung und das Monitoring, vor allem der Schnittstelle zwischen Haus- und Wildvögeln, sei essenziell. „Ausbrüche müssen schnell gefunden und eingedämmt werden. Umso besser wir die Ausbrüche beim Hausgeflügel kontrollieren, desto weniger kommt es zum Austausch von Viren mit Wildvögeln. Irgendwann werden sich die Wildvogelpopulationen an das Virus gewöhnt haben“. Auch die Impfung von Geflügel sei ein Werkzeug, um die anderen Maßnahmen zu ergänzen. In Europa denke man momentan über diese Möglichkeit nach (DocCheck berichtete).
„Es handelt sich aber hier nicht um ein einzelnes Virus – wir haben momentan mehr als 30 Genotypen weltweit in Umlauf“, so Beer. Deshalb könne man die einzelnen Ausbrüche nicht unbedingt miteinander vergleichen. „Die verschiedenen Viren verändern sich derzeit schneller, als dass wir da mit unseren Analysen hinterherkommen würden.“ Es sei aber wichtig, alle Viren von auffälligen Ausbrüchen, wie der auf der Nerz-Farm oder auch der unter den Seelöwen in Peru, zu analysieren und auf Auffällige Mutationen hin zu untersuchen.
Zu dem Ausbruch in einer spanischen Nerz-Farm gebe es nach wie vor keine weiteren Details, erklärt Dr. Ursula Höfle vom National Game and Wildlife Research Institute (CSIC-UCLM-JCCM) in Castilla-La Mancha, Spanien. Zu einer Übertragung auf die Nerze sei es wahrscheinlich durch Möwen gekommen. Bei den Farmen handle es sich um offen zugängliche Gebäude, in denen das Futter der Nerze auf ihren Käfigen lagere und auch Wildvögel, und besonders Möwen, anlocke. Ob es aber auch zur Übertragung von Nerz zu Nerz kam, wisse man noch nicht genau. „Es werden weiter Daten gesammelt. Noch haben wir hier leider nicht genügend Sequenzierungsdaten.“
Erste Genomische Daten hätten aber auch schon Hinweise hierzu ergeben. Die Forscher fanden eine Mutation des PB2 Proteins, ein Teil der viralen Polymerase, eine Veränderung von Threonin zu Alanin. Hierdurch erhöht sich die Proteaseaktivität der Viren in Säugetierzellen – das erleichtert die Übertragung. Marder (mustelidae), zu denen Nerze gehören, seien besonders anfällig für sowohl humane als auch aviäre Influenzaviren; nicht umsonst sei das Frettchen ein vielverwendeter Modellorganismus für diese Viren im Labor. Bei dem Ausbruch handle es sich aber um eine isoliertes Event. Die Fähigkeit des Virus zu einer Übertragung zwischen Säugetieren habe sich höchstwahrscheinlich erst auf der Nerzfarm selbst entwickelt, mutmaßt Höfle.
„Die Nerze haben eine Besonderheit, die es dem Virus leichter macht“, erklärt auch Beer. „Dasselbe gilt auch für die in Gruppen lebenden Meeressäuger. Wir müssen also vorsichtig sein, nicht zu viele Schlüsse zu ziehen und die Daten abwarten.“ Man müsste das Virus weiterhin aufmerksam überwachen, erklärt er. „Es ist wichtig, dass all diese toten Säugetiere, vor allem Fleischfresser, eingesammelt und getestet und die Viren anschließend sequenziert werden. Und dann muss man sehen: Gibt es unter den vielen Genotypen, die wir haben, einen, der leichter übertragen werden kann? Das ist eines der Probleme, die wir sehen.“
Durch die Corona-Pandemie schauen jetzt natürlich viele auf die aviäre Influenza im Hinblick auf ihr zoonotisches Pandemie-Potential. Momentan leiden aber vor allem Vögel unter der massiven Ausbreitung dieses Virus. „Wir erwarten massive Auswirkungen auf die Biodiversität bei Vögeln durch dieses Virus“, sagt Höfle. Experten hätten in den letzten Jahren viele Überraschungen mit HPAI-Viren erlebt, im schlechtesten Sinne. Spezies, die vorher nie infiziert gewesen sein, hätte es nun getroffen; ganze Kolonien seien ausgelöscht worden. Neben dem Risiko, dass sich durch vereinzelte Übertragungen zwischen Säugetieren ergebe, seien die Auswirkungen auf die Vogelwelt das aktuell schlimmste Problem. Auch seien die Vogelarten, die in Australien oder der Antarktis vorkämen, bisher nicht infiziert worden. Dass das HPAI-Viren in den letzten Jahren aber auch Vogelarten infiziert habe, die vorher nie betroffen waren, stelle für diese Regionen nun ein großes Risiko dar, erklärt Brown.
„Eine Frage, die uns in der Zukunft beschäftigen wird, ist: Was passiert, wenn die ersten Vögel Immunität gegen die Viren entwickeln. Entwickeln die Viren sich so weiter, dass die dieser Immunität entkommen können, oder werden wir einen Abfall der Infektionszahlen sehen?“ sagt Beer.
Eine gegenwärtige Gefahr, dass HPAI zur zoonotischen Pandemie werden könnte, sehen die Fachleute nicht. „Ich möchte wirklich unterstreichen, dass wir hauptsächlich über eine Panzootie bei Vögeln sprechen“, erklärt Beer. „Das Virus breitet sich bei Vögeln aus, vereinzelt haben wir einen Spillover.“ Wenn man sich die Zahl der infizierten Vögel anschaue, seien diese Vorfälle immer noch wenige. Eins sei aber klar: mehr Vögel bedeute mehr Spillover und mehr Vermischung. „Dessen müssen wir uns bewusst sein, aber es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um zu sagen, dass wir kurz vor einer H5-Pandemie stehen.“ Man müsse sich zwar damit befassen, aber noch scheint der Experte bei diesem Thema ruhig. Man habe gesehen: „Ein Virus, das weniger zoonotisch war, konnte sich besser in Vögeln ausbreiten und die Zahl der Fälle ging dann zurück. Aber wir müssen die Situation beobachten, und es ist wirklich schwierig vorherzusagen, wozu das Virus in der Lage ist.“
Sind wir darauf vorbereitet, sollte sich die Lage verschärfen? So gut es momentan geht, erklärt Brown: „Jedes Spillover-Ereignis in der Größenordnung, die wir erleben, ist ein Zahlenspiel und erhöht das Risiko.“ Man wisse aber von COVID-19, dass die Vorbereitung auf eine Pandemie Zeit brauche – für die Entwicklung von Impfstoffen, Virostatika und Therapeutika. „Wir haben auch einiges in den Regalen – zwar noch keine H5-Impfstoffe, um Menschen zu impfen – aber wir haben, wie die WHO es nennt, Impfstoffkandidatenviren. Wir untersuchen also all diese Veränderungen in den H5 Viren und legen einen so genannten Saatvirusstamm fest. Mit diesen Stämmen kann man dann Prozesse anstoßen.“ Bisher könne man aber nichts weiter tun, als diese vorbereitenden Schritte einzuleiten. „Es wäre leichtsinnig, jetzt schon einen Impfstoff gegen H5 herzustellen – denn wir wissen nicht: Welcher H5-Stamm bringt die beste Immunität beim Menschen? Welcher ist derjenige, der eventuell den Sprung zum Menschen schafft? Wir wissen ja noch nicht mal, ob einer von ihnen überspringt. Im Moment ist einfach wichtig, dass die Informationen schnell gesammelt werden und die Daten mit der internationalen Gemeinschaft geteilt werden, um sich vorzubereiten.“
Hier kommt ihr zur kompletten aufgezeichneten Pressekonferenz.
Bildquelle: Matt Bango, unsplash