Eine Leitlinie zum Thema Schwangerschaftsabbruch war längst überfällig. Welche Methode ist das Mittel der Wahl und was gibt es bei der Vor- und Nachsorge zu beachten? Lest hier die Zusammenfassung.
Bis Ende Januar gab es in Deutschland keine offiziellen Empfehlungen, nun ist endlich eine S2k-Leitlinie zum Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimenon erschienen. Mitgewirkt haben u. a. die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und der Berufsverband der Frauenärzte (BVF), aber auch die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und die Akademie Ethik in der Medizin (AEM). In der Leitliniengruppe befinden sich auch die Bundesverbände Donum Vitae und Pro Familia, – beides anerkannte Beratungsstellen.
Die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland beläuft sich seit 2013 nahezu konstant auf knapp 100.000 pro Jahr. Etwa 69 % der Frauen, die sich im 2. Quartal 2021 für einen Abbruch entschieden, waren zwischen 18 und 34 Jahre alt. 20 % der Frauen waren in der Altersspanne von 35 bis 39 Jahren. Eine kleine Gruppe von 8 % hatte das 40. Lebensjahr erreicht, jünger als 18 Jahre waren 3 %.
In etwas mehr als der Hälfte der Fälle wird der Eingriff operativ durch Vakuumaspiration durchgeführt. In einem Drittel erfolgt der Abbruch medikamentös. In 11 % der Fälle kommt eine Operation mittels Curettage zum Einsatz. Operative Abbrüche finden überwiegend ambulant in Arztpraxen oder OP-Zentren statt, selten in Krankenhäusern.
Im internationalen Vergleich zeigt sich in Deutschland eine relativ hohe Rate an Curettagen und eine niedrige Rate an medikamentösen Schwangerschaftsabbrüchen. Im Jahr 2020 verzeichnete Schweden im Vergleich dazu 96 % medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche, England und Wales 85 %.
Die mit Abstand größte Anzahl aller gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche erfolgt mit 96 % nach der Beratungsregel. Die übrigen 4 % der Fälle werden aus medizinischer oder kriminologischer Indikation durchgeführt, wobei letztere deutlich unter 1 % liegt.
Die rechtlichen Voraussetzungen für einen Schwangerschaftsabbruch sind im Strafgesetzbuch (StGB) in § 218 und 219 geregelt. Ein Abbruch ist nach der Beratungsregel zwar rechtswidrig, bleibt aber unter bestimmten Voraussetzungen straflos. Hierfür darf das Schwangerschaftsalter nicht älter als 12 Wochen nach der Konzeption (p. c.) bzw. 14 Wochen nach der letzten Menstruation (p. m.) sein. Zudem ist eine Beratung in einer anerkannten Einrichtung mindestens drei Tage vor dem geplanten Eingriff nötig.
Im Falle einer medizinischen Indikation – also wenn die körperliche oder mentale Gesundheit der Schwangeren in Gefahr ist und dies nicht auf eine andere zumutbare Art abgewendet werden kann – besteht weder Rechtswidrigkeit, noch eine Fristenvorgabe. Ebenfalls nicht rechtswidrig ist ein Abbruch nach kriminologischer Indikation, wobei hierbei die Frist für das Schwangerschaftsalter wie bei der Beratungsregel vorgegeben ist. Unter 14 Jahren besteht immer eine kriminologische Indikation für den Schwangerschaftsabbruch (§ 176 StGB).
Niemand ist verpflichtet, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken, außer die ärztliche Mitwirkung ist notwendig, um von der Patientin eine anders nicht abwendbare Gefahr für ihr Leben oder eine schwere Gesundheitsschädigung abzuwenden. Auch zur Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der ärztlichen Weiterbildung kann ein Arzt nicht verpflichtet werden.
In modernen Gesellschaften ist aufgrund der Pluralität unterschiedlicher Positionen keine Einigkeit bei der ethischen Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs zu erwarten. Der moralische Status des Ungeborenen liegt im Auge des Betrachters. Die Erkenntnis, ab wann menschliches Leben beginnt und als schützenswert gilt, wird unterschiedlich beurteilt. Deshalb sehen die Autoren der Leitlinie in der derzeit geltenden rechtlichen Regelung einen politischen Kompromiss und keine in der Gesellschaft allseits geteilte ethische Bewertung.
Der Bundesverband Donum Vitae gibt hierzu in der Leitlinie ein Sondervotum ab: Der politische Kompromiss beruhe auf der bereits im Grundgesetz verankerten Grundlage, nach der menschliches Leben von Beginn an schützenswert ist.
„In der Frage, ob dem ungeborenen menschlichen Leben bereits Würdeschutz zukommt, ist zudem die Einordnung des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich, die besagt: „Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu, nicht erst dem menschlichen Leben nach der Geburt oder bei ausgebildeter Personalität […]. Jedenfalls in der so bestimmten Zeit der Schwangerschaft handelt es sich bei dem Ungeborenen um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben, das im Prozess des Wachsens und Sich-Entfaltens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt.“ (BVerfGE 88, 203)
Die Autoren der Leitlinie betonen, dass es vor allem um die sichere Durchführung eines Abbruchs innerhalb des vorgegebenen rechtlichen Rahmens gehe, nicht um eine ethische Bewertung im Einzelfall. Hervorgehoben wird die ethische Verpflichtung des Gesundheitspersonals, eine angemessene Beratung und Unterstützung der Betroffenen zu gewährleisten. Aus Respekt vor unterschiedlichen Positionen ist eine zwingende Mitwirkung bei Schwangerschaftsabbrüchen nicht gegeben.
„Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägen, sollen frühzeitig evidenzbasierte Informationen und Unterstützung angeboten bekommen, die sie befähigen, eine informierte, selbstbestimmte Entscheidung zu treffen“, so die Leitlinie. Hierfür sind Informationen über den zeitlichen Ablauf, die beteiligten Stellen und den rechtlichen Rahmen baldmöglichst zu vermitteln.
Die autonome Entscheidung der Frau und ihre Würde gilt es zu respektieren, die Privatsphäre zu wahren, Vertraulichkeit zu sichern und Stigmata zu vermeiden. Dazu benötigt es ausreichend Zeit und eine nicht wertende Haltung gegenüber der Entscheidung.
Ärzte, wie auch die Mitarbeiter in Beratungsstellen, sollten alle Methoden und Verfahren kennen, um die schwangere Frau umfassend informieren zu können. Informationen über mögliche Komplikationen des Eingriffs, wie Infektionen, Blutungen, inkompletter Abbruch oder Narkosezwischenfälle, sind zu erläutern wie bei allen anderen ärztlichen Therapien auch. Nötige Nachsorgetermine und sichere Methoden der Antikonzeption sollten besprochen werden.
Die umfassende Vermittlung von adäquatem Handeln bei Schwangerschaftskonflikten (medizinisch, ethisch, juristisch, kommunikativ) sollte bereits in der ärztlichen Ausbildung verankert und umgesetzt werden.
Bevor ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt wird, soll die Schwangerschaft ärztlich festgestellt und das Schwangerschaftsalter bestimmt werden. Pathologien wie eine extrauterine oder anders gestörte Frühgravidität sind auszuschließen. Es empfiehlt sich, das Screening auf eine Infektion mit Chlamydien vor dem Eingriff durchzuführen.
Auffälligkeiten bei pränatalen Untersuchungen sollen aufgrund der Möglichkeit falsch-positiver Ergebnisse zunächst weiter abgeklärt werden. Besonders der Trisomietest ruft bei jüngeren Frauen eine hohe falsch-positive Rate hervor, was ohne Bestätigung durch Amniozentese zum Abbruch bei gesunden Kindern führt.
Für einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch sollte die Kombination aus 200 mg Mifepriston (Mifegyne®) und 24 bis 48 Stunden später 800 µg Misoprostol (Cytotec®) bis zur 9+0 SSW verabreicht werden. Frauen sollen vor einem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch darüber aufgeklärt werden, dass ab 7+1 SSW die Anwendung von Misoprostol in Kombination mit Mifepriston ein Off-Label-Use ist.
Ein adäquates Schmerzmanagement mit nicht-steroidalen Antiphlogistika sollte erfolgen. Treten im Verlauf eines medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs starke Blutungen auf, soll umgehend eine Vakuumaspiration durchgeführt werden. Bei Anzeichen einer Infektion ist unmittelbar mit einer Antibiotikatherapie zu beginnen.
Gynäkologische Kontrolluntersuchungen sind etwa 2 Wochen nach der Blutungsinduktion sinnvoll. Hierbei sollte die Dicke des Endometriums bei fehlender Klinik allein kein Kriterium für die Notwendigkeit einer weiteren Intervention sein. Aufschlussreich ist das adäquate Absinken des ß-HCG-Wertes.
Frauen, die sich für einen operativen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, kann eine perioperative Antibiotikaprophylaxe als Einmaldosis verabreicht werden. Doxycyclin, Metronidazol und Cephalosporine sind geeignet, das Infektionsrisiko nach einem Schwangerschaftsabbruch zu verringern. Vor dem Eingriff sollte ein Zervixpriming mit 400 µg Misoprostol (Cytotec®) durchgeführt werden.
Im ersten Trimenon sollte die Vakuumaspiration die Methode der Wahl sein. Ein Abbruch sollte nicht mit einer Metallkürette erfolgen. Auch hier empfiehlt sich eine gynäkologische Kontrolluntersuchung etwa zwei Wochen postoperativ.
Rhesus-negative Frauen erhalten eine Anti-D-Prophylaxe. Bei einem Schwangerschaftsabbruch aufgrund von Auffälligkeiten in der Pränataldiagnostik soll die Indikation für weiterführende genetische Untersuchungen mit der Patientin besprochen werden.
Bereits wenige Tage nach dem Eingriff ist eine erneute Schwangerschaft möglich. Deshalb ist auch eine rechtzeitige Antikonzeptionsberatung wichtig. Hormonelle Kontrazeptiva können dabei zeitgleich mit einem Schwangerschaftsabbruch begonnen werden (am OP-Tag oder am Tag der Mifepriston-Einnahme), unabhängig von der verwendeten Methode des Abbruchs und ohne das Risikoprofil oder den Erfolg des Abbruchs zu beeinflussen. Bei Frauen, die ein IUP wählen, sollte die Einlage entweder direkt nach einem operativen Schwangerschaftsabbruch erfolgen bzw. im Falle eines medikamentösen Vorgehens nach Feststellung des vollständigen Schwangerschaftsabbruchs. Eine Tubensterilisation unmittelbar nach einem Schwangerschaftsabbruch beurteilt die Leitlinie als nicht sinnvoll.
Frauen mit entsprechenden Risikofaktoren bzw. erkennbaren psychischen Belastungen sollen über Angebote zur Nachbetreuung und psychologischen Beratung informiert werden.
Das richtige Vorgehen im Falle eines Schwangerschaftskonfliktes benötigt Empathie und Offenheit, aber auch klare medizinische Anweisungen. Dahingehend war eine offizielle Leitlinie längst überfällig. Eine Überarbeitung zu einer S3-Leitlinie ist bereits in Planung, was die Komplexität des Themas widerspiegelt.
Nachdenklich stimmt die Tatsache, dass 96 % der Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsindikation vorgenommen werden. Die Palette an wirkungsvollen Verhütungsmitteln ist mittlerweile vielfältig, eine Kostenübernahme wird bis zum vollendeten 22. Lebensjahr gewährt. Für Frauen in finanziellen Notlagen greifen öffentliche und karitative Fonds, die die Kosten der Antikonzeption übernehmen. Mehr Informationskampagnen in Schulen und Medien scheinen nötig. Ärztlicherseits sollte keine Frau zwischen Menarche und Menopause ohne Antikonzeptionsberatung die Praxis verlassen. Die Bereitstellung kostenfreier Verhütungsmittel sollte ausgeweitet werden.
Schließlich bleibt noch, an ein verantwortliches Handeln jedes Einzelnen in Sachen konsequenter Antikonzeption zu appellieren. Denn das Leid im Konfliktfall wiegt schwer – für alle Beteiligten.
Bildquelle: Tom Hermans, Unsplash