Wer nutzt eigentlich die elektronische Patientenakte? In Deutschland so gut wie niemand. Woran es scheitert und was unsere Nachbarn besser machen, lest ihr hier.
Laborwerte, Medikamentenpläne, bisherige Untersuchungen: Diese wichtigen Patientendaten sind oft auf mehrere Praxen und Kliniken verteilt. Die elektronische Patientenakte (ePa) soll all das digital zusammenführen, es gebündelt, schneller und leichter zugänglich machen – für Patienten selbst und, mit Freigabe, auch für Ärzte, Therapeuten, Apotheker und weitere Behandler. So zumindest die Idealvorstellung, angestoßen von Jens Spahn im Terminservice- und Versorgungsgesetz. Seit Januar 2021 kann jeder gesetzlich Versicherte eine solche ePa erhalten.
Doch die Nutzerzahlen sind bisher sehr überschaubar. Nicht einmal ein Prozent der Patienten in Deutschland nutzen die ePa, während es Österreich bereits 97 Prozent sind, berichtet die Bertelsmann Stiftung. Ein Grund dafür könnte das Zustimmungsmodell sein, denn im Nachbarland gilt seit Jahren eine Opt-out-Lösung. Das bedeutet: Wer keine ePa nutzen möchte, muss aktiv Widerspruch einlegen. Ähnliches wird in Deutschland beispielsweise auch bei der Organspende diskutiert.
Aktuell gilt für die deutsche ePa das Opt-in-Verfahren, ein Versicherter muss die digitale Akte also aktiv freischalten. In einem nächsten Schritt muss auch Praxen und Krankenhäusern eine individuelle Zustimmung zum Befüllen der ePa erteilt werden – ein nicht unerheblicher Aufwand für Patienten und Behandler.
Opt-out könnte der ePa also den Anschub geben, den sie braucht, um in breiter Masse genutzt zu werden und damit überhaupt sinnvoll zu sein. Und dieser Ansatz trifft auf Zustimmung: Laut einer aktuellen, repräsentativen Umfrage der Bertelsmann Stiftung sind zwei Drittel der 1.871 Befragten für eine Widerspruchslösung.
Selbst unter denen, die die ePa nicht nutzen wollen, sind 42 % dafür. Insgesamt kommt die ePa durchaus positiv weg: Drei Viertel aller Befragungsteilnehmer planen, sie zu nutzen. Die meisten erhoffen sich einen schnelleren und übersichtlicheren Zugang zu ihrer medizinischen Historie.
Einige rechnen mit einem verbesserten Arzt-Patienten-Verhältnis: 37 % glauben, durch die ePa informierter zu sein und sich so besser mit dem Arzt austauschen zu können. Die Mehrheit geht allerdings davon aus, dass sich die Beziehung zum Behandler nicht verändern wird.
Bei allen Ergebnissen zeigt sich, dass die ePA im Osten Deutschlands eher auf Ablehnung stößt. Hier herrscht auch das meiste Misstrauen, wenn es um die Betreuung und Befüllung geht. Der Angst vor Datenmissbrauch ist dort ausgeprägter als in westlichen Bundesländern: Insgesamt 63 % der Befragten stimmten der Aussage zu, Missbrauch, Manipulation oder Hacks ihrer Daten zu befürchten; im Westen sind es 44 %. Gleiches zeigt sich beim Blick auf die jeweiligen Akteure. Ärzte und Krankenkassen genießen im Westen Deutschlands etwas mehr Vertrauen, wobei Ärzte insgesamt die Nase vorn haben.
Rund die Hälfte der Befragten möchte dabei selbst bestimmen, was wer zu sehen bekommt. Auch hier wäre eine Opt-out-Lösung ein sinnvoller Ansatz: Wer die Sichtbarkeit seiner Gesundheitsdaten einschränken oder sie ganz sperren lassen möchte, könnte das jederzeit tun, so der Plan. Sicherheit ist generell für viele ein Thema – der Großteil der ePa-Ablehner argumentiert mit Bedenken in puncto Datenschutz.
Bei aller anklingenden Begeisterung für die ePa muss allerdings auch darauf verwiesen werden, dass die in der Umfrage eingeschlossenen Teilnehmer alle angeben, dass Internet zu nutzen. Selbst in dieser damit als eher technikaffin zu betrachtenden Gruppe lehnen Befragte die ePa mit zunehmendem Alter auch eher ab. Von den 70- bis 79-Jährigen sagen 21 % Nein, bei den über 80-Jährigen sind es sogar 28 %. Gerade die Altersgruppe, die also angesichts oft umfangreicher Medikationspläne, langer Behandlungsdauer und -historie sowie Komorbiditäten am ehesten von einer einfachen Übersicht profitieren würde, wird sich mit der ePa also vermutlich nicht mehr anfreunden. Umso spannender, ob und wie sich dieser Aspekt wandeln wird, wenn die Generationen der Digital Natives mit der digitalen Akte altern. Aber dafür müsste die sich erstmal durchsetzen.
Bildquelle: Gary Bendig, Unsplash