Viele Patienten schwören darauf, dass Supplemente wie Vitamin D das Krebsrisiko senken. Tatsächlich können manche Nahrungsergänzungsmittel die Therapie sogar behindern. Worauf ihr beim Verschreiben achten müsst.
Viele Krebspatienten nehmen auf eigene Faust häufig Nahrungsergänzungsmittel (NEM) ein – also diverse Vitamine, Mineralstoffe oder Antioxidantien. Allerdings gibt es derzeit keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass sich die Einnahme positiv auf eine Krebserkrankung auswirken könnte. Im Gegenteil, das kann sogar ziemlich gefährlich sein, wie ein aktuelles Review zeigt.
Darin untersuchten Forscher 37 Studien von 2006–2019 mit über 1.000 Krebspatienten auf die Häufigkeit der NEM-Einnahme sowie die Auswirkungen auf die Krebstherapie. Bis zu 77 % der Befragten nahmen nach ihrer Diagnose NEM zu sich – vor allem Multivitamine (bis zu 70 %), diverse Mineralstoffe oder Vitamine wie Vitamin C (bis zu 42 %) und E (bis zu 48 %) sowie Antioxidantien (bis zu 81 %). Seltener erfolgte die Einnahme dabei nach Rücksprache mit dem ärztlichen Personal.
Doch vor allem Antioxidantien können dem Patienten bei der Krebstherapie einen Strich durch die Rechnung machen: Denn die Therapie erzeugt häufig oxidativen Stress, um Krebszellen zu bekämpfen. Antioxidantien können somit zelluläre Abwehrmechanismen gegen den oxidativen Stress auslösen, zur Resistenz von Krebszellen beitragen und so den Effekt der Krebstherapie mindern. „Wir haben keine Hinweise auf einen positiven Nutzen durch die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln und Supplementen während einer Krebsbehandlung finden können, aber Anzeichen für Wechselwirkungen bis hin zu reduzierten Lebenserwartungen“, erklären die Autoren.
Ein sehr beliebtes und besonders umstrittenes NEM ist Vitamin D. Einige schwören darauf, dass Vitamin D das Risiko für zahlreiche Krebserkrankungen wie Brust-, Prostata-, Kolorektal, oder Lungenkrebs senken würde – oder gar verhindere, dass man überhaupt an Krebs erkrankt. Vor allem epidemiologische Studien deuten eine Assoziation an. Aussagen wie beispielsweise einer Pressemeldung des Deutschen Krebsforschungszentrums, dass durch eine Vitamin-D-Supplementierung bis zu 30.000 Krebstodesfälle im Jahr vermieden werden könnten, klingen sensationell, aber müssen im Detail genauer betrachtet werden. Denn schaut man sich die Ergebnisse der meisten epidemiologischen Studien an, handelt es sich nicht um klinische Studien mit Vitamin-D-Supplementen, sondern um gesundheitsökonomische Modellrechnungen.
Wichtig dabei ist immer die Unterscheidung zwischen der Inzidenz und der Sterblichkeit durch Krebs. Beispielsweise zeigt eine Meta-Analyse, dass eine Vitamin-D-Supplementation von etwa 1.000 I.E. pro Tag die Krebssterblichkeit um 13 % senken kann, aber nicht die Häufigkeit einer Krebserkrankung. Das heißt also, dass eine optimale Versorgung mit Vitamin D bei einer bestehenden Krebserkrankung die Sterblichkeit senken kann, aber nicht generell eine Krebserkrankung verhindert.
Analysen haben bereits in Modellrechnungen zeigen können, dass es keinen statistischen Zusammenhang zwischen der Vitamin-D-Konzentration im Blut und dem individuellen Risiko einer Krebserkrankung gibt. Eine aktuelle Meta-Analyse geht nun erstmals noch einen Schritt weiter: Es gebe keine kausale Assoziation zwischen Vitamin D im Serum und der Inzidenz oder Mortalität von Krebserkrankungen. Eine unspezifische Supplementation mit Vitamin D sei daher nicht sinnvoll als Krebspräventionsmaßnahme. Die Autoren bieten in ihrer Arbeit eine systematische Übersicht zu 31 Studien, die eine kausale Assoziation zwischen dem 25-Hydroxyvitamin-D-Gehalt im Serum und einem niedrigeren Risiko für Krebs im Allgemeinen oder Kolorektal-, Brust-, Prostata-, Lungen- oder Pankreas-Krebs untersuchten. Die Population war fast ausschließlich europäisch-stämmig.
Das Besondere: Anders als bei sonstigen epidemiologischen Korrelations-Studien wurden die zugrundeliegenden Studien mittels Mendelscher Randomisierung erarbeitet. Damit kann nicht nur eine Assoziation bestimmt werden, sondern auch kausale Schlüsse gezogen werden. Denn durch das Prinzip können Menschen anhand von genetischen Markern randomisiert werden. Diese genetischen Marker sind direkt mit einer lebenslangen Exposition assoziiert – im Falle der Meta-Analyse ist die Exposition der Vitamin-D-Spiegel im Blut. Erfolgt nun ein Nachweis eines Zusammenhangs zwischen den genetischen Markern und einer Erkrankung, kann man von einer kausalen Assoziation zwischen der Exposition und der Erkrankung ausgehen. So können auch aus epidemiologischen Daten kausale Zusammenhänge und quantitative Aussagen gezogen werden.
Die Forscher nutzten in ihrer Meta-Analyse nur Studien, die dieses Prinzip anwendeten, um den Zusammenhang zwischen der Vitamin-D-Konzentration im Serum und einer Krebserkrankung über genetische Marker zu untersuchen. Entgegen anderer traditioneller epidemiologischer Studien konnten sie dabei weder eine kausale Assoziation zur Häufigkeit, noch zur Mortalität finden.
Allerdings hat auch das Prinzip der mendelschen Randomisierung ihre Limitationen und ersetzt nicht den Goldstandard RCT. Denn es basiert auf Annahmen, die spezifische Limitierungen mit sich ziehen und im schlimmsten Fall falsch sein könnten. Die Annahmen sind:
Die erste Annahme lässt sich in der Regel leicht überprüfen – und wurde auch in der Meta-Analyse für die Population sicher analysiert. Verletzungen der anderen beiden Annahmen lassen sich aber nicht mit 100-prozentiger Sicherheit ausschließen. So könnten die ausgewählten Genmarker mit Störfaktoren zusammenhängen, die eine falsche Korrelation erzeugen. Zudem könnte die Beziehung zwischen Exposition und Erkrankung über Stoffwechselwege zusammenhängen, sodass keine direkte kausale Assoziation zwischen den beiden bestünde.
Limitierung hin oder her, die Ergebnisse der aktuellen Meta-Analyse reihen sich in die Liste von vielen Assoziationsstudien und RCTs ein, zumindest was das Risiko einer Krebserkrankung angeht. „Diese Ergebnisse stimmen weitgehend mit veröffentlichten Ergebnissen aus RCTs überein, einschließlich der groß angelegten VITAL-Studie, und legen nahe, dass Interventionen zur Erhöhung des 25-Hydroxyvitamin-D-Serumspiegels mit Sonnenlicht oder Nahrungsergänzungsmitteln wahrscheinlich keinen wesentlichen Einfluss auf das Krebsrisiko haben“, schreiben die Autoren.
Eine unspezifische, übermäßige Einnahme von Vitamin D kann außerdem auch sehr gefährlich sein: Eine Hyperkalzämie, die akut zu Übelkeit, Appetitlosigkeit, Bauchkrämpfen, Erbrechen oder in schweren Fällen zu Nierenschädigung, Herzrhythmusstörungen, Bewusstlosigkeit und Tod führen kann, kann die Folge sein, warnt das RKI.
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