In öffentlichen Apotheken fehlt Personal – das ist nicht neu. Was mich aber überrascht: Vor radikalen Ideen schrecken Chefs immer noch zurück. Warum so feige?
„Apotheke geschlossen, keine Filialleitung gefunden“, „Inhaber steht mehr als 60 Stunden selbst am HV-Tisch“, „Apotheke unverkäuflich – kein Personal zu finden“. Wer regelmäßig News der Branche liest, sieht, wie extrem der Fachkräftemangel in öffentlichen Apotheken mittlerweile ist. Einzelfälle sind das keineswegs. Laut Umfragen fehlen vor allem PTA (50 %), angestellte Apotheker (43 %) und PKA (22 %). Es herrscht ein bundesweites Jammern und Wehklagen. Aber: Viele Dinge liegen direkt oder indirekt in der Hand von Apothekenleitern.
Alles beginnt mit der leidigen Diskussion um Gehälter. Ein Coach hat mir gesagt, wichtig sei, unterschiedliche Aspekte zu beachten. Geld sei wichtig, aber eben auch nicht alles. Denn die Arbeitsbedingungen zählten ähnlich stark. Will heißen: Die Mischung macht einen guten Arbeitsplatz. Dazu ein Blick auf die Tarifgehälter am Beispiel des Gehaltstarifvertrags für die meisten Bundesländer, jeweils für das erste Berufsjahr: Ab 1. Januar 2023 erhalten Apotheker 3.895 Euro, PTA 2.419 Euro und PKA 2.156 Euro brutto.
Wer über den Tellerrand blickt, merkt schnell: PTA und Apotheker sind auch im öffentlichen Dienst gefragt – mit Einstiegsgehältern, die je nach Gehaltsgruppe und Erfahrungsstufe einige hundert Euro höher liegen als in öffentlichen Apotheken. Hinzu kommen geregelte Arbeitszeiten, Gleitzeit und je nach Tätigkeit wenige bis keine Notdienste. Auch die Industrie sucht pharmazeutische Fachkräfte, bei teilweise noch höheren Gehältern. Viele Wege führen raus aus öffentlichen Apotheken.
Doch Geld allein macht einen Job nicht attraktiv und öffentliche Apotheken haben ganz andere Probleme. Viele Inhaber mögen gute Pharmazeuten sein; gute Führungskräfte sind sie deshalb noch lange nicht. „Einen Chef, der rumschreit, will heute niemand mehr“, verrät mir der Coach. „Angestellte wünschen sich einen respektvollen Umgang.“ Allein daraus folgen zwei Möglichkeiten, Apotheken zu attraktiven Arbeitsplätzen zu machen. Das Betriebsklima muss stimmen – und das Gehalt muss passen. Angestellte haben weder cholerische Chefs noch Inhaber zu ertragen, deren Betrieb es nicht mehr erlaubt, zehn bis 15 Prozent über Tarif zu zahlen. Tarifverträge bilden eine Untergrenze, einen Minimalstandard.
Doch selbst gute Rahmenbedingungen garantieren nicht, dass Angestellte in spe darauf aufmerksam werden. Es reicht eben nicht mehr aus, zum 100. Mal den Job auf der Kammerwebsite oder in Fachblättern zu posten. Wer erfolgreich sein will, braucht mittlerweile eine gute Online-Präsenz, eine authentische Website mit eigenen Inhalten, nicht nur mit zugeliefertem Material einer Redaktion. Auch Social Media gehört dazu. So weit, so nachvollziehbar.
Doch mancher Trick funktioniert auch offline, wie mir ein Apothekenleiter aus dem ländlichen Baden-Württemberg verrät. Seine Idee war, die eigene Apotheke als akademische Ausbildungsapotheke akkreditieren lassen, um zu zeigen, wie wichtig ihm Standards sind. Er nimmt auch am begleitenden Unterricht als Dozent teil. Beides verleiht ihm Sichtbarkeit. Einige der Studierenden interessieren sich regelmäßig für die Apotheke und wollen mindestens sechs Monate ihres praktischen Jahres dort verbringen, trotz der abgelegenen Gegend. Über den Weg hat er auch schon zwei Angestellte gefunden.
Vom Arbeitsplatz zu den Berufsbildern: Auch an den Jobs selbst muss viel geändert werden. Das beginnt beim Thema Filialisierung. Nach wie vor wächst die Zahl an Filialapotheken, wenn auch langsamer. Nur sieht so mancher Chef die Filialleitung als angestellte Kraft, besser gesagt als Papiertiger, aber nicht als Führungskraft.
Das beginnt beim Gehalt: Es bleibt meist bei 15 bis 20 Prozent über Tarif. Echte Umsatz- oder Gewinnbeteiligungen, wie aus anderen Branchen bekannt, sind selten. Das wiederum liegt auch daran, dass die wenigsten Filialleiter entscheidende Prozesse rund um Einkauf und Marketing selbst steuern dürfen. Es bleibt bei der Personal- und der Notdienstplanung. Das macht Jobs nicht attraktiv; so manche Filialleitung sieht die Anstellung als Sprungbrett, um sich auf die eigene Tätigkeit als Apothekenleitung vorzubereiten. Es ist an der Zeit, dass sie tatsächlich unter Rahmenbedingungen arbeiten, die zu einer Management-Position passen.
Ähnlich düster ist die Lage bei den PTA. Sie können zwar seit 1. Januar von der Beaufsichtigungspflicht durch Approbierte befreit werden. Auch die Ausbildung wurde inhaltlich angepasst, jedoch ohne grundlegende Dinge wie die Ausbildungsdauer zu ändern. Es bleibt bei null Vergütung während der Fachausbildung – Gärtner-Azubis erhalten rund 1.100 Euro. Schnittstellen zu Studiengängen existieren wenige und auch nur zu FH-Studiengängen, die aus öffentlichen Apotheken wegführen. Alles in allem keine echte Reform. Den Mut, radikale Änderungen vorzunehmen, hatte niemand – auch nicht die Apothekerschaft über ihre am Reformprozess beteiligten Standesorganisationen. Viel zu groß ist die Angst, PTA könnten ihnen das Wasser abgraben.
Letztlich sägen Inhaber am eigenen Ast: Derzeit läuft ein Großteil aller Kundenkontakte am HV-Tisch über PTA. Fehlt der Nachwuchs, wird es kritisch. Von einer Akademisierung des Berufs inklusive der Möglichkeit, Kompetenzen zu erweitern, hätten Chefs am meisten profitiert. Ihnen gehen langsam aber sicher Fachkräfte aus, die – bei einem niedrigeren Gehalt als Approbierte – die Apothekenleitung vertreten dürfen. Die Zahl an Pharmazieingenieuren schwindet, viele sind mittlerweile in Rente. Und Apothekerassistenten/Vorexaminierte gehören mit wenigen Ausnahmen längst zur Geschichte. Ein neuer Beruf mit Vertretungsberechtigung wäre ideal gewesen. Das liegt zwar in der Hand der Standesorganisationen – aber die werden von Apothekern gewählt.
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