Während Deutschland sich noch sträubt, fallen die Effekte in anderen Ländern schwächer aus als erwartet – die Rede ist von der Zuckersteuer. Wo liegt das Problem?
Etwa 15 Prozent aller Todesfälle in Deutschland führen Wissenschaftler auf unausgewogene Ernährungsmuster zurück. 46,6 % aller Frauen und 60,5 % aller Männer leiden an unterschiedlich starkem Übergewicht; 19% aller Erwachsenen sind sogar adipös, wie Befragungen zeigen. Um hier gegenzusteuern, bringen Experten seit langer Zeit Abgaben auf Zuckerzusatz ins Gespräch.
Eigentlich sollte die Zuckersteuer im Koalitionsvertrag als ein Ziel der neuen Regierung festgeschrieben werden. Doch am Ende konnten sich die Ampel-Parteien nicht darauf verständigen. Im „Eckpunktepapier für eine Ernährungsstrategie der Bundesregierung“, Ende 2022 veröffentlicht, ist die Abgabe nicht mehr zu finden. Zwar schreiben die Autoren, der Zuckerverbrauch solle verringert werden – Details bleiben jedoch unklar.
Mehrere Regierungen haben sich bereits zu diesem Schritt entschlossen, mit Rückendeckung der WHO und zahlreicher medizinisch-wissenschaftlicher Fachgesellschaften. Zu diesen Ländern gehört unter anderem Großbritannien. Doch eine neue Studie liefert jetzt überraschende Ergebnisse.
Zum Hintergrund: Im März 2016 hat Großbritanniens Regierung eine Zuckersteuer angekündigt, die seit April 2018 gilt. Je nach Zuckerzusatz zahlen Hersteller umgerechnet 20 bis 27 Cent pro Liter eines Softdrinks. Prompt ging der Absatz zuckerhaltiger Erfrischungsgetränke zurück. Doch was hat die Steuer aus medizinischem Blickwinkel verändert? Das wollten Forscher in Erfahrung bringen. Daten stammten aus dem britischen National Child Measurement Programme. In staatlichen Schulen erfassen Mitarbeiter regelmäßig bei etwa einer Million Kindern pro Jahr Größe und Gewicht: in der Vorschule (im Alter von vier bis fünf Jahren) und in der sechsten Klasse (im Alter von zehn bis elf Jahren).
Das Team stellte fest, dass die Einführung der Zuckersteuer mit einer relativen Verringerung des Übergewichts bei Mädchen der sechsten Klasse um acht Prozent oder 5.234 Fällen verbunden war. Als relative Verringerung definierten sie die Differenz zwischen dem erwarteten Auftreten von Adipositas ohne Einführung einer Zuckersteuer und den tatsächlichen Fallzahlen. Die Effekte waren bei Mädchen am größten, deren Schulen in sozial benachteiligten Gebieten lagen, wo Kinder die größte Menge an zuckerhaltigen Getränken konsumieren. Hier waren es bis zu neun Prozent weniger. Wissenschaftler fanden jedoch keine Assoziationen zwischen der Zuckersteuer und Veränderungen des Übergewichts bei kleineren Kindern. Auch bei Jungen der sechsten Klasse gab es insgesamt keinen Rückgang der Adipositas-Prävalenz.
Dr. Nina Rogers von der MRC Epidemiology Unit in Cambridge, Erstautorin der Studie, räumt ein, das sei „kein klares Bild“, denn von einer Zuckersteuer profitierten vor allem ältere Mädchen. „Aber die Tatsache, dass wir den größten Unterschied bei Mädchen aus Gebieten mit starker Benachteiligung gesehen haben, ist wichtig – und ein Schritt zur Verringerung der gesundheitlichen Ungleichheiten.“
Für ihre überraschenden Resultate haben die Forscher mehrere Hypothesen. Kinder aus der jüngsten Altersgruppe trinken weniger Limonaden und weniger Cola, dafür mehr Fruchtsäfte. Auch hier setzen Hersteller teilweise Zucker zu; das britische Gesetz greift jedoch nicht bei Fruchtsäften. Studien hätten zudem ergeben, dass Jungen mehr Werbung für Lebensmittel ausgesetzt seien als Mädchen. Das liege einerseits daran, dass sie mehr Zeit vor dem Fernseher oder Computer verbringen. Andererseits würde Werbung aufgrund der Aufmachung eher Jungen ansprechen. Mit Spots rund um körperliche Aktivität wollen Hersteller den Absatz von Junk Food oder Softdrinks fördern. „Jungen glauben im Vergleich zu Mädchen nachweislich eher, dass energiereiches Junk Food […] die körperliche Leistungsfähigkeit steigern kann“, heißt es weiter. Oft werde mit Prominenten oder Influencern geworben.
Doch die Fragen gehen noch weiter. Erschwerend kommt hinzu, dass sich bei Erwachsenen in Großbritannien – trotz der Zuckersteuer – kein klarer Trend zeigt. Übergewichtig oder adipös waren gerundet 64 % (2017) versus 64 % (2021). Und in Mexiko, hier wurden Ende 2013 Abgaben eingeführt, brach der Verkauf zwar ein, ohne den Trend hin zu mehr Übergewicht zu bremsen.
Ernährungswissenschaftler der LMU sehen Herstellerabgaben für Softdrinks nur als eine Maßnahme von vielen, denn Kalorien kommen eben aus unterschiedlichen Quellen. Deshalb raten sie zu weiteren Maßnahmen über die Zuckersteuer hinaus:
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