Für schöne Haare greifen viele Menschen zu Nahrungsergänzungsmitteln wie Biotin, Selen oder Vitamin D – und damit auch tief in die Tasche. Aber welche Supplements wirken wirklich? Unser Fakten-Check.
Zink, Antioxidantien oder auch Vitamin D – diese und viele andere Nahrungsergänzungsmittel (NEM) sollen angeblich gegen Haarausfall helfen. Sind das nur vermeintliche Versprechen der bösen Beauty-Industrie oder ist da auch was dran? Obwohl Supplemente von vielen Menschen eingesetzt werden, sieht die aktuelle Studienlage zur Wirksamkeit von NEM gegen Haarverlust noch recht mau aus. Außerdem kann ein unspezifischer Gebrauch nicht nur teuer sein, sondern auch Nebenwirkungen hervorrufen.
Um also etwas Klarheit zu verschaffen, haben US-amerikanische Forscher nun ein systematisches Review über verschiedene Supplemente gegen Haarverlust veröffentlicht. Die Wissenschaftler schließen in ihrer Analyse insgesamt 30 Publikationen mit ein, davon 17 RCTs, 11 klinische Studien und zwei Fallserien. Die Probanden wiesen alle keinen Nährstoffmangel auf, hatten aber mit Haarverlust zu kämpfen.
Arzneistoffe wie Finasterid hemmen das Enzym 5-α-Reduktase (5AR), welches Testosteron in Dihydrotestosteron umwandelt. Bei der androgenenetischen Alopezie (AGA) spielt letzteres eine wichtige Rolle und führt erblich bedingt zur Überempfindlichkeit der Haarwurzel. Finasterid wird daher auch bei Haarausfall gegeben. Vor der Verschreibung wurde zuletzt vor allem wegen Nebenwirkungen wie erektiler Dysfunktion, sowie psychischen Symptomen gewarnt. Es gibt aber auch NEM, die vermutlich ähnlich wie Finasterid wirken können.
Serenoa repens, oder besser bekannt als Sägepalme, ist eine Pflanze aus dem südlichen Teil der USA. Es wird angenommen, dass sie ebenfalls 5AR hemmen kann und dadurch wirksam gegen genetisch bedingten Haarausfall ist. In einem RCT wurde der aktive orale lipidosterloische Extrakt der Pflanze bei 19 Männern mit leichter bis mittelschwerer androgenenetischer Alopezie getestet. Das Phytopharmakon erzielte nach 5 Monaten bei 60 % der Männer eine Verbesserung, im Gegensatz zu 11 % in der Placebogruppe. Allerdings war der Unterschied nicht signifikant.
Eine weitere Studie verglich den Extrakt mit Finasterid bei 100 Männern mit leichter bis mittelschwerer AGA. Finasterid war wirksamer bei der Verbesserung des Haarausfalls, S. repens stabilisierte den Haarausfall erst nach 24 Monaten. Im Zusammenhang mit der Sägepalme wurden neben milden Nebenwirkungen wie Übelkeit, Durchfall und Verstopfung, auch sexuelle Dysfunktion gemeldet, allerdings zu einem geringeren Ausmaß als bei Finasterid. Die Autoren machen auch darauf aufmerksam, dass die Anwendung des Phytopharmakons mit dem Risiko einer fehlenden Früherkennung von Prostatakrebs in Verbindung gebracht wird.
Auch Kürbiskernöl ist in der Lage, 5AR zu hemmen. Im Rahmen einer RCT zeigten Kürbiskernölkapseln bei 76 Männern mit genetisch bedingtem Haarausfall ein signifikant besseres Haarwachstum. Nebenwirkungen waren dabei in der Verum- und Placebogruppe ähnlich. „Kürbiskernöl kann eine potenzielle Alternative zu Finasterid bei der Behandlung von AGA sein“, schreiben Drake et al. Allerdings sei das auch die bisher einzige, ihnen bekannte, vergleichende Studie.
Bestimmte Alopecia-Typen wie etwa Alopecia areata (AA) sind Autoimmunerkrankungen. Bei AA greift der Körper eigene Haarfolikel an, sodass stellenweise Haarausfall auftritt. Daher stellten Experten die Hypothese auf, dass Immunmodulatoren das Nachwachsen von Haaren beeinflussen könnten. Der Wirkstoff Baricitinib wird unter anderem für die Therapie gegen AA eingesetzt, ist aber sehr teuer (wir berichteten). Bestimmten Phytopharmaka, die etwas preiswerter sind, wird ebenfalls eine immunmodulatorische Wirkung zugeschrieben.
Gesamtglucoside der Pfingstrose (TGPC) oder zusammengesetzte Glycyrrhizin-Tabletten sind beispielsweise chinesische Kräuterpflanzenextrakte, die die T-Zell-Aktivierung regulieren. Im Rahmen einer Studie wurden 117 Kinder mit schwerem AA mit einer Kombination aus TGPC, Glycyrrhizin und Vitamin B2 gegenüber einer Glycyrrhizin-Monotherapie behandelt. In beiden Gruppen konnte durch die Therapie eine Reduktion des Schweregrads erreicht werden, wobei die Reaktion auf die Kombi-Therapie nach 12 Monaten signifikant besser ausfiel. Die Nebenwirkungen fielen mit Bauchschmerzen und einer erhöhten Stuhlfrequenz milde aus.
Auch Mikronährstoffe spielen eine wichtige Rolle in Sachen Haare bzw. Haarfollikel. Einige Alopecia-Typen werden beispielsweise mit geringeren Nährstoffgehalten in Verbindung gebracht.
Das allseits beliebte Vitamin D wird unter anderem auch als Haarwuchsmittel heiß diskutiert. So werden geringere Vitamin-D-Spiegel oder -Defizite mit AA oder auch AGA und telogenem Effluvium (TE) in Verbindung gebracht. TE tritt auf, wenn ein plötzlicher schwerer Schock oder Stress zu einem gesteigerten Haarverlust führen, bedingt durch Veränderungen im Zellzyklus der Haarzellen. Es muss nicht zwingend zu einer Alopecia führen, und folgt häufig auf schwere Infektionen, Stress oder andere plötzliche gesundheitliche Veränderungen. In einer prospektiven Studie untersuchten Forscher bei 40 Frauen mit TE die Gabe von oralen Vitamin-D3-Supplementen. Nach 6 Monaten hatten 82,5 % der Patienten verbesserte Ergebnisse beim Haarausreißtest und 85 % zeigten sich zufrieden. „Angesichts des selbstauflösenden Verlaufs der TE, fehlenden Kontrollgruppen und einer fehlende Beurteilung von Vitamin-D zu Beginn, sollten die Befunde mit Vorsicht interpretiert werden“, merken die Autoren des Reviews allerdings kritisch an.
Auch ein Mangel an Zink kann für TE, brüchiges Haar oder Haarausfall verantwortlich sein. In einigen Patienten mit AA wurde ebenfalls ein geringer Zinkspiegel im Serum identifiziert – allerdings sind diese Ergebnisse inkonsistent. Es wird vermutet, dass Zink mit der Funktion der Superoxid-Dismutase zusammenhängt – verringerte Konzentrationen würden demnach zu oxidativen Gewebsschäden führen. Die Verwendung von Zinksulfatkapseln bei verschiedenen Alopecia-Typen erwies sich jedoch als inkonsistent – von keiner Verbesserung bis hin zu einem stärkeren Haarwachstum. Die Autoren des Reviews weisen daher darauf hin, dass größer und auch strenger angelegte Studien erforderlich seien, um den Einsatz von Zinkpräparaten gegen Haarausfall tatsächlich bewerten zu können.
Zu den beliebten Haarwuchsmitteln gehören auch Vitamin B7 und B12. Vor allem mit Biotin wirbt die Beauty-Industrie immer wieder und verspricht dadurch eine Verbesserung des Haarwuchses. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA warnt hingegen sogar vor einer Biotin-Supplementierung, weil diese einige Laboruntersuchungen wie Troponin- und Hormontests beeinträchtigen kann.
Vitamin B12 ist unter anderem wichtig für die DNA-Synthese. Eine Hypothese geht davon aus, dass eine Supplementierung für die Vermehrung von Haarzellen vorteilhaft sein kann. Allerdings gibt es weder für Biotin noch für Vitamin B12 aussagekräftige bzw. belastbaren Studien, in denen sich für eine Supplementierung gegen Haarausfall oder Alopecia ausgesprochen wird, erklären die Autoren des Reviews.
Oxidativer Stress spielt sowohl in der Pathogenese von AA und AGA, als auch bei TE eine Rolle. Antioxidantien wie etwa Selen, Carotinoide, Vitamin A, C oder E sind üblicherweise in vielen NEM und Haarwuchsmitteln enthalten. Zu viel, kann aber gefährlich sein: Eine exzessive Supplementierung mit diesen Antioxidantien wird mit einer toxischen Wirkung und ironischerweise Haarausfall in Verbindung gebracht.
RCTs mit Fischöl, schwarzem Johannisbeersamenöl, Vitamin E und C sowie Lycopin-Supplementierung führten allerdings bei 118 Frauen mit AGA nach einer 6-monatigen Intervention zu einer erhöhten Haardichte und -dicke im Vergleich zu keiner Supplementierung. Ein weiterer RCT untersuchte gemischte Tocotrienole bei 35 Patienten mit unspezifischem Haarausfall. Nach 8 Monaten wies die Interventionsgruppe deutlich mehr Haarwachstum auf. In keiner der beiden Studien wurde über unerwünschte Ereignisse berichtet. Schlecht definierte Aufnahmekriterien sowie die zu kleinen Stichprobengrößen schränken die Aussagekraft dieser Studien allerdings ein.
IGF-1 spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Haarfollikeln und dem Haarwachstumszyklus. IGF-1-Mangel oder auch ein Mangel an bestimmten Wachstumshormonen werden daher mit diversen Arten von Haarverlust assoziiert.
NEM wie Capsaicin und Isoflavone könnten dabei helfen, um einem solchen Mangel entgegenzuwirken, da sie die dermale IGF-1-Produktion erhöhen können. In einem RCT mit 48 Erwachsenen mit entweder AA oder AGA erzielte die Gabe von Capsaicin und Isoflavon ein deutlich vermehrtes Haarwachstum nach 5 Monaten. Nebenwirkungen gab es keine.
Supplemente dürfen nicht mit Aussagen beworben werden, die sich auf die Beseitigung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten beziehen – da sie eben keine Arzneimittel sind. Sie dienen lediglich als Ergänzung der allgemeinen Ernährung, weshalb sie auch keiner so strengen Prüfung wie Arzneimittel unterliegen.
Das spiegelt sich in den im Review untersuchten Studien wider. Sie alle zeichnen sich durch zu kleine Stichprobengrößen, inkonsistente Einschlusskriterien und teilweise subjektiven Selbsteinschätzungen aus. Zudem sind die Studien häufig nicht ganz unabhängig und meist stehen Hersteller von Supplementen hinter den Untersuchungen. Die kurze Untersuchungsdauer, teilweise fehlende Kontrollgruppen und die geringe Probandengröße lassen nicht nur zur Wirksamkeit der Supplemente eingeschränkte Aussagen zu – sondern auch zur Sicherheit.
Die Forscher weisen daher darauf hin, dass sowohl Ärzte als auch Patienten bei der Auswahl von teuren Supplementen aufmerksam sein müssen. Größer angelegte, ausführlichere RCTs seien nötig, um die Wirksamkeit und Sicherheit von NEM als ergänzende oder auch alternative Behandlung gegen Haarverlust zu prüfen.
„Trotz dieser Einschränkungen können einige Patienten mit Haarausfall von einer Nahrungsergänzung profitieren und sollten bei einer gemeinsamen Entscheidungsfindung mit Dermatologen ermutigt werden, Risiken und Vorteile jeder Behandlung zu überprüfen“, so das Fazit der Autoren.
Bildquelle: Ryan Snaadt, unsplash