Leiharbeit in der Pflege verbieten! Mit diesem Ansinnen hat die Deutsche Krankenhaus-Gesellschaft in ein Wespennest gestochen. Der Vorwurf: Heuchelei.
So hatte sich das die Deutsche Krankenhaus-Gesellschaft (DKG) vermutlich nicht vorgestellt. Am vergangenen Freitag veröffentlichte der Dachverband der deutschen Krankenhäuser eine Kommunikation zum Thema Leiharbeit, in der auf die „zunehmenden Probleme“ aufmerksam gemacht wird, die diese Form der Arbeitnehmertätigkeit speziell im Bereich Pflege mit sich bringt. „Leiharbeit im Krankenhaus entwickelt sich von der Ausnahme zum Regelfall“, lässt sich DKG-Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß dort zitieren. Und weiter:
„Wir registrieren, wie Belegschaften durch Leiharbeit mehr und mehr gespalten werden. Leasingkräfte können nur zu bestimmten Wunschschichten eingesetzt werden. Der Stammbelegschaft bleiben unbeliebte Zeiten wie Wochenenden, Feiertage oder Nachtschichten. In der Folge wandern immer mehr Beschäftigte in die Leiharbeit ab, so dass sich eine Spirale entwickelt, deren Ende ohne Eingriffe nicht absehbar ist.“
Hinzu komme die Kostenproblematik, die daraus entstehe, dass die deutlich höheren Kosten für die Leiharbeit nicht in den Pflegebudgets abgebildet seien. Die DKG schlägt deswegen vor, Leiharbeit gesetzlich auf den Ausgleich von Belastungsspitzen zu beschränken und den Stundensatz auf das 1,5-Fache der üblichen Vergütung fest angestellter Pflegekräfte zu deckeln:
„Der Druck durch die Zeitarbeit ist mittlerweile so groß, dass ein Großteil der Krankenhäuser sogar ein Verbot fordert. Dieses Verbot sehen wir als Ultima Ratio, sollten die Reformen nicht greifen. Das Ausmaß der Leiharbeit gefährdet zunehmend die Arbeit auf den Stationen, es spaltet die Belegschaften, gefährdet die Versorgung und führt zu einer unabsehbaren Kostenspirale, die am Ende die Versicherten zu tragen haben. Die Politik ist gefragt, hier so schnell wie möglich einzugreifen.“
Flankiert hat die DKG diese recht deutliche Positionierung mit einem Positionspapier und einem forschen Tweet:
Sollte der Tweet nicht angezeigt werden, bitte die Seite neu laden.
Und dieser Tweet kam in den sozialen Medien gar nicht gut an. Aus ersten, kritischen Kommentaren am Freitag entwickelte sich übers Wochenende ein veritabler Shitstorm. Einige namens ironisch:
Andere warfen der DKG ziemlich unverblümt Heuchelei vor:
Tatsächlich ist es nicht ohne Ironie, dass die DKG das Thema erst jetzt so vehement aufgreift. Leiharbeit im ärztlichen Dienst gibt es seit mehr als zwei Jahrzehnten. Sie hat es einer Reihe von Krankenhäusern bzw. Krankenhausbetreibern ermöglicht, lukrative Versorgungsangebote aufrecht zu erhalten, die sie anders nicht mehr hätten aufrechterhalten können. Anders formuliert: Bisher haben die Krankenhausbetreiber von der (ärztlichen) Leiharbeit teils massiv profitiert, und entsprechend gering war die öffentliche Kritik daran in den letzten zwanzig Jahren.
Erst mit der Corona-Pandemie gewann dann auch das Thema Leiharbeit in der Pflege plötzlich quantitative Relevanz – und hier geht die Sache jetzt zu Lasten der Kliniken. Sie verloren und verlieren Personal, das sie sich in Form von Leiharbeit zurückkaufen müssen. Da die Honorare für Pflege in Leiharbeit teilweise deutlich höher sind als bei festangestellten Pflegekräften gibt es nicht wenige, die ganz bewusst in die Leiharbeit wechseln, um mehr zu verdienen und – das funktioniert nicht immer, aber teilweise – attraktivere Arbeitszeiten zu bekommen. Ein Riesenproblem wurde das im Herbst 2022 unter anderem für einige Kinderkliniken, aber es ist nicht auf Kinderkliniken beschränkt.
Eine andere Frage ist, ob man wirklich schon von einem „Regelfall“ sprechen kann, wie das die DKG tut. Einige Kommentatoren reagierten auch auf diese recht plakative These mit einem Fakten-Check – und kamen auf einen Anteil von etwa 2 Prozent:
Aus den Zahlen errechnet sich bei 1.887 Akutkrankenhäusern ein Schnitt von elf Pflege-Leiharbeitskräften pro Krankenhaus, bei durchschnittlich 491 Pflegekräften. Solche Berechnungen von Durchschnitten sind freilich nicht ganz unproblematisch. Leiharbeit ist nicht gleichmäßig verteilt, wie sich an den Kinderkliniken im Herbst gut studieren ließ. Von mehreren Kommentatoren wurde am Wochenende auch transparent gemacht, von welchen Kosten eigentlich die Rede ist. Teilweise werden bei den Zeitarbeitsfirmen demnach an Wochenenden 1.000 Euro pro Tag fällig.
Letztlich zeigt die ganz Episode einmal mehr, wie prekär die Lage in der Pflege mittlerweile vielerorts ist. Der im Zuge der Corona-Pandemie zu einiger Prominenz gelangte Pfleger Ricardo Lange hat eine klare Meinung zu den DKG-Forderungen: Leiharbeits-Bashing sei weder angebracht noch zielführend, so Lange – selbst sehr erfahren in Sachen Zeitarbeit.
Und auch auf die von einigen DKG-Verteidigern aufgestellte These, wonach ein Verbot der Leiharbeit viele der derzeitigen Pflege-Probleme lösen würde, hat er eine klare Antwort: „Eher das Gegenteil wird passieren.“
Bildquelle: Ehimetalor Akhere Unuabona, unsplash