Ein Rollstuhl gilt als Risikofaktor für Frakturen im Alter, denn die fehlende Belastung führt zu spröden Knochen. Eine schwedische Studie zeigt jetzt: Ganz so einfach ist es nicht.
Die Benutzung eines Rollstuhls bedeutet oft, viele Stunden in derselben sitzenden Position ohne Belastung der Beine zu verbringen, was zu einer Funktionsverschlechterung und einem Verlust an Knochenmasse führen kann. Dies wiederum macht das Skelett spröder und erhöht damit das Bruchrisiko. Die Nutzung von Rollstühlen gilt daher als Risikofaktor für Frakturen.
Die aktuelle Studie zeigt jedoch, dass die Rollstuhlnutzung in der Gruppe der gebrechlichen älteren Menschen nicht als Risikofaktor für Frakturen angesehen werden sollte. Tatsächlich waren es die Rollstuhlfahrer der Studie, die am seltensten Brüche erlitten. Die Arbeit wurde in der Zeitschrift JAMA Network Open veröffentlicht.
Mit 55.442 Rollstuhlfahrern in Schweden mit einem Durchschnittsalter von 83 Jahren ist dies die bislang größte Studie auf diesem Forschungsgebiet. Sechs von zehn Teilnehmern waren Frauen. Die Personen in der gematchten Kontrollgruppe waren gehfähig, mit oder ohne technische Hilfsmittel. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug etwa zwei Jahre.
Die Rollstuhlfahrer erlitten 4.148 Frakturen. In der Kontrollgruppe waren es mit 10.344 mehr als doppelt so viele. Genauer gesagt entsprach das Risiko der Kontrollpersonen dem 2,3-Fachen der Rollstuhlfahrer. Dies galt für Frakturen im Allgemeinen. Bei Osteoporose und Hüftfrakturen waren die Unterschiede zwischen den Gruppen sogar noch ausgeprägter: Bei den Rollstuhlfahrern gab es weniger als ein Drittel so viele Frakturen – ihr Sturzrisiko war weniger als halb so hoch wie bei den ambulanten Kontrollpersonen.
Ob ein Rollstuhl bei einem Patienten empfohlen wird, hängt von dessen Bedürfnissen ab. Zu den berücksichtigten Faktoren gehören Unbeweglichkeit, Schwäche, schlechtes Gleichgewicht und häufiges Stürzen.
„Was wir gezeigt haben, ist der Zusammenhang zwischen Rollstuhlnutzung und einem massiv reduzierten Frakturrisiko bei gebrechlichen älteren Menschen, unabhängig von möglichen Gründen für die Nutzung der Rollstühle. Da Frakturen – insbesondere der Hüfte – enormes Leid verursachen und viele medizinische Ressourcen erfordern, sind diese Erkenntnisse wichtig“, stellt Prof. Mattias Lorentzon, leitender Autor der Studie und Chefarzt am Sahlgrenska-Universitätskrankenhaus, fest.
„Die Ergebnisse sind besonders interessant für jeden, der darüber nachdenkt, einem Patienten einen Rollstuhl zu verschreiben und eine Risiko-Nutzen-Analyse durchzuführen. In einem Rollstuhl zu sitzen ist in vielerlei Hinsicht negativ, daher ist es gut zu sehen, dass das Sturz- und Frakturrisiko reduziert wird“, sagt Kristian Axelsson, Erstautor der Studie und Forscher an der Sahlgrenska-Akademie der Universität Göteborg.
Der Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung des Schwedischen Forschungsrats. Die Originalpublikation findet ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Max Bender, unsplash