Was wir in den Apotheken gegen die Lieferengpässe tun: Säfte, Rezepturen und Defekturen herstellen. Nur blöd, dass die so selten verschrieben werden. Wie ihr Ärzte uns unterstützen könnt.
Da die Lieferengpass-Problematik bei Paracetamol-Säften noch immer besteht, sind die Apotheken weiterhin auf eine Eigenherstellung angewiesen. Hilfe gibt dabei das DAC/NRF, aber auch die Mund-zu-Mund-Propaganda ist – speziell was den Geschmack der Suspension betrifft – nicht zu unterschätzen. Zahlreiche Vor-Ort-Apotheken haben sich in den vergangenen Wochen mit der Thematik auseinandergesetzt und sind zur Herstellung in der Rezeptur übergegangen. Doch wo bleiben die Rezepte der Kinderärzte? Alleine, dass wir in dieser Lage sind, ist mindestens genauso bitter, wie die Suspension, die wir herstellen.
Die Grundlage für Suspensionen (NRF-Vorschrift S.52) dient als Träger. Sie ist viskos genug, dass der Wirkstoff nicht sofort zu Boden sinkt und den Eltern eine angemessene Zeit bleibt, die Suspension aufzuschütteln und portionsweise mittels Dosierlöffel, oder besser mittels Dosierspritze, zu entnehmen. Die Grundlage ist übrigens derzeit ebenfalls nicht vom Großhandel oder den Herstellern beziehbar und muss in der Rezeptur hergestellt werden. Da hier das Verdickungsmittel Hydroxyethylcellulose 10.000/Natrosol 250 HX (10.000 mPa·s Nominalwert) zumeist aufgrund der hohen Nachfrage nicht bezogen werden kann, schlägt das DAC/NRF folgende Alternativen vor: die geforderten 0,5 % Hydroxyethylcellulose 10.000 können bei Engpässen ersetzt werden durch:
Da die Rezeptursubstanz ebenfalls nicht zu bekommen ist, kann man die Suspension mit Tabletten herstellen, die in der Grundlage erst einmal vorgequollen werden, bis sie verarbeitet werden können. Der Quellvorgang und die Verarbeitung kann für Kleinansätze in einer Glasschale mit Pistill durchgeführt werden. Bei größeren Ansätzen für 10–20 Flaschen mit je 100 ml sind viele Apotheken dazu übergegangen, einen elektrischen Zauberstab aus der Küche zu verwenden, der die optimale Zerkleinerung der Tabletten und die Vermischung mit der Grundlage gewährleistet. Die Herstellung aus Tabletten ist vermutlich die elegantere Lösung bei der Eigenherstellung eines Saftes, denn die Beimengung der Tablettenhilfsstoffe hilft den Eltern dabei, die Suspension später einfacher aufschütteln zu können. Grundsätzlich wird auch den Apotheken empfohlen, die auf Vorrat hergestellten Suspensionen regelmäßig – auf jeden Fall aber alle 4 Wochen und unmittelbar vor der Abgabe – aufzuschütteln, um ein Caking, also das Festbacken am Boden der Medizinflasche, zu verhindern.
Nun zu einem weiteren Punkt der bei der Eigenherstellung Probleme bereiten kann: der Geschmack. Wie von vielen Eltern zu hören ist, ist die auf diese Weise hergestellte Suspension für Kinder geschmacklich extrem unangenehm. Die vielfach geäußerten Beschwerden sind, er schmecke „scharf, sauer und/oder bitter”. Hier empfiehlt das DAC/NRF die Zugabe eines Flüssigaromas in der Konzentration von 0,1–0,5 %. Die Industrie gibt ihren Säften häufig Orangen, Himbeer- oder Erdbeeraroma hinzu, um den Geschmack erträglich zu machen. Denkbar ist aber auch Contramarum-Aroma, das süß bis karamellartig schmeckt und in persönlichen Gesprächen mit einigen herstellenden PTA von den Kindern offenbar am besten akzeptiert wird. Bananenaroma, das den bitteren Geschmack ebenso überdeckt, ist auch beliebt.
Denkbar wäre auch der Tipp an die Eltern, die Suspension unmittelbar vor der Verabreichung mit Apfelmus oder einem Fruchtsaft zu mischen und dann zu verabreichen. Grundsätzlich scheint die Suspension besser zu schmecken, wenn sie zimmerwarm ist, und nicht im Kühlschrank gelagert wird. Das Verabreichen mittels Dosierspritze ist ebenfalls sinnvoll, denn die Geschmacksknospen die bitter schmecken liegen mittig recht weit in Richtung Schlundnähe. Wird die Suspension seitlich Richtung Backentasche gespritzt umgeht man sie besser, als mit einem Dosierlöffel, der die Rezeptur genau mittig im Mundraum platziert.
Da die Herstellung sehr aufwändig ist, bietet es sich an, eine 100er Defektur herzustellen, da die Säfte nach neueren Erkenntnissen auch 3 Monate lang haltbar sind, und nicht bereits nach 4 Wochen verworfen werden müssen. Die Kennzeichnung einer 100er Defektur auf dem Etikett unterscheidet sich laut § 14 der Apothekenbetriebsordnung und § 10 des Arzneimittelgesetzes von dem einer Rezeptur. Aufgebracht werden müssen:
Eine Dosierungsanleitung sollte außerdem mitgegeben werden. Hier kann man sich an den Dosierungen für die Fertigarzneimittel orientieren:
Säuglinge von 6–12 Monaten mit 7–9 kg Körpergewicht:
Kleinkinder von 1–2 Jahren mit 10–12 kg Körpergewicht:
Kinder von 2–5 Jahren mit 13–18 kg Körpergewicht:
Kinder von 5–8 Jahren mit 19–25 kg Körpergewicht:
Kinder von 8–11 Jahren mit 26–32 kg Körpergewicht
Kinder von 11–12 Jahren mit 33–43 kg Körpergewicht
Nun zu der Frage, warum sich die Kinderärzte so schwertun, mit der Verordnung einer Rezeptur. Die Aussage ist immer wieder, dass eine Rezeptur zu teuer sei und das Budget belaste. Der GKV-Spitzenverband hat die Krankenkassen bereits im August 2022 darauf hingewiesen, dass eine Mangellage bestehe und dringend empfohlen, dass in dem Zeitraum der eingeschränkten Verfügbarkeit den Apotheken die Rezepturen von den Krankenkassen erstattet und auch die ärztlichen Verschreibungen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung gesondert berücksichtigt werden sollten. In Abstimmung mit dem GKV-Spitzenverband, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, wird die Rezeptur bzw. Defekturherstellung der in Rede stehenden Produkte befürwortet.
Laut der Pharmazeutischen Zeitung gilt die Übernahme der Mehrkosten inzwischen für alle 11 AOKen, die Techniker und die Barmer-Krankenkasse. Für eine solche Verordnung gilt allerdings laut BfArM die Voraussetzung, dass die Fertigung von individuellen Rezepturarzneimitteln „ausschließlich im Einzelfall” zur Anwendung kommen soll, „wenn der Krankheitszustand des Kindes eine Behandlung mit den in Rede stehenden Wirkstoffen erfordert.“ Wir können das in der Apotheke nicht beurteilen – das können nur die behandelnden Ärzte.
Wenn diese entscheiden, dass das Fieber nicht hoch genug ist oder besorgniserregend lange andauert, das betreffende Kind keine Schmerzen hat oder weitere Komplikationen zu befürchten sind, dann ist das alleine deren Entscheidung und das sollte den besorgten Eltern auch so gesagt werden. Theoretisch ist also die Kostenübernahme im dringenden Einzelfall gerechtfertigt, aber eben nicht für die breite Masse, die – so verständlich und nachvollziehbar das auch ist – gerne ein Backup zuhause stehen hätte, wenn sich die Lage verschlechtert. In der Apotheke würden wir schließlich auch keine Medikamente abgeben, wenn die Kostenübernahme nicht gesichert ist.
Das erklärt vielleicht, warum viele Ärzte zwar versuchsweise einen Fiebersaft als Fertigpräparat verordnen, aber nach einer telefonischen Rücksprache, ob es auch eine Rezeptur sein darf, ablehnen. Trotzdem hier noch eine Bitte: Es wäre wirklich sinnvoll, diesen Saft – wie es das BfArM empfiehlt – auf einem Extrarezept zu verordnen. Viele Eltern fahren nämlich mit Rezepten herum, auf denen ein Antibiotikum und der Fiebersaft gemeinsam verordnet sind. Beides ist derzeit schwierig zu bekommen. Hat eine Apotheke das Antibiotikum vorrätig, den Saft aber nicht, dann fahren die Eltern erfahrungsgemäß erst einmal alle anderen Apotheken ab, in der Hoffnung, beides irgendwo zu erhalten, was beinahe einem 6er im Lotto gleicht.
Wären die Medikamente auf zwei Verordnungen zu finden, würden sie schneller zum Ziel kommen oder könnten immerhin das Antibiotikum mitnehmen. Auf einem Einzelrezept kann der Saft auch privat abgerechnet werden und die Eltern reichen ihn dann mit der Hoffnung auf Kulanz bei der Krankenkasse ein. Hätte man mir vor zehn Jahren erzählt, dass wir hier einmal in eine solche Mangellage kommen, ich hätte es nicht für möglich gehalten.
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