Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz gelang es Forschern, die Genprofile von ALS-Patienten aufzuschlüsseln. Das neue Verfahren ermöglicht eine beeindruckend genaue Prognose darüber, ob Personen an ALS erkranken – oder nicht.
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) – eine schwere Erkrankung des motorischen Nervensystems – ist erblich bedingt. Allerdings war ein Großteil der Erblichkeit bisher ungeklärt. Bei ALS nimmt die Bewegungsfähigkeit der Patienten im Laufe der Zeit immer weiter ab bis sie schließlich zum Stillstand kommt. Gleichzeitig bleibt die Aktivität des Gehirns komplett funktionsfähig. „Die Krankheit ALS ist bisher noch in weiten Teilen unverstanden“, sagt Prof. Alexander Schönhuth von der Uni Bielefeld. „Wir wissen, dass ALS eine vererbbare Krankheit ist, aber 80 Prozent der Erblichkeit sind bislang unerklärt“, so der Bioinformatiker, der die Daten von Zehntausenden von Genomen analysiert. Ein aktueller Forschungsschwerpunkt ist die Motoneuronerkrankung ALS.
„Bei vielen Erkrankungen, die erblich bedingt sind, gibt es überlappende, sogenannte additive Effekte von genetischen Faktoren – zum Beispiel bei Schizophrenie“, erläutert Schönhuth. „Je mehr dieser Faktoren die Gene aufweisen, um so wahrscheinlicher ist es, dass Personen an Schizophrenie erkranken. Wir können demnach anhand der Gene die genetische Disposition gut erkennen. Bei ALS hingegen ist es viel komplizierter.“ Schönhuth und sein Team nehmen an, dass einzelne Faktoren alleine mit hoher Wahrscheinlichkeit zu ALS führen. Treten diese Faktoren aber gemeinsam auf, ist das Gegenteil der Fall: Es kommt zu keiner Erkrankung. Diese Annahme würde erklären, warum ALS in weiten Teilen unverstanden geblieben ist.
Die zentrale Methode aus der KI, die Schönhuth und sein Team eingesetzt haben, heißt „Capsule Networks“. Damit wurden genetische Daten von 3.000 ALS-Patienten und 7.000 nicht an ALS-erkrankten Personen ausgewertet. „Der große Vorteil dieses Verfahrens ist, dass Überlappungen von Prozessen erfasst werden können.“ Klassische Methoden kommen mit der Menge an Daten nicht zurecht und liefern keine klaren Ergebnisse. „Unser KI-Verfahren zeigt hingegen nachvollziehbar eindeutig, welche Gene und ihre Prozesse für die Entstehung der ALS-Erkrankung besonders wichtig sind“, sagt Schönhuth.
Die Ergebnisse der Wissenschaftler zeigen eine 87-prozentige Genauigkeit im Hinblick auf die Prognose, ob Personen an ALS erkranken oder nicht. „Unser Verfahren kann Vorhersagen bezüglich der Erkrankung treffen. Sie ist viel genauer als andere Methoden. Wir haben mehr als 900 Gene gefunden, die eine Rolle bei der Identifizierung der Erkrankung spielen und 644 Gene, die in komplexen Verbindungen interagieren. Diese Zusammenhänge gilt es in anderen Forschungsgebieten weiter zu untersuchen“, führt Schönhuth aus.
„Jedes Gen ist in unterschiedlichen biologischen Prozessen eingebunden. Erfahren wir mehr über die Gene, erfahren wir auch mehr über die Prozesse. So tragen unsere Ergebnisse dazu bei, dass von ALS betroffene Menschen ihren Lebensstil anpassen können, um das Risiko für die Erkrankung zu reduzieren. Zudem könnten auch Medikamente entwickelt werden, die bestimmte Prozesse beeinflussen“, erklärt Schönhuth.
Dieser Text beruht auf einer Pressemitteilung der Universität Bielefeld. Hier gehts zur Originalpublikation.
Bildquelle: Michael Dziedzic, unsplash.