Der Zuckerersatz Erythrit steht in Verdacht, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erhöhen. Was ist dran?
Zuckeraustauschstoffe wie Erythrit sind ein gängiger Ersatz für Haushaltszucker in energiereduzierten Lebensmitteln. Solche Produkte werden häufig Menschen empfohlen, die an Diabetes oder dem metabolischen Syndrom leiden und nach einer Möglichkeiten suchen, ihre Zucker- oder Kalorienaufnahme zu kontrollieren. Doch der Zuckeraustausch scheint keine gute Idee zu sein, wie die Ergebnisse einer aktuellen Studie in Nature Medicine nahelegen.
Darin untersuchten die Forscher zunächst die Blutproben einer Kohorte von 1.157 Personen mit hohem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bei Teilnehmern, die im dreijährigen Beobachtungszeitraum ein schwerwiegendes kardiovaskuläres Ereignis (z. B. einen Myokardinfarkt) hatten, fanden sie im Plasma eine gesteigerte Konzentration verschiedener Zuckeralkohole (Polyole) – darunter insbesondere den Zuckeraustauschstoff Erythrit, auch als Erythritol oder E968 bekannt (Hazard Ratio 3,22 (KI 95 %: 1,91–5,41)).
Diese Befunde konnten die Wissenschaftler in zwei weiteren Kohorten mit insgesamt fast 3.000 Teilnehmern bestätigen – die europäische Kohorte umfasste auch 833 Personen aus Deutschland. Auch bei diesen Probanden waren erhöhte Erythritwerte mit einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Ereignisse assoziiert (adjustierte HR 1,80 (1,18–2,77) bzw. 2,21 (1,20–4,07).
In anschließenden Labor- und Tierexperimenten stellte sich heraus, dass Erythrit die Thrombozytenaggregation steigerte und bei Mäusen die Bildung von Blutgerinnseln förderte. Zuletzt führten die Forscher eine prospektive Interventionsstudie mit acht gesunden Personen durch, die ein mit 30 g Erythrit gesüßtes Getränk zu sich nahmen. Das entspricht laut der Studie einer Dose handelsüblichem, künstlich gesüßtem Getränk. Der Verzehr dieses Getränkes erhöhte den Erythritspiegel im Blut über zwei Tage so sehr, dass er laut der Forscher weit über der Schwelle lag, bei der zuvor signifikante Hinweise auf eine veränderte Thrombozytenaktivität beobachtet wurden. Das Gerinnungssystem bei diesen gesunden Probanden wurde allerdings nicht untersucht.
Beim Blick in die Studie stellt sich unweigerlich die Frage, wie gefährlich der Langzeitgebrauch von Erythrit hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos ist – und ob man seinen übergewichtigen Patienten guten Gewissens die Zuckeralternative empfehlen kann. Das Problem: Darauf kann die Studie gar keine definitiven Antworten liefern.
Auf das Dilemma macht Dr. Anne Christin Meyer-Gerspach aufmerksam. Sie ist Leiterin der Metabolen Forschungsgruppe, St. Clara Forschung in Basel. „Erythrit kann vom Körper selbst hergestellt werden, zum Beispiel wenn der Blutzucker hoch ist. Damit versucht der Körper den Zucker rasch abzubauen“, erklärt Meyer-Gerspach. Ein zu hoher Blutzuckerspiegel kommt bekanntermaßen bei Übergewicht und bei Diabetikern vor, aber auch bei Menschen, die viel Zucker konsumieren. „Eine erhöhte Erythritkonzentration im Blut kann also Folge von hoher Eigenproduktion sein und wird nicht exklusiv bei entsprechendem Konsum von Erythrit beobachtet.“
Deswegen kann man auch keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Erythrit und einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen herstellen, was die Studienautoren übrigens auch selbst schreiben. Meyer-Gerspach: „Es ist unklar, wieviel Erythrit die Menschen in der Studie überhaupt konsumiert haben. Damit stellen sich folgende Fragen: Produzieren Personen mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko vermehrt Erythrit aus konsumiertem Zucker? Ist die endogene Erythritproduktion durch eine genetische Disposition gesteuert?“
Dazu liefert eine andere Studie Hinweise, in der Forscher 30 Jahre alte Blutproben untersucht haben – zu dieser Zeit wurde noch kein Erythrit in Lebensmitteln verwendet. Auch in dieser Studie waren erhöhte Erythritwerte mit einem erhöhten Risiko von Herzinfarkten verbunden. „Möglicherweise hatten diese Menschen also einen erhöhten Blutzuckerspiegel – was bekanntermaßen zu erhöhtem Herzinfarktrisiko führt – und der erhöhte Erythritspiegel war ein Nebenbefund ohne direkte klinische Bedeutung“, erklärt Meyer-Gerspach.
Weniger skeptisch äußert sich Dr. Stefan Kabisch, Studienarzt in der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin von der Charité Berlin. Immerhin sei die Publikation „ein wichtiger, ja überfälliger Impuls dafür, auch bereits zugelassene Nahrungsmittel-Zusatzstoffe wie Süßungsmittel intensiver zu beforschen.“ Dazu gehörten neben reinen Beobachtungsdaten auch mechanistische Experimente im Zellmodell, an Versuchstieren und mit menschlichen Probanden.
In Europa ist Erythrit – das in geringen Mengen auch in natürlichen Nahrungsmitteln, wie Früchten und fermentierten Lebensmitteln enthalten ist – seit 2006 als Zusatzstoff zugelassen. Eine Untersuchung des Bundesinstituts für Risikobewertung im Jahr 2014 hatte zuletzt keine gesundheitlichen Bedenken gegen die Verwendung von Erythrit ergeben. Fehlende Langzeituntersuchungen sind allerdings in der Tat ein Problem, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Zuckeralternativen immer häufiger in Lebensmitteln zu finden sind – nicht zuletzt auch wegen der derzeit heiß diskutierten Zuckersteuer.
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