Wenig Lust auf Sex? Bald könnte ein neues Mittel helfen – sowohl Männern als auch Frauen. Lest hier mehr zum Hormon Kisspeptin.
Sexuelle Unlust hat an sich zwar keinen Krankheitswert, kann aber zu Stress in der Partnerschaft führen. Vor allem für Frauen gibt es wenige medikamentöse Optionen, um das sexuelle Verlangen anzuregen – vor allem nichts ohne starke Nebenwirkungen, sodass der Nutzen das Risiko aufwiegt.
Ein Peptidhormon aus dem Hypothalamus könnte helfen, die sexuelle Lust anzuregen: Kisspeptin. Beim Menschen dient es als Tumorsuppressor beim malignen Melanom und beim Mammakarzinom. Kommt es zu einer Loss-of-Function-Mutation des KiSS-Gens, das für die Produktion von Kisspeptin verantwortlich ist, wird die Pubertätsentwicklung behindert, sodass ein Hypogonadismus auftritt. Denn das Peptidhormon spielt zu Pubertätsbeginn eine notwendige Rolle für die Gonadotropinsekretion.
Kisspeptin – schon der Name lässt eine aphrodisierende Wirkung vermuten. Und tatsächlich kann das Neurohormon eine Behandlungsoption bei sexueller Appetenzstörung (Hypoactive Sexual Desire Disorder, HSDD) sein. Dazu gibt es jetzt zwei randomisierte klinische Studien, welche die Wirkung von Kisspeptin bei verminderter HSDD bei jeweils 32 heterosexuellen Männern und prämenopausalen Frauen untersucht. Die Probanden mit HSDD wurden mit 1 nmol/kg/h Kisspeptin-54 und im zweiten Durchgang mit Placebo 75 Minuten lang infundiert, während sie erotische Videos schauten. Zusätzlich wurden den Frauen Männergesichter gezeigt. Bei den Männern wurde neben den Analysen der Gehirnaktivität auch die Penisanschwellung gemessen.
„Unter einer HSDD leiden, wie man schätzt, etwa 8 bis 10 % der Menschen, nach manchen Quellen sogar bis zu 30 % der Frauen“, schreibt Prof. Helmut Schatz, Facharzt für Innere Medizin und Endokrinologie, in den medizinischen Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Doch trotz der psychologischen Belastung stehen vor allem für Frauen überraschend begrenzte Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, merken die Studienautoren an. Kisspeptin könnte dabei in Zukunft Abhilfe schaffen, denn die ersten Ergebnisse lassen sich sehen: Frauen fühlten sich nach eigenen Angaben sexyer und Männer freuten sich mehr über Sex.
„Diese randomisierte klinische Studie liefert den bisher ersten klinischen Beweis, der zeigt, dass die Verabreichung von Kisspeptin bei Männern mit geringem sexuellem Verlangen (HSDD) die sexuelle Gehirnaktivität moduliert und die Schwellung des Penis als Reaktion auf sexuelle Reize deutlich erhöht (um bis zu 56 % mehr als Placebo) und damit verbundene Verhaltensmaße des sexuellen Verlangens und der Erregung“, schreiben Mills et al. über ihre Ergebnisse. Sie betonen, dass Kisspeptin für Männer mit HSDD im klinischen Sinne als Medikament geeignet sein könnte.
Ähnlich fallen auch die Ergebnisse zu den weiblichen Probanden aus: Die Gabe von Kisspeptin deaktivierte Regionen, die bei Frauen mit HSDD hyperaktiviert sind und aktivierte wichtige sexuelle Gehirnregionen. Darüber hinaus verstärkte Kisspeptin die limbische Gehirnaktivität, die mit einer verringerten sexuellen Aversion korreliert und die Verarbeitung männlicher Gesichtsattraktivität verändert, berichten die Autoren. Folglich stimuliert Kisspeptin Gehirnregion, die mit sexueller Erregung und Anziehung in Verbindung gebracht werden und schwächt gleichzeitig die Aktivität von Gehirnregionen, die den gegenteiligen Effekt verursachen.
„Zusammengenommen stellen diese Ergebnisse eine wichtige Verhaltens- und Funktionsrelevanz für die Verbesserung der Gehirnaktivität durch Kisspeptin beim Betrachten erotischer Stimuli und männlicher Gesichter dar und legen, was noch wichtiger ist, die Grundlage für klinische Anwendungen von Kisspeptin bei Patienten mit psychosexuellen Störungen“, so die Studienautoren.
„In den beiden referierten Studien über Kisspeptin wurde erstmals ein Weg aufgezeigt, eine Störung der sexuellen Appetenz zu behandeln, ohne, wie bisher beobachtet, ernsthaftere Nebenwirkungen“, so Schatz. Anders als bei anderen aphrodisierenden Medikamenten für Frauen – wie beispielsweise Flibansesrin und Bremlanotid, die von der US-Arzneimittelbehörde FDA zugelassen wurden, nicht jedoch in Europa – berichteten die Probanden von keinerlei Nebenwirkungen durch das Neurohormon. Bei jeweils 32 Probanden konnten allerdings nur begrenzt Nebenwirkungen erfasst werden. Um als Lustmittel zugelassen zu werden, müssten nun weitere kontrollierte klinische Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit folgen.
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