Mehr Licht gleich gesündere Psyche, oder? Wie wirkt sich die Tageslänge wirklich auf Depression, bipolare Störungen und Suizidverhalten aus – und was macht den Frühling so gefährlich?
Es wird wärmer, die Tage werden länger und die Menschen werden glücklicher. So stellt man sich Saisonalität von psychischen Erkrankungen oft vor. Der „Winterblues“ ist vorbei – es geht bergauf! Leider ist das alles nicht so einfach. Denn während einige psychische Erkrankungen, wie beispielsweise Depression, durchaus an eine saisonale Tiefphase, induziert durch kurze Tage, gekettet sein können, erleben andere Krankheiten und Symptome durch ebendiese Saisonalität einen Aufschwung. Allen voran: Suizidversuche und manische Phasen. Eine aktuelle Studie hat sich dieser Thematik angenommen und fasst zusammen, wie sich die jahreszeitlichen Veränderungen und die Veränderung des Tagesrhythmus auf den Verlauf psychischer Krankheiten auswirken.
Frühere Studien konnten zeigen, dass es große Unterschiede zwischen dem Wohnort und dem Auftreten psychischer Erkrankungen gibt. Während Menschen, die näher am Äquator leben und somit einen stabileren Tag-/Nachtrhythmus sowie einen geringeren Unterschied zwischen den Jahreszeiten haben, weniger betroffen sind, zeigt sich ein Anstieg von saisonalen affektiven Störungen (SAD), Depression, Schizophrenie und Suizidversuchen bei bipolarer Störung mit dem Breitengrad. „Die Unfähigkeit des zirkadianen Rhythmus, sich den jahreszeitlichen Veränderungen anzupassen, könnte das Risiko für Stimmungs- und Verhaltensprobleme sowie für schlechtere klinische Ergebnisse bei psychiatrischen Störungen erhöhen“, so die Studienautoren.
Natürlich sind neben den unterschiedlichen Lichtniveaus andere Faktoren – je nachdem, wo man sich gerade befindet – ebenfalls anders; etwa Temperatur, Luftfeuchtigkeit und UV-Strahlung. Jedoch scheint der Mensch auf Unterschiede in den Lichtverhältnissen am stärksten zu reagieren. Das sehen auch die Studienautoren Dr. Rui Zhang und Dr. Nora Volkow so: „Zwar können jahreszeitlich bedingte soziale Faktoren und Stressfaktoren, z. B. Schulzeiten und Feiertage, die Symptome beeinflussen, doch gibt es überzeugende Hinweise darauf, dass biologische Prozesse eine entscheidende Rolle bei der beobachteten Saisonalität spielen.“ Es gibt also eine jahreszeitliche Veränderung von biologischen Signalwegen sowie metabolischen und neuroendokrinen Prozessen durch die veränderten Lichtverhältnisse. Aber wie beeinflusst das die Saisonalität psychischer Erkrankungen?
Neben der Tageslänge könnte auch der Grad der Veränderung an täglichem Licht ausschlaggebend für die Entwicklung bestimmter psychischer Erkrankungen sein. Typischerweise sind im Winter depressive und in den Frühlings- und Sommermonaten manische Phasen häufiger vertreten. Die Forscher geben an, dass 10–22 % aller Patienten saisonale Schwankungen erleben. Die Dunkelziffer sei aber deutlich höher, da diese Saisonalität oft nicht erhoben werde.
Blaue Kurve: Veränderungen der Tageslänge im Jahresverlauf. Rote Kurve: tägliche Tageslängenzunahme/-abnahme. Gestrichelte Linie: Schwellenwert. Gemischt: gemischte Symptome bei bipolaren Störungen; SCZ: Schizophrenie-Krankenhausaufenthalte und Auftreten der ersten Episode. Credit: Zhang, R., Volkow, N.D Seasonality of brain function: role in psychiatric disorders. Transl Psychiatry 13, 65 (2023).
Depressive oder bipolare Pateinten, die unter größeren saisonalen Schwankungen leiden, zeigen auch erhöhte Tendenzen zu Suizidgedanken und -versuchen. Interessanterweise erreichen die Suizidversuche ihre Spitze nicht im Winter, sondern im Frühling. Die Autoren vermuten daher, dass nicht nur die Tageslänge, sondern auch die schnelle Änderung ebendieser die Suizidrate erhöhen könnte. Es kommt allerdings auch zu ländertypischen Unterschieden – ein Zeichen für die Wichtigkeit sozialer und kultureller Einflüsse, zusätzlich zur Tageslänge. Atypische Depressions-Symptome wie etwa Fatigue, Hypersomnie und Hyperphagie treten ebenfalls häufiger bei Patienten mit saisonalen affektiven Störungen (SAD) auf. Ebenfalls häufiger in den dunklen Monaten: das erste Auftreten von Schizophrenie.
Unabhängig von soziokulturellen Einflüssen – etwa während Feiertagen – gibt es eine Beständigkeit in der Saisonalität bestimmter psychischer Krankheiten und Symptome, was auf einen zugrunde liegenden Mechanismus hinweist. Eine Erklärung dafür: Neurotransmitter. Denn Dopamin und Serotonin sind auch für SAD relevant.
Post-Mortem-Studien zeigten, dass Menschen, die im Winter starben, eine qualitativ geringere Dopamintransporter-Immunreaktivität aufwiesen als Menschen, die im Sommer starben. Diese Werte waren außerdem bei SAD-Patienten geringer als bei gesunden Kontrollpersonen – mit einer Ausnahme: Schizophreniepatienten. Sie wiesen im Herbst und Winter höhere Werte auf als im Frühling und Sommer. Auch die Serotoninlevel sind in den Wintermonaten am niedrigsten. Es gäbe also, laut den Wissenschaftlern, starke Belege für die saisonalen Schwankungen von Dopamin- und Serotonin-Signalgebung im Gehirn von SAD-Patienten und gesunden Kontrollpersonen. „Die Ergebnisse sind jedoch schwer zu interpretieren, da in den verschiedenen Studien unterschiedliche Messgrößen (direkt oder indirekt), Ziele (Metaboliten, Synthese, Rezeptoren, Transporter) und Regionen (Liquor, kortikal, subkortikal) untersucht wurden.“
Das Verhältnis zwischen den beiden Neurotransmittern sei relevant für das Auftreten und den Schweregrad psychiatrischer Symptome. Außerdem gäbe es Hinweise auf eine Fehlfunktion der saisonalen Regulierung des Neurotransmittersystems bei SAD-Patienten. Das betrifft nicht nur Serotonin und Dopamin – aber zur Funktionalität anderer Neurotransmitter gäbe es aktuell noch zu wenige Studien, so die Autoren. „Obwohl es noch viele Unbekannte gibt, stützen die aktuellen Ergebnisse die Annahme, dass eine stärkere saisonale Anpassung der Neurotransmitter wahrscheinlich für die Aufrechterhaltung einer stabilen Stimmung während des ganzen Jahres von Vorteil ist.“
Der menschliche Tagesrhythmus ist ungefähr 24,2 Stunden lang und wird zu großen Teilen von den Lichtverhältnissen beeinflusst. Die Tageslänge beeinflusst dabei aber mehr als nur unseren Rhythmus. So könnten etwa Körperkerntemperatur und Melatoninausschüttung saisonale Unterschiede aufweisen. Die Studienlage hierzu ist allerdings sehr dünn. Ebenfalls interessant: Zu Auswirkungen der Jahreszeiten auf die strukturelle oder funktionelle Konnektivität des Gehirns sei den Forschern bisher keine Studie bekannt.
Neben den äußeren Einflüssen der veränderten Lichtverhältnisse müssen natürlich auch biologische Variablen wie etwa Alter, Geschlecht und genetische Prädisposition beachtet werden. Weitere Einflüsse wie Stress, soziale Interaktionen und Suchtverhalten, sind ebenfalls ausschlaggebend.
Generell gesprochen, gibt es wenige Studien über die saisonalen Schwankungen der Gehirnfunktion und -struktur. Und die, die es gibt, haben eine kleine Stichprobengröße oder sind regional zu spezifisch oder Querschnittsstudien. Trotzdem konnte ein Einfluss der Tageslänge auf psychiatrische Symptome festgestellt werden. Die meisten Studien fokussierten sich dabei nur auf die Tageslänge an und für sich – die Auswirkungen der täglichen Schwankungen der Tageslänge wurden bisher nur wenig untersucht.
„Die Untersuchung von Zusammenhängen mit Tageslängenvariationen könnte einen besseren Einblick in Symptome oder Verhaltensweisen geben, die im Frühjahr oder Herbst ihren Höhepunkt erreichen und unser Verständnis von saisonalen Effekten verbessern. Daher sind künftige Studien mit rigorosen Designs erforderlich, die eine hohe zeitliche Auflösung und mehrere Messungen über das ganze Jahr hinweg vorsehen“, konkludieren die Autoren.
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