Nein, nicht jeder Kaiserschnitt ist eine Notfallsectio – auch wenn sich das in Elternforen oft so anhört. Zeit, ein paar Begriffe zu sortieren und zu erklären, wann bei uns im OP alle in den Turbo schalten.
Wer sich in Elternforen oder auf Social Media umschaut, kennt es: „Ich hatte einen Notfallkaiserschnitt – es ist alles gutgegangen, ich habe noch im OP mit meinem Baby gekuschelt.“ Oder aber auch: „Ich hatte einen Notfallkaiserschnitt – nach der Rückenmarksspritze [sic!] habe ich nichts mehr gespürt.“ Aus fachlicher Sicht sind gleich mehrere Dinge hier falsch. Höchste Zeit, ein paar Begriffe laienfreundlich zu sortieren, fürs nächste Gespräch.
Im Folgenden möchte ich ein paar Beispiele nennen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Jede Geburt ist anders, keine Gebärende ist wie die andere – das macht operative Geburten auch aus anästhesiologischer Sicht so herausfordernd. Die Grundlagen: Bei einem Kaiserschnitt (Sectio) unterscheiden wir nach Dringlichkeit. Es gibt drei Varianten, die in manchen Kliniken auch nach Ampelfarben unterschieden werden:
1) Elektive Sectio, auch grüne Sectio
2) Eilige Sectio, auch gelbe Sectio
3) Notfallsectio, auch rote Sectio
Ein Beispiel für eine grüne Sectio sind Besonderheiten, die im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung festgestellt werden und die eine transvaginale Geburt unmöglich oder sehr gefährlich für Mutter und/oder Kind werden lassen können. Eine Möglichkeit ist eine geburtsunmögliche Lage (Querlage) oder eine im Geburtskanal liegende Plazenta – diese könnte bei transvaginaler Geburt reißen und stärkste, lebensbedrohliche Blutungen auslösen.
Um die Mutter und/oder das Kind nicht zu gefährden, wird zur 39. Schwangerschaftswoche + 0 ein Termin zur operativen Entbindung per Kaiserschnitt gemacht. Die Frauen (keine Patientinnen, da sie ja gesund sind) kommen rechtzeitig vorher zur Aufklärung in die Prämedikationsambulanz. Wir empfehlen immer, immer, immer eine Spinalanästhesie. Im Volksmund wird alles, was wir am Rücken an Betäubung spritzen als Rückenmarksspritze oder Rückenmarksanästhesie bezeichnet – was so falsch, wie irreführend ist. Wenn Anästhesisten eins möchten, dann das die Nadel möglichst weit weg vom Rückenmark bleibt. Da wollen wir auf keinen Fall hin, niemals.
Stattdessen wird im Fall einer Spinalanästhesie nach Desinfektion (sehr kalt) und lokaler Betäubung (drückt und brennt ein bisschen) relativ weit unten am Rücken ein Platz zwischen zwei Wirbelkörpern gesucht und eine wirklich superdünne Nadel in den Bereich vorgeschoben, wo nur noch Nervenwasser und eben KEIN Rückenmark mehr ist. Da spritzt man dann ein Betäubungsmittel hin und ab dann werden die Beine und der Bauch in etwa bis zum Rippenbogen komplett taub.
Während der OP kann die werdende Mutter also alles mitverfolgen. Der eigentliche OP-Bereich wird mit einem Tuch abgehangen, denn der Bauch wird ja eröffnet, da möchte man nicht, dass Keime reingelangen. Das ist dann auch der Moment in dem ein Partner/eine Partnerin dazukommen darf und soll und neben der Mutter Platz nehmen kann. Achtung – nicht zur Seite zum Sauger schauen, da wird das (manchmal blutig tingierte) Fruchtwasser abgesaugt, da kann einem schon mal etwas anders werden.
Liegen relative Gründe gegen die Durchführung einer Spinalanästhesie vor, würden wir sehr kritisch prüfen, ob es irgendwie möglich ist, doch eine Spinalanästhesie durchzuführen, weil es aus unserer Sicht für Mutter und Kind das beste Verfahren zur operativen Entbindung ist. Liegen absolute (das heißt nicht verhandelbare) Gründe gegen die Durchführung einer Spinalanästhesie vor, und nur dann, würden wir auch bei einer grünen Sectio eine Narkose erwägen. Warum wir das so ungern mache, erkläre ich später. Absolute Gründe gegen eine Spinalanästhesie können zum Beispiel eine bekannte Allergie gegen Lokalanästhetika oder eine erhebliche Störung der Blutgerinnung sein.
Etwas anders verhält es sich mit der gelben Sectio. Beispiele sind die ineffektive Wehentätigkeit, eine sich entwickelnde Schwangerschaftsvergiftung (HELLP-Syndrom) oder auch ein Geburtsstillstand. Die Entscheidung wird von den Gynäkologen in der Regel in Absprache mit den Hebammen geführt. Über die Gründe dafür und dagegen werden ganze Kongresse abgehalten, die Literatur dazu füllt Regale. Es ist ein komplexer Prozess, der immer die größtmögliche Sicherheit und das Wohlergehen von Mutter und Kind zum Ziel hat.
Ist die Entscheidung zur eiligen Sectio getroffen, muss das Kind 30 Minuten später entwickelt sein. Wir nennen das E-zu-E-Zeit. Damit das klappt, gibt es klinikintern meist einen automatisierten Telefonalarm und es treffen sich alle Beteiligten im OP. Die Gebärende wird in den OP gefahren, dort warten bereits OP-Pflegekräfte und das Anästhesieteam und bereiten alles vor. Die Gebärende wird vom Anästhesiesten sehr kurz und fokussiert untersucht und befragt, zum Beispiel nach Allergien, Gerinnungstörungen, Größe/Gewicht und lockeren Zähnen. Unser Plan A wäre auch im Fall einer eiligen Sectio eine Spinalanästhesie. Wenn man das alles zügig macht, bekommt man das auch gut in der vorgegebenen Zeit hin, alles in allem darf die Spinalanästhesie aber nicht viel mehr als 10 Minuten dauern. Meist bedeutet das maximal einen Versuch für den Arzt in Weiterbildung, gefolgt von einem Versuch durch den Oberarzt. Klappt es nicht, weil man den Raum zwischen den Wirbelkörpern nicht findet und mit der Nadel nicht bis zu dem Raum kommt, wo das Nervenwasser ist, würde man das Verfahren abbrechen und eine Notfallnarkose machen. Dazu später.
Es gibt noch eine Besonderheit: Gelegentlich haben Gebärende schon einen Periduralkatheter (PDK) liegen. Das wissen wir aus der Anästhesie – weil wir diesen Katheter meist erst wenige Stunden vorher gelegt haben. Also würden wir nach dem Anruf direkt zur Patientin eilen und eine sehr große Menge Lokalanästhesie über eben diesen Katheter spritzen, der dann eine vollständige Betäubung des Bauchs bewirken soll. Klappt das alles wie geplant, ist der Bauch so (Spinalanästhesie) oder so (PDK) betäubt und die Gynäkologen können durch eine Eröffnung der Bauchdecke das Baby holen. Wichtig: Es ist völlig normal, von der OP noch etwas zu merken, nämlich Druck, Zug und sehr regelhaft auch ein kurzes Gefühl von Übelkeit, wenn das Baby entwickelt wird. Der Schnitt wird nämlich nur gerade eben so groß gemacht, dass das Kind herausgeholt werden kann. Ich habe den Frauen immer gesagt, sie werden kurz das Gefühl haben, sich übergeben zu müssen, das wird aber nicht passieren und wenige Sekunden später halten sie ihr Baby in den Armen.
Das alles ist keine Notfallsectio. Viele werdende Mütter empfinden das so, weil alles schnell oder zügig vonstatten geht und sie gefühlt wenige Minuten später ihr Baby im Arm halten. Für uns ist das Routine, wir machen das mehrfach täglich, die Abläufe, die Laufwege, die Handgriffe sitzen. Jeder weiß, wo er stehen muss, es ist ein konzertiertes Programm.
Kommen wir also zu einer der spannendsten und herausforderndsten Aufgaben, die das Leben eines Anästhesisten bietet: Die echte Notfallsectio. Bei der roten Sectio liegt ein plötzlich aufgetretenes Problem vor, was eine sofortige Entbindung des Kindes notwendig macht. Viel zu langsame Herztöne im CTG, ein Nabelschnurvorfall oder auch eine sehr starke, plötzliche vaginale Blutung. Auch hier wird die Indikation durch die Gynäkologen gestellt. Die Entscheidung beginnt mit einem Anruf unter einer klinikinternen Notfallnummer. Ähnlich einem Pager werden alle Beteiligten gleichzeitig angerufen. Es ist der einzige Notfall, bei dem wir im wahrsten Sinne des Wortes um ein (oder zwei) Leben rennen. Es geht um Sekunden und es ist ein gewisser Ehrgeiz dabei, die Entbindung so schnell und gleichzeitig so sicher wie möglich zu gestalten. Eine Aufklärung ist nicht mehr möglich, die Patientin wird direkt auf den OP-Tisch gelagert, beim Umlagern frage ich Allergien und Medikamente ab. Falls möglich, werfe ich einen schnellen Blick in den Mutterpass, ganz vorne stehen alle relevanten Erkrankungen. Die Anästhesiepflegekraft spritzt den Zugang an, hängt eine Infusion an. Die Medikamente holen wir aus einem Kühlschrank. Dort steht ein Tablett, was jeden Morgen und jeden Abend frisch aufgezogen wird und vorbereitet dort liegt, dafür wäre jetzt keine Zeit mehr.
Ich stelle mich kurz vor: „Mein Name ist Narkosedoc, ich bin Ihr Narkosearzt. Ich werde gut auf Sie und ihr Baby aufpassen. Alles, was jetzt kommt, geht rasend schnell, wir wissen, was wir tun, wir haben das tausendmal gemacht. Es kann sein, dass Sie uns wie aus der Ferne noch hören, ich bleibe an Ihrer Seite und gehe nicht weg.“ Dann erkläre ich den weiteren Ablauf: „Ich werde Ihnen jetzt eine Maske vors Gesicht halten. Hier kommt Sauerstoff für Sie und das Baby. Holen Sie TIIIEF Luft“, und das sage ich tatsächlich wie der übermotivierte Trainer einer U16-Fußballmanschaft. Ich feuere die Patientinnen an, so tief wie möglich Luft zu holen, alles, was reingeht. Der Rest läuft parallel, der Operateur wäscht sich, das OP-Material wird aufgerissen, der Bauch wird schon desinfiziert, während wir die Narkose einleiten. Der Tisch wird leicht zur Seite gekippt, damit das Kind weiter gut mit Blut versorgt wird. Kittel zu, Bauch desinfizieren.
Wir spritzen die Narkose, die innerhalb von Sekunden wirkt. Nun legen wir einen Beatmungsschlauch an den Zähnen, am Kehlkopf vorbei in die Luftröhre. Kann ich das gut sehen, rufe ich „Freigabe!“ – das ist das Zeichen für die Operateure, dass sie schneiden dürfen. Noch während die ersten Schnitte erfolgen, schließen wir das Beatmungsgerät an, messen minütlich den Blutdruck, geben kreislaufstabilisierende Medikamente und halten die Narkose aufrecht.
Hierzu muss man sagen, dass es sich bei der Notfallnarkose um einen Kompromiss handelt. Einerseits möchte man, dass die Patientin möglichst nichts von der OP mitbekommt und andererseits möchte man, dass das Baby am besten direkt fit ist, wenn es aus dem Bauch kommt. Würde man eine Narkose wie sonst machen, wäre das Baby auch betäubt und schlapp und bräuchte eine Beatmung. Also nimmt man besondere Medikamente, die genau das verhindern sollen. Deshalb kann es gut sein, dass die Mutter bei dieser Art der Notfallnarkose noch wie aus der Ferne, einem Traum ähnlich, gewisse Geschehnisse im OP wahrnimmt. Deshalb ist es unheimlich wichtig, auf die Patientin zu achten und auf das, was man neben ihr sagt.
Sobald das Kind entwickelt ist, vertiefen wir die Narkose wie sonst. Das Kind wird von einem eigenen Team versorgt, wir kümmern uns nun allein um die Mutter. All das – von der Entscheidung und dem Absetzen des Notrufs bis zur Entbindung – , also die E-zu-E-Zeit, sollte unter 10 Minuten liegen, eine Zeit bis 20 Minuten gilt als tolerabel. Wir schaffen das tatsächlich bei uns in etwa 6 Minuten. Das ist eine extrem gute Zeit, aber dafür müssen auch alle Abläufe sitzen und alle Hand in Hand arbeiten. Dafür üben wir solche Szenarien regelmäßig auch in Simulatortrainings, gehen Wege ab, haben gewisse Zonen zum Beispiel für die Ablage von OP-Material gesperrt.
Es gibt noch so unendlich viel, was man zu diesem Thema schreiben könnte, weil es so viele Menschen beschäftigt. Wir müssen einsehen, dass sich nicht alles für Laien verständlich erklären lässt, aber wir sollten es immer versuchen. Geburten sind etwas besonderes, es ist die einzige Konstellation im Krankenhaus bei der sich sehr viele Menschen um mindestens zwei Menschen kümmern, die streng genommen noch nicht mal Patienten sind. Es geht um so viel und man kann so viel verlieren. Und weil es so eine besondere Aufgabe sind, derer sich alle Beteiligten bewusst sind, liegt auch trotz aller Routine oft eine Anspannung in der Luft, die das Beste aus uns rausholt. Nachts um 3, am Feiertag, 24/7 an 365 Tagen im Jahr. Kommt der rote Sectioruf, sind wir da und feiern 6 Minuten später Geburtstag – in der Hoffnung, dass alles gut wird.
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