Harnwegsinfekte oder ein banaler Schnupfen sind bei schwangeren Patienten keine Seltenheit. Doch Infektionen der Mutter könnten gravierende Folgen für ihre Kinder haben – welche das sind, lest ihr hier.
Die Leukämie ist die häufigste Krebserkrankung bei Kindern. Woher sie kommt, ist bislang ungeklärt. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass bei der Entwicklung von Leukämien immunologische Faktoren in der Schwangerschaft eine Rolle spielen könnten. So kam ein Review 2020 bereits zum Schluss, dass mütterliche Infektionen mit Influenza-, Rubella- und Varizella-Viren mit einem erhöhten Leukämierisiko des Kindes verbunden sein könnten. Wirklich solide ist die Datenlage aber nicht: Die meisten Studiendaten kommen aus Case-Control-Studien und beruhen auf Selbstangaben der Mütter.
Eine dänische Kohorten-Studie gibt nun aber neue Hinweise, die in eine ähnliche Richtung deuten. „[Die] Ergebnisse deuten darauf hin, dass bestimmte Arten von mütterlichen Infektionen in der Schwangerschaft mit einem erhöhten Risiko für Leukämie bei den Nachkommen verbunden sind“, fassen die Studienautoren zusammen.
Ihre Analyse erfolgte mit Hilfe nationaler Registerdaten: Anhand von Geburten- und Krankenhausdaten ließen sich alle Lebendgeburten im Zeitraum von 1978–2015 in Dänemark erfassen und mit den Diagnosen ihrer Mütter während der Schwangerschaft verknüpfen. Ausgeschlossen wurden Mutter-Kind-Paare mit fehlenden Datensätzen, Mehrlingsgeburten sowie Kinder mit Trisomie 21. Primärer Endpunkt war dabei das Auftreten einer Leukämie bis zum Alter von 15 Jahren.
Insgesamt konnten 2.222.797 Kinder eingeschlossen werden. Unter ihnen entwickelten 1.307 eine Leukämie (davon 1.050 akute lymphatische Leukämie (ALL) und 165 akute myeloische Leukämie, AML). Andere Krebserkrankungen waren ebenfalls vertreten: 1.267 Hirntumoren und 224 Lymphome wurden diagnostiziert. Weitere 1.504 Kinder erkrankten an anderen Krebsarten.
Mütterliche Infektionen kamen wenig überraschend häufiger vor: 3,7 % der Mütter (81.717) hatten in ihren Schwangerschaften mindestens einen Infekt. Am häufigsten wurden dabei Harnwegsinfektionen registriert (37.522; 1,7 % der Mütter), am seltensten Atemwegsinfektionen (7.318; 0,3 %).
Die Analyse dieser Zahlen ergab ein deutliches Bild: Nach statistischen Korrekturen zeigte sich bei einer mütterlichen Infektion ein um 35 % höheres Risiko (HR 1,35; 95 % CI 1,04–1,77) für eine kindliche Leukämie. Eine genauere Analyse demonstrierte, dass dies vor allem auf zwei Infektionsarten zurückzuführen war: Harnwegsinfektionen waren mit einem Risikoanstieg von 65 % (HR 1,65; 95 % CI 1,15–2,36) verbunden; Infektionen des Genitaltrakts übertrafen dies nochmal. Hier stieg das kindliche Risiko um ganze 142 % (HR 2.42; 95 % CI 1,50–3,92). Atemwegsinfektionen und Infektionen des Magen-Darm-Traktes schienen hingegen keinen signifikanten Einfluss auf das Leukämie-Risiko zu haben.
Den Autoren zufolge spricht diese Beobachtung für einen unspezifischen Mechanismus in der Krankheitsentwicklung: In Anbetracht des Spektrums infektiöser Vektoren und der Nähe der Infektionsherde zum sich entwickelnden Fötus spielten wahrscheinlich die Verstärkung lokaler Entzündungen, Entzündungsmediatoren und Schäden durch reaktive Sauerstoffspezies eine Rolle.
Der Zusammenhang zwischen Krebs und Infektionen während der Schwangerschaft scheint sich allerdings auf Leukämie zu begrenzen. Denn andere Krebserkrankungen, wie etwa Gehirntumoren, waren unbeeinflusst.
Auch familiäre und genetische Faktoren könnten die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Leukämie beeinflussen. Daher führten die Forscher auch eine Geschwisteranalyse durch, in der sie das Auftreten von Leukämien in Zusammenhang mit mütterlichen Infektionen unter Geschwisterkindern näher betrachteten. Durch die deutlich kleinere Probandenzahl erhöhte sich zwar die statistische Unsicherheit, aber trotzdem zeigte sich auch innerhalb dieser Subgruppe der gleiche Trend: Infektionen hingen mit einem erhöhten Leukämie-Risiko zusammen. Einen Einfluss durch familiäre Faktoren auf diese spezielle Assoziation halten die Forscher dementsprechend für eher unwahrscheinlich.
Zusätzlich wurden als Vergleich auch schwedische Registerdaten analysiert. Die Datenlage war hier allerdings lückenhafter als in Dänemark – daher waren die Analysen weniger aussagekräftig. Auch gab es Unterschiede in der Prävalenz der verschiedenen Infektionen und ihrer Auswirkungen auf das Leukämie-Risiko. Der grundsätzliche Trend eines signifikant erhöhten Risikos durch Infektionen (HR 1,34; 95 % CI 0,93–1,92) zeigte sich aber auch hier.
Bei all ihren Stärken hat diese Studie allerdings auch eine große Schwäche: Einmal ganz abgesehen von der grundsätzlichen Korrelations/Kausalitätsfrage, die sich bei Beobachtungsstudien stellt, sind die Daten zu den mütterlichen Infektionen nur mäßig aussagekräftig. Tatsächlich fußen diese nämlich nur auf Diagnosen, die in Krankenhäusern gestellt wurden. Es wurden zwar sowohl stationäre als auch ambulante Diagnosen erfasst, jedoch kann man davon ausgehen, dass viele Infektionen dabei unter dem Radar geblieben sein dürften: Mildere Infektionen, für die keine ärztliche Hilfe in Anspruch genommen wurde, können so nicht abgebildet werden.
Die Autoren weisen darauf hin, dass dies auch die unerwartet niedrige Prävalenz von Atemwegserkrankungen erklären würde – schließlich gehen Patienten in der Regel mit einem einfachen Schnupfen nicht ins Krankenhaus. Es ist daher auch gut möglich, dass die Infektionen bloße Zufallsbefunde waren, die auffielen, weil sich die Schwangeren wegen ernsterer Komplikationen vorstellten. Diese anderen Erkrankungen könnten die Assoziation durchaus beeinflussen. Allerdings geben die Autoren zu bedenken, dass die statistische Kontrolle um bekannte mütterliche Komorbiditäten die Auswertung nicht wesentlich veränderte.
Ein weiteres Manko: Informationen zur Therapie der Infektionen fehlen. „Daher konnten wir nicht untersuchen, ob die Behandlungen das Leukämie-Risiko bei den Nachkommen beeinflussen“, räumen die Autoren ein.
Erst einmal nichts. Die Ergebnisse müssen zunächst in weiteren Studien bestätigt werden und könnten langfristig zum Verständnis der Ätiologie der kindlichen Leukämie beitragen, sowie Präventivmaßnahmen erlauben. Werdende Mütter müssen sich allerdings nicht sorgen, dass ihr Kind wegen einer Infektion auf jeden Fall an Leukämie erkrankt: Das absolute Risiko dafür ist und bleibt gering. Aus den dänischen Daten ergibt sich eine Gesamtprävalenz von etwa 59 Leukämie-Erkrankungen pro 100.000 Geburten. Dennoch verdeutlichen die Daten, dass in der Schwangerschaft grundsätzlich auf die Prävention von Infektionen – insbesondere des Urogenitalbereichs – geachtet werden sollte.
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