In der perimenstruellen Phase kämpfen viele Frauen mit Suizidgedanken und -versuchen. Aktuell gibt es kaum Therapien, aber das könnte sich bald ändern.
Suizidgedanken und -versuche sind bei Frauen in der perimenstruellen Phase am häufigsten. Das könnte mit hormonellen Veränderungen zusammenhängen, die auch bei der Prämenstruellen Dysphorischen Störung eine Rolle spielen. Ein Forscherteam hat nun erstmals die Auswirkungen des abrupten Abfalls von Östradiol und Progesteron in einer experimentellen, randomisiert-kontrollierten Studie untersucht.
Die meisten Frauen haben während ihres monatlichen Zyklus keine ausgeprägten psychischen Beschwerden. Allerdings leiden laut einer großen epidemiologischen Studie 5,5 % der weiblichen Bevölkerung an einer Prämenstruellen Dysphorischen Störung (PMDD). Dabei treten im Zeitraum vor und während der Periode psychische Symptome wie depressive Verstimmung, Angst, Gereiztheit und Stimmungsschwankungen sowie teilweise auch Konzentrationsprobleme und impulsives Verhalten auf.
Auch Suizidversuche sind bei Frauen in der perimenstruellen Phase – in den etwa 14 Tagen um den Beginn der Regelblutung herum – am häufigsten. In mindestens 15 Querschnittsstudien wurde bisher ein erhöhtes Risiko für Suizidgedanken, Suizidversuche und vollendete Suizide in dieser Phase des Zyklus festgestellt. Dabei war das Risiko in der Zeit der Periode am höchsten. Dies könnte mit typischen hormonellen Veränderungen während des weiblichen Zyklus zusammenhängen. So steigen die Sexualhormone Östradiol (E2) und Progesteron (P4) nach der Monatsblutung bzw. nach dem Eisprung an und fallen gegen Ende des Zyklus, kurz vor und während der Periode, abrupt ab.
Eine aktuelle Studie, erschienen in der Fachzeitschrift Nature Translational Psychiatry, untersuchte nun die Hypothese, dass der Entzug von Östradiol, Progesteron oder beidem zum perimenstruellen Anstieg von Suizidgedanken und damit assoziierten psychischen Symptomen führt. Um dies zu prüfen, führten die Forscherinnen um Tory A. Eisenlohr-Moul vom Department of Psychiatry am College of Medicine der University of Illinois at Chicago eine randomisierte, placebo-kontrollierte, doppelblinde Cross-Over-Studie durch. Auf diese Weise konnten sie erstmals den Einfluss des Entzugs von Östradiol und Progesteron auf Suizidgedanken und psychische Symptome in der perimenstruellen Phase direkt untersuchen.
Mithilfe sozialer Medien rekrutierten die Forscher Teilnehmerinnen aus der Allgemeinbevölkerung. Ihr Aufruf zur Studie lautete: „Teilnehmer für eine Studie über die Biologie von Depression, Stress und Suizidgedanken gesucht.“ Dabei wurde nicht erwähnt, dass es in der Untersuchung um den weiblichen Zyklus und hormonelle Veränderungen ging.
Insgesamt nahmen 29 medizinisch gesunde Frauen im Alter von 18 bis 45 Jahren an der Studie teil, wobei die Daten von 28 Frauen ausgewertet werden konnten. Einschlusskriterien waren, dass sich die Frauen in ambulanter psychiatrischer Behandlung befanden (mindestens ein Termin alle drei Monate) und dass sie im letzten Monat zwar Suizidgedanken, aber im letzten Jahr keine Suizidversuche gehabt hatten. Weiterhin wurden nur Frauen einbezogen, die keine hormonellen Medikamente nahmen und einen regelmäßigen Monatszyklus (25–35 Tage) hatten.
Alle Probandinnen füllten zunächst einen Monat lang Fragebögen zu ihren psychischen Symptomen aus. Dann nahmen sie an zwei jeweils 14 Tage dauernden Versuchsphasen teil, zwischen denen eine einmonatige Phase ohne Intervention lag. In der Verum-Phase erhielten sie pro Tag transdermal 0,1 mg Östradiol und oral zwei Mal täglich 100 mg Progesteron, um dem Abfall der beiden Sexualhormone entgegenzuwirken. In der Placebo-Bedingung erhielten sie entsprechende transdermale und orale Placebos. Die Hälfte der Probandinnen durchlief dabei zuerst die Verum-Phase, die andere Hälfte zuerst die Placebo-Phase.
Die experimentellen Phasen umfassten jeweils Tag 7 bis 20 des weiblichen Zyklus. Als Tag 0 war dabei der Tag mit einem positiven Ovulationstest (luteinisierendes Hormons (LH) im Urin > 40 mlU/ml) definiert, da ein solcher deutlicher LH-Anstieg etwa 24 Stunden vor dem Eisprung auftritt.
In täglichen online-Befragungen gaben die Teilnehmerinnen Auskunft über das Auftreten von Suizidgedanken und Suizidplänen. Weiterhin wurden depressive Stimmung, Hoffnungslosigkeit, Angst, Impulsivität, das Gefühl sozialer Zurückweisung, wahrgenommener Stress, Konzentrationsprobleme, Ärger und Irritierbarkeit sowie die Wahrnehmung, für andere eine Last zu sein, erfasst. Zudem wurde nach körperlichen Symptomen gefragt, die mit hormonellen Veränderungen in Zusammenhang stehen können. Schließlich wurden in täglichen Anrufen das Risiko eines unmittelbar bevorstehenden Suizids, die regelmäßige Einnahme bzw. Anwendung der Hormone und das Auftreten von unerwünschten Ereignissen abgefragt.
Die Auswertung der Daten zeigte, dass in der Placebo-Bedingung Suizidgedanken und Suizidpläne in der perimenstruellen Phase (Tag 3 vor bis Tag 1 nach Beginn der Periode) und in der frühen follikulären Phase (Tag 2 bis 20 nach Beginn der Periode) zunahmen. Dieser Anstieg war bei Einnahme von E2 und P4 nicht zu beobachten. Der gleiche Effekt wurde auch für depressive Stimmung, Hoffnungslosigkeit, wahrgenommenen Stress, das Gefühl sozialer Zurückweisung und das Gefühl, für andere eine Last zu sein, beobachtet. Bei Angst, Konzentrationsproblemen, Impulsivität sowie Ärger und Irritierbarkeit wurden dagegen keine signifikanten Effekte gefunden.
Die positiven Auswirkungen der E2- und P4-Gabe waren dabei in der perimenstruellen Phase am stärksten, aber auch noch in der frühen follikulären Phase vorhanden. Darüber hinaus nahmen in der Verum-Bedingung Suizidgedanken, Hoffnungslosigkeit und das Gefühl sozialer Zurückweisung nach Abschluss der Hormoneinnahme wieder zu – nämlich in der späten follikulären Phase (Tag 21 bis 24 nach Beginn der Periode).
Diese Ergebnisse legen nahe, dass der akute Abfall der Sexualhormone Östradiol und Progesteron eine kausale Rolle bei der Zunahme von Suizidgedanken und psychischen Symptomen in der perimenstruellen Phase spielen könnte, schreiben die Autoren. „Verschiedene präklinische Studien und Studien an Menschen haben gezeigt, dass der Abfall von Östradiol, Progesteron oder beidem zu Veränderungen der Stimmung, der Kognitionen und des Verhaltens führen kann“, erläutert Eisenlohr-Moul. „Das kann zum Beispiel eine Zunahme an depressiver Verstimmung, Hoffnungslosigkeit, Angst, Impulsivität und dem Gefühl sozialer Zurückweisung sein. All diese Faktoren sind stabil mit Suizidalität assoziiert und können bei Suizidgedanken und -plänen eine Rolle spielen.“
Im nächsten Schritt sollten die Ergebnisse in weiteren, größeren Studien repliziert werden, so die Autoren. Zudem sollten die Effekte von Östradiol und Progesteron getrennt erfasst werden. Zukünftige Studien sollten jedoch vor allem die Zusammenhänge genauer untersuchen, um im Anschluss entsprechende Behandlungsmöglichkeiten entwickeln zu können. „Auf der einen Seite könnte die Zunahme negativer kognitiver Verzerrungen in der perimenstruellen Phase zu einem erhöhten Suizidrisiko beitragen“, sagt Eisenlohr-Moul.
Zum anderen sollten biologische Mechanismen, die bei der Wirkung von P4 und E2 eine Rolle spielen, aufgeklärt werden. Hinweise auf mögliche Wirkmechanismen gibt es bereits viele. „Beim Abbau von Progesteron entstehen zum Beispiel GABAerge Metaboliten, die antidepressiv und angstlösend wirken. Fallen diese weg, könnte das zu einer Zunahme psychischer Symptome führen“, erläutert die Forscherin. „Zudem hat Östradiol vielfältige Effekte bei der Synthese und Aktivität der Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin – die bei vielen psychischen Erkrankungen eine Rolle spielen.“
Besonders relevant ist diese Thematik bei Frauen mit psychiatrischen Erkrankungen. Denn viele von ihnen erleben in der perimenstruellen Phase eine Zunahme ihrer Symptome. So stellte eine Studie mit depressiven Patientinnen fest, dass 58 Prozent in dieser Phase verstärkt Symptome haben. Ähnliches wurde auch bei Patientinnen mit Borderline-Störung, Posttraumatischer Belastungsstörung, Panikstörung und Essstörungen beobachtet.
„Ein solcher Symptomanstieg könnte das Risiko für Suizidgedanken und suizidales Verhalten erhöhen und den Erfolg von Therapien verringern“, betont Eisenlohr-Moul. „Psychische Veränderungen, die mit dem Monatszyklus assoziiert sind, sollten daher bei der Diagnostik und Therapie psychisch kranker Patientinnen berücksichtigt werden.“ Im Moment gebe es jedoch noch wenig Forschung dazu, wie ein solcher Symptomanstieg bei der Behandlung angemessen berücksichtigt werden könnte.
Das Thema ist auch deshalb von großer Bedeutung, weil Suizide die vierthäufigste Todesursache bei Frauen im gebärfähigen Alter sind. Bei Frauen zwischen 13 und 45 Jahren machen sie sieben Prozent der Todesfälle aus. Zwar sterben aufgrund anderer Suizidmethoden deutlich mehr Männer durch Suizid – doch Suizidgedanken und Suizidversuche kommen bei Frauen doppelt so häufig vor, wie bei Männern.
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