Placeboeffekte überraschen immer wieder: Ob bei Erkältung, Migräne oder Reizdarmsyndrom – klinisch relevante Effekte sind an der Tagesordnung. Apotheker sollten ihren Teil dazu tun: Kommunizieren sie aktiv den therapeutischen Nutzen, wirken die Pharmaka noch besser.
Heilsame Rituale bei Jung oder Alt: Schon die Einnahme von Tabletten, Tropfen oder Säften lindert viele Beschwerden – egal, ob Verum oder Placebo. Derartige Effekte treten mit einer Deutlichkeit auf, die manche Wissenschaftler überrascht und klinische Studien ad absurdum führt. Einige Beispiele aus aktuellen Publikationen:
Starker Husten ist für Kleinkinder und deren Eltern eine Herausforderung. Handelsübliche Antitussiva kommen nicht infrage. Früher galt Honig als probates Hausmittel. Heute bewerten Pädiater die goldgelbe Flüssigkeit negativ – dank Pollen oder Sporen von Clostridium botulinum. Was tun? Ian Paul vom Penn State College of Medicine in Philadelphia hatte eine Idee. Er wies 120 Kinder zwischen zwei und 47 Monaten unterschiedlichen Gruppen zu. Sie erhielten entweder Agavendicksaft oder aromatische, wirkstofffreie Bonbons. Der dritte Teil blieb ohne vermeintliche Therapie. Hinsichtlich der Endpunkte Schlaf, Husten und Schnupfen zeigte Agavensirup tatsächlich signifikante Effekte. Ian Paul schreibt als Kommentar, das Nahrungsmittel sei „besser und sinnvoller als unnötige Antibiotika-Verordnungen“. Nach wie vor verschreiben Kinderärzte oft chemische Keulen, obwohl sie keine Anhaltspunkte für bakterielle Infekte haben.
Ähnliche Situationen treten bei Erwachsenen auf, berichten Slavenka Kam-Hansen und Rami Burstein, Boston. Sie erfassten bei 66 Patienten insgesamt 459 Kopfschmerzattacken. Zu Beginn ihrer Studie quantifizierten sie den Leidensdruck anhand verschiedener Skalen. Anschließend erhielten Patienten randomisiert Triptane oder Placebos. Äußerlich unterschieden sich die Tabletten nicht voneinander. Auf den Umverpackungen stand entweder negativ „Placebo“, positiv „Arzneimittel“ oder unsicher „Arzneimittel / Placebo“. Der erklärende Text leiste einen mehr als 50-prozentigen Beitrag zum Therapieerfolg oder Misserfolg, so Kam-Hansen und Burstein. Ärzten und Apothekern raten sie, bei aller Wissenschaftlichkeit den Mehrwert eines Pharmakons optimistisch zu kommunizieren. In ihrer Studie ließ sich die Wirkung von Triptanen schon durch einen positiven Duktus steigern. „Besonders interessant ist aber, dass der Placebo-Effekt selbst dann erhalten bleibt, wenn ein Patient weiß, dass er Placebo nimmt“, sagt Privatdozentin Dr. Stefanie Förderreuther von der Neurologischen Klinik der LMU München.
Kein Einzelfall: Ted J. Kaptchuk, Boston, wollte wissen, welchen Einfluss Placebo-Effekte beim Reizdarmsyndrom haben. Er rekrutierte 262 Erwachsene mit der entsprechenden Krankheit. Ihr Leidensdruck betrug mindestens 150 Zähler auf der Symptomen-Schweregrad-Skala („symptom severity scale“) nach den Rom II- Kriterien. Manche Patienten landeten als Vergleichsgruppe auf einer vermeintlichen Warteliste. Andere erhielten Schein-Akupunkturen mit ärztlicher Empathie beziehungsweise ohne jegliche Zuwendung. Nach drei Wochen berichteten 28 Prozent in der Beobachtungsgruppe, 44 Prozent in der „begrenzten“ Gruppe und 62 Prozent in der „verstärkten“ Gruppe, weniger unter dem Reizdarmsyndrom zu leiden. Kaptchuk zeigte mit seiner Arbeit, dass sich Faktoren, die auf Placebo-Effekte zurückgehen, durchaus überlagern – sprich verstärken. Plötzlich treten statistisch signifikante und klinisch relevante Therapieergebnisse auf, die sich nicht auf Behandlungen an sich zurückführen lassen. Schon vor zehn Jahren fand Walter A. Brown entsprechende Hinweise bei Antidepressiva.
Eine unbefriedigende Situation: Trotz zahlreicher Studien und einer großen Metaanalyse bleibt der Kenntnisstand zu Placebo-Effekten recht dürftig. Im Rahmen ihres Förderungsprogramms Versorgungsforschung hat die Bundesärztekammer (BÄK) deshalb weitere Gutachten mit Relevanz für die Forschung eingeholt. Privatdozentin Dr. Karin Meissner und Professor Dr. Klaus Linde unterscheiden zwischen dem eigentlichen Placeboeffekt und dem Behandlungseffekt in einer Placebogruppe. Sie fordern für Studien höchster Effizienz eine unbehandelte Kontrollgruppe und eine Gruppe, die Scheinmedikamente erhält. In der Praxis ist ihr Konzept eher schwer umsetzbar. Professor Dr. Ursula Gundert-Remy hat einen pragmatischeren Ansatz entwickelt. Sie rät, das Maß einer Placeboresponse aus randomisierten, kontrollierten klinischen Studien bei unterschiedlichen Indikationen zu bestimmen. Dann sollten Behandlungs- und Placeboeffekte zueinander in Relation gesetzt werden. Gundert-Remys Modell hat den Vorteil, auf einer breiten Datenbasis zu fußen. Noch ist offen, welche Lehren sich daraus ableiten lassen. Erschwerend kommt hinzu, dass Placeboeffekte im neurologisch-psychiatrischen und im gastrointestinalen Bereich häufig auftreten, bei Lungenerkrankungen oder Osteoporose jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielen. Wie diese Aspekte bei Zulassungsstudien berücksichtigt werden könnten, ist noch offen.