Kinderfüße haben andere Ansprüche als ausgewachsene Füße. Warum der kindliche Plattfuß überbewertet wird und worauf Ärzte bei Routinekontrollen sonst noch achten sollten.
Der Grundstein für einen aufrechten Weg durchs Leben wird früh gelegt – nämlich mit gesunden Kinderfüßen. Denn wenig beeinflusst die Körperhaltung, den Bewegungsapparat und zukünftige Bewegungsschmerzen mehr als eine eingeschränkte oder falsche Fußentwicklung in der Kindheit.
Schwere angeborene Fußfehlstellungen, wie etwa der Klumpfuß oder der Talus verticalis, müssen behandelt werden. „Diese Fußstellungen sind nicht normal und wachsen sich nicht, wie etwa der physiologische kindliche Plattfuß, selbstständig aus. Der Fuß bleibt in der Klumpfußstellung stehen, wenn er nicht mit Gips-Redressionstherapie und oft auch einer operativen Achillessehnenverlängerung behandelt wird. Im Wesentlichen gilt das auch für den Talus verticalis“, erklärt Prof. Markus Walther, Chefarzt der Abteilung für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie sowie ärztlicher Direktor der Schön-Klinik München-Harlaching und des FIFA Medical Centers München, im Gespräch mit DocCheck News.
Aber es gibt es auch viele vermeidbare und gut behandelbare Fußleiden. Diese gilt es, zu erkennen – und zwar rechtzeitig. Aber Vorsicht: Eine zu überschwängliche Behandlung kann auch überhaupt erst zu ebendiesen Problemen führen.
Kinder werden mit platten Füßen geboren. Aber wie platt dürfen die Füße sein und ab wann wird es kritisch? Dieser Fragen gehen seit Jahren viele Studien nach – ohne eindeutige Antwort. Ein systematisches Review untersuchte beispielsweise 34 Paper und kam zu dem unspektakulären Schluss, dass „die Fußhaltung des sich entwickelnden Kindes in der Tat altersabhängig ist […]. Es wird zwar erwartet, dass der Fuß des Kindes flach ist, doch gibt es derzeit keinen Konsens darüber, wie flach der Fuß sein sollte.“
Der kindliche Plattfuß entsteht durch die Fettkörper in der Fußsohle, die das Längsgewölbe verdecken. Die Fußmuskulatur ist noch nicht stark genug, um das Fußgewölbe beim Gehen halten zu können. Außerdem ist der Fuß noch sehr elastisch und flacht dadurch leichter ab als ein Erwachsenenfuß. „Der Fuß ist bei kleinen Kindern auch deutlich quadratischer, das Längen-Breiten-Verhältnis ändert sich dann mit der Zeit“, so Walther. Außerdem hätten Kinderfüße in den ersten Lebensmonaten noch fast keine Knochen und bestünden zum Großteil aus knorpeliger Struktur.
In der kindlichen Fußentwicklung ist es also normal, dass ein platter Fuß sich erst mit der Zeit aufrichtet. Aber was, wenn das eben nicht passiert? Die Aufrichtungsphase des Fußgewölbes ist eine der vulnerablen Phasen der kindlichen Fußentwicklung. Es kann immer wieder zu Situationen kommen, in denen das Aufrichten des Längsgewölbes nicht oder falsch stattfindet. Dafür gibt es eine Handvoll Ursachen:
„Gerade bei sehr dicken Kindern sieht man, dass die Aufrichtung des Fußgewölbes schlecht funktioniert. Der Muskel schafft es einfach nicht, gegen das Körpergewicht anzukommen.“ Mangelnde Bewegung und ein hoher BMI seien für viele Fehlentwicklungen mitverantwortlich. Die einzige muskuläre Reaktionsfähigkeit, die sich in den letzten Jahren deutlich verbessert habe, sei die des Daumens – vor allem durch Computerspiele und Smartphones. „Aber der Rest hat ziemlich gelitten. Das sieht man auch an der Fußentwicklung“, schlussfolgert Walther.
Eine ältere Studie untersuchte, inwiefern sich das Körpergewicht auf die Fußentwicklung auswirkt. Die Wissenschaftler untersuchten dazu die Füße von 1.450 Jungen und 1.437 Mädchen im Alter von 2–14 Jahren. Relevante Fußmaße, Alter, Geschlecht, Größe und Gewicht der Kinder wurden erfasst. Übergewichtige Kinder tendierten zu flacheren Füßen, während untergewichtige Kinder eher schlanke und lange Füße aufwiesen. Der Deutsche Kinderfuß-Report 2020, in dem über 20.000 Kinderfüße vermessen wurden, schreibt zu dem Thema: „Das Gewicht macht sich nur bei Vorschulkindern eindeutig bemerkbar: Je mehr das Kind wiegt, umso breiter sind seine Füße. […] Schon bei Acht- bis Neunjährigen ist kaum noch ein Unterschied in der Fußbreite zwischen untergewichtigen und übergewichtigen Kindern vorhanden. Bei zwölf- bis dreizehn-jährigen Kindern lässt sich zwischen beiden Gruppen gar kein Unterschied in der Fußbreite mehr ausmachen. Nur stark adipöse Kinder haben weiterhin breitere Füße.“
Neben genetischen und körperlichen Aspekten dürfen auch äußere Faktoren – Schuhe und Einlagen – nicht außer Acht gelassen werden. Das sieht Walther ebenfalls so: „Man muss die Behinderung einer normalen Fußbewegung durch den Schuh auf dem Schirm haben. Kinderfüße sind eben keine kleinen Erwachsenenfüße. Besonders wichtig sind deswegen auch die Materialen der Kinderschuhe, beispielsweise deren Flexibilität.“ Das Material sollte besonders weich und flexibel sein, um eine natürliche Abrollbewegung zu erlauben, aber dennoch genug Halt und Schutz vor äußeren Einflüssen bieten. Außerdem sollte es atmungsaktiv sein, denn Kinderfüße schwitzen mehr. Was Schuhhersteller hingegen nicht machen sollten ist, eine Miniatur eines Erwachsenenschuhs anzufertigen, denn Kinderfüße haben ganz andere Ansprüche. Aktuell besonders trendy, auch bei Kindern – Barfußschuhe. Aber diese vermeintlich gesunden Schuhe haben ebenso ihre Tücken (DocCheck berichtete hier und hier).
Mindestens genauso wichtig wie das richtige Material ist die richtige Schuhgröße. Walther sieht hier besonders bei Kinder- und Hausärzten Bedarf, das schnelle Wachstum von Kinderfüßen nicht zu unterschätzen. Die Füße würden phasenweise bis zu drei Nummern pro Jahr wachsen. Wenn dann die Schuhe nicht regelmäßig angepasst würden, könne es durch eine eingekrallte Position zu Zehenfehlstellungen kommen. Aber auch zu große Schuhe können sich negativ auf die Fußentwicklung auswirken. Wenn das Kind im Schuh rutscht, könne das einen ähnlichen Einkrallreflex wie bei zu kleinen Schuhen auslösen. „Das Rutschen im Bereich der Ferse kann zu einem übermäßigem Knochenwachstum führen. Außerdem sieht man Verkalkungen im Sehnenansatzbereich auch im Zusammenhang mit schlecht passenden Schuhen“, konkludiert Walther.
Neben der Frage nach den passenden Schuhen bleibt eine andere Frage nicht aus: Was ist mit Schuheinlagen – braucht man die überhaupt? Die Antwort ist in den meisten Fällen, laut Walther, eindeutig: Nein. „Das ist eines der größten Missverständnisse. Man dachte lange, man müsste den Kinderfuß mit Einlagen abstützen, um eine normale Fußentwicklung zu ermöglichen. Das ist natürlich völliger Blödsinn. Der Fuß braucht die Belastung, damit er sich normal entwickelt. Einlagen schaden oft mehr als sie nützen (DocCheck berichtete). Dem Muskel ist es durch die Einlagen erlaubt, faul zu sein – und wenn er nicht arbeiten muss, tut er das auch nicht.“
Der kindliche Plattfuß ist also ein normaler Schritt in der Fußentwicklung. Ärzte sollten davon absehen, zu früh mit Einlagen oder Physiotherapie zu behandeln. „Der physiologische Kinderplattfuß wird häufig als Krankheit fehlinterpretiert. Dann werden Maßnahmen ergriffen, die für das Kind und die Eltern meistens eine Qual sind. Einlagen sind da noch das Harmloseste. Oft müssen die Kinder dann ständig zur Physiotherapie – obwohl es sich um ein völlig normales Entwicklungsstadion handelt und viel barfußlaufen, abwarten und flexible Schuhe anziehen eigentlich das ist, was das Problem löst“, so Walther.
Er rät, dass Haus- und Kinderärzte unbedingt genauer hingucken sollten, wenn die Aufrichtungsphase des Fußgewölbes lange nicht einsetzt. Das kann zwar alles noch normal sein, aber wenn tatsächlich eine Störung vorliegt, sollte man unbedingt mit der Therapie beginnen. „Normalerweise richtet sich das Gewölbe bis zum Alter von ca. 8 Jahren zunehmend auf. Ist das nicht der Fall, macht es Sinn, mit Physiotherapie und die Muskelaktivität stimulierenden Einlagen diesen Prozess zu unterstützen. Zeigen diese keinen Effekt, kann man vor dem Wachstumsschub der Pubertät mit relativ kleinen OPs das Wachstum in die richtige Richtung lenken“, erklärt Walther. „Wenn das Wachstum abgeschlossen ist, dann ist dieser Zug aber abgefahren und Korrekturen werden deutlich aufwändiger.“
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